Intrigen, Unsympathen, Verwirrung - kein Thriller, nichtsdestotrotz fesselnd
"Flieh, so weit Du kannst" von Naomi Joy ist im Januar 2021 als Taschenbuch mit 384 Seiten bei Lübbe erschienen.
Cover und Klappentext sind klasse und versprechen einen spannenden, möglicherweise blutigen und perfiden Thriller.
Bekommen tut man allerdings etwas ganz anderes...
Zur Handlung:
Ava, eine junge Frau, die in London lebt und arbeitet, muss sich von ihrem Freund trennen, da er trinkt, sie schlägt, kontrolliert und stalkt. Da sie nicht weiß wohin, nimmt sie mit gemischten Gefühlen das großzügige Angebot ihres Chefs David an, erstmal in das Haus seiner verstorbenen Tochter Olivia zu ziehen.
Allerdings erwartet ihr Chef scheinbar mehr von ihr, als es in einem normalen Arbeitsverhältnis angemessen wäre und Ava bekommt nun außerdem ständig Drohbriefe. Sind die von ihrem Ex Charlie?!
Und auch in der Firma läuft nicht alles rund, es geht um den Posten als Teamleiterin, wegen dem Ava in einen erbitterten Konkurrenzkampf mit ihrer Kollegin Jade gerät...
Und dann wäre da noch das Geheimnis, das Ava mit sich herumträgt - ständig meldet sich ihre innere Stimme (sinngemäß) mit der anklagenden Frage "Was hast Du getan?!"...
Meine Meinung:
Naomi Joy hat einen durchaus fesselnden Schreibstil, der den Leser nur so durch die Seiten fliegen lässt.
Die Handlung ist nicht so leicht durchschabar, die Autorin versteht es immer wieder, den Leser zu verwirren.
Das Buch is außerdem aus unterschiedlichen Erzählperspektiven geschrieben, was es ungemein rasant macht.
Man kann sich Ava und ihre Arbeitskollegen perfekt vorstellen, die wirre und von sich absolut überzeugte Jade, die überdrehte Georgette, den Schönling Josh und David, den Chef sowie die Randfiguren dieses illustren Kreises.
Anfangs kommt Ava sehr sympathisch rüber, was sich im Verlauf der Geschichte allerdings ein wenig ändert, weil man ihre Handlungsweisen definitiv nicht nachvollziehen kann.
Jade, ihre Kollegin, ehemalige Freundin und nun erbittertste Konkurrentin ist absolut durchgeknallt und wirklich psychisch krank. Sie setzt alles daran, Ava Steine in den Weg zu legen und sie fertigzumachen. Sie ist von Neid zerfressen und von sich selbst überzeugt.
Josh, der Ziehsohn des Chefs, ist der einzig sympathische Charakter in diesem perfiden Spiel.
David, der Chef, ist schlecht durchschaubar und hat eindeutig andere Absichten, als er nach außen hin vorgibt.
Das Buch ist schon wirklich fesselnd und spannend geschrieben, hat aber das Problem, in die falsche Kategorie eingeordnet worden zu sein. Der Leser geht mit den falschen Erwartungen heran...dieses Buch ist kein Thriller, sondern eine überspitzt gezeichnete Story über Konkurrenzkämpfe, Geheimnisse, Intrigen und Drogen in einem mondänen Büro. Dazu kommt noch, dass die Charaktere fast durchweg unsympathisch sind.
Mein Fazit:
Selten ist es mir so schwergefallen, ein Buch zu bewerten...Ich vergebe 3,5 Sterne und würde es denjenigen empfehlen, die nicht so sehr einen Thriller suchen, sondern ein fesselndes Buch über Klatsch und Tratsch, Intrigen und Bösartigkeiten a la Dallas oder Denver-Clan (wer das noch kennt...)