Alles ist gut?
Nein, manchmal gibt es diese Option nicht. „Kolja verzweifelte an den Sätzen, die mit 'wenn' begannen. Wenn wir das Haus nicht gebaut hätten…wenn wir den Teich nicht angelegt hätten…wenn wir den Hund nicht gekauft…wenn wir ihr beigebracht hätten, beim ersten Rufen zu kommen…wenn, wenn, wenn. Wenn das Kind schwimmen gelernt hätte, wäre es nicht ertrunken.“ S. 50 Koljas Schwester Malu konnte schwimmen, gut sogar. Trotzdem liegt auch sie in der Klink für Kinder mit Nerven- und Hirnschäden, viele davon lagen vorher im Wasser, oft in Gartenteichen. „Jetzt geh und schau, was du angerichtet hast.“ S. 5, das hört er von der Mutter, die ihn auf den Weg schickt, zur Schwester, in die Klinik. „Damals, sagte der Vater, als der Hund starb, hast du Rotz und Wasser geheult, warum keine Träne für Malu? Er [Kolja] wäre gerne windelweich geschlagen worden, aber ohne Schläge, dachte er, dürfe er nicht weinen, weil es für einen, der ein so großes Unglück angerichtet hatte, kein Recht auf Tränen gab.“ S. 6
Ich könnte über dieses Buch schreiben nur mit Zitaten, in der wunderbaren Sprache von Autorin Monika Held, die berührt, bewegt, Zusammenhänge erklärt, ohne damit alle Fragen zu beantworten. Es sind Fragen, die dieses Buch stellt, die sich seine Protagonisten stellen, für die es oft keine Antworten gibt, mindestens keine leichten, oft wirklich gar keine. Es ist nicht nur die Geschichte von Kolja und seiner kleinen Schwester, von der Familie, die überfordert ist. Es ist auch die Geschichte von Ragna, die sich nicht mehr erinnert, die von Max, die… Es ist eine Geschichte vom „Vielleicht“ und von der Geduld, vom „Heim-Weh“ und von Sehnsucht. Ohne kitschig zu werden, ist das Buch berührend, melancholisch. Bitterkeit tritt es mit Wut gegenüber, Zärtlichkeit, der Härte mit Weichheit. Dadurch ist es kein trauriges Buch, oft eher tröstend.
Die Menschen gehen unterschiedlich um mit ihrem jeweiligen Schicksal in diesem Buch; doch selbst dort, wo ich nicht im Ansatz mit ihrem Verhalten einverstanden bin, bleiben sie nachvollziehbar selbst in ihren Extremen, menschlich, individuell, situativ wie ihre Art der Bewältigung. Der Text lotet Fragen aus, wenn man möchte: Wie weit darf ich mit meinem Kummer gehen? Es ist MEIN Kummer – aber vielleicht bin ich auch Mutter, Vater, Partner. Was macht Leben aus? Was ist Heimat? Das Buch bietet fast immer alternative Verhaltensweisen, Reaktionen, Strategien – ein „Richtig“ oder „Falsch“ ergibt sich daraus nicht zwingend. Alles wird gut? Nicht notwendig. Aber doch möglicherweise, manchmal.