Das erste Heft von MINT – MAGAZIN FÜR VINYL-KULTUR. Titel und Untertitel stellen klar, hier wird gelacht, wenn der Chef lacht. Nicht einmal NEAR MINT war drin. Sollen hier wirklich Leute angesprochen werden, die sich am liebsten selbst siezen? Mal sehen, was drin ist. Oha! Da stoße ich auf jemanden, der seine Bindung an den erschreckend überbewerteten Monumentalquark Wish You Were Here durch den Kauf von fünf unterschiedlichen Versionen dokumentiert und dafür mehrere Seiten im Heft erhält. Nun das ist aber wirklich verstörend. Taugt der für mich als Leitbild? Und zur „aggressive[n], kratzige[n] Rockmusik“ zählt er unter anderem Faith No More, Nirvana, Soundgarden. Und irgendeine Platte von irgendwem „ist der Inbegriff von Druck und Tiefe“. Uns beschleicht der Verdacht, Diktion und Gedankenwelt von Ernst Jünger sei gar nicht antiquiert. De gustibus non est disputandum. Oder: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Aber was genau ist interessant an Mainstreampositionen außer, dass sie als Redundanz andere Inhaber, besser: Bezieher von Mainstreampositionen in ihren Mainstreampositionen bestärken? „Ey“, möchte man ihm zurufen, „statt deine Anlage dagegen zu versichern, dass die Soundboards (Akustiktafeln, MINT, 1-2016, S. 22 Bildmitte) runterknallen könnten, kauf dir doch einmal vom dadurch Ersparten eine Platte, mit der du dich auseinandersetzen musst: Trout Mask Replica, Point of Departure, Daddy has a Tail oder irgendeine Platte mit so einer Socke auf dem Cover, die aus so dünnen Kabeln gestrickt ist. Oder FIre of Love von Gun Club oder frag Klaus Fiehe (MINT, 1-2016, S. 8f.) nach Black Gypsy, Klaus hat wirklich vernünftige Ansichten, der wird dir das Ding leihen. Er wird vermutlich selbst dann freundlich lächeln, wenn er sieht, wie du verschämt vorher die alte Ersatznadel einsetzt – und es auch nicht weitererzählen. Es geht ihm um Black Gypsy.“
Auch die Auswahl der rezensierten Platten richtet sich an ein geduldiges Publikum, dem ich mich trotz mittlerweile über vier Jahrzehnten der Auseinandersetzung mit Populärmusik nie zugehörig fühlen werde: geduldige Männer warten auf sogenannte Boxsets – solide Sache. Hier werden viele von ihnen besprochen – etwa das von „Rammstein“, diesen wieder und wieder ironisch mit der Semiotik des Faschismus spielenden Schlingeln („Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“ – der gute Franz S-SS-chönhuber nannte das noch „amouröse Patrouillengänge“) oder auch solche von Bob Dylan, David Bowie, Eels, Jean Michel Jarre (blimey!), Sisters of Mercy (blimey!) und Rush (blimey!) – mithin also topaktuelle Werke völlig unbekannter Interpreten. Bei Rammstein und David Bowie waren die Jungsin der Redaktion sogar so sehr aus dem Häuschen (Stichwort: Fandom!), dass sie vergaßen, den „Reissue“-Button irgendwie ins Foto zu montieren. Yo bro, that’s what we call attention to detail im deutschen Spitzenjournalismus, yolo!
Um nicht missverstanden zu werden: Mir bedeutet Musik nicht wenig und Schallplatten finde ich urst geil. Sie sind nicht nur reine Informationsträger, sondern auch Objekte (Fetischcharakter der Ware usw.), und ich finde exzellente Wiedergabe wunderbar. Doch selbst so Hervorragendes wie Masterpieces by Duke Ellington (1950, unterschiedliche Covers der US- und der englischen Originalversion und die womöglich erste echte 30cm-LP – "unbreakable" – in der Geschichte der Populärmusik) oder das Debüt The Allman Brothers Band (1969), das ich Jahrzehnte nach dem Kauf von Beginnings in der ursprünglichen Version auf ATCO entdeckte, benötige ich allenfalls zweimal. Und ich will dem Bubi kein Exemplar von Wish you were here wegnehmen. Ich habe es nach 35 Jahren vor 2 Jahren von vorn bis hinten durchgehalten. Bleib mir vom Arsch. Dit lohnt nicht, Leute. Nich ne Puseratze Interessantes. Ein Song von Blind Willie McTell hat mehr Komplexität und Feeling als alles von Post-Syd-Barrett-Pink Floyd. Zusammengenommen! Derartiges leitet junge Menschen mit unsicherem Urteil auf Abwege (s.o,): das Klang gewordene Äquivalent der Vergeudung von zwei der kostbarsten Güter, die wir haben: Aufmerksamkeit und Lebenszeit – ungefähr so interessant wie eine Demonstration von Wiedergabetreue in einem High-End-Geschäft.
Kommen wir also zum Negativen: Die Marke MINT sucht sich als eine für den gehobenen wertkonservativen Geschmack zu positionieren. Wer kann es ihr verübeln? MINT richtet sich „dementsprechend“ an die Leser des Rolling Stone, die sich nach Distinktionsgewinnen sehnen, weil ihnen im Rolling Stone die Nähe zu CD-Hörern missbehagt (Kannibalisierung der Rolling Stone-Klientel durch MINT? Wäre es andererseits ein Verlust, auf ein Magazin verzichten zu müssen, bei dem man weiß, was AOTY wird, wenn Mr. Robert Zimmerman himself in dem Jahr etwas Neues veröffentlicht hat?). Doch so wie der Rolling Stone bei Springer erscheint und also journalistisch am Tropf hängt (wenn der Universal-Boss zu einem aus der Chefetage von Springer beim Pitching aufm Green sagt: Ey, euer Volontär hat mir mit seinem Gekliere über die neue Depeche Mode 20000 Units in die Regale geklebt! Mach dem mal einen Einlauf. Boah, Alter, hast du an deinem Handicap gearbeitet!), kettet sich MINT auch ans Wohlwollen von Übermächtigen, in diesem Fall das der Major-Labels. Dass scheinbar kritisch das Phänomen „Helene Fischer auf Vinyl“ im „Streitgespräch“ touchiert wird, gefährdet niemanden. Aber selbst diejenigen, die wirklich gute Sachen nennen können wie etwa Wipers, the Modern Lovers oder Norman Blake (und damit nicht den Hansel von Teenage Fanclub meinen), werden nicht in a week full of Sundays rangelassen, den kulturellen Wert der „50th Anniversary Deluxe Edition“ von „Scorpions“ zu erörtern: Das ist nämlich (vgl. HAZ, 20. März 1979, S. 3, Gorlebentreck und so) das Dankeschön Hannovers an unsere amerikanischen Freunde dafür, dass man H-iroshima sagt und nicht H-annover, wenn man Bestimmtes meint. Über Musik wird in MINT weder geistreich noch ernsthaft im Sinn der Pressefreiheit verhandelt. Als Native Advertising andererseits ist MINT schlicht so langweilig, dass es – mein Ehrenwort darauf! – sogar noch eine Spur langweiliger ist als dieser Text.
Ich habe heute das erste Mal den Titel „Monk Time“ der Interpreten „The Monks“ gehört: Wenn man mal davon absieht, dass sie nicht wirklich gut ihre Instrumente beherrschen – gemessen am Standard von Rick Wakeman – und so abgedroschene Themen wie den Vietnamkrieg (gähn!) verhandeln, sind das trotzdem eigentlich Künstler, die man mal so im Auge behalten sollte. Was von denen noch so wohl kommt? Schade, auf der Platte fehlen Hinweis auf ihre Website oder Social-Media. Ich würde die gern ermuntern, es ruhig noch mal zu versuchen. Und alle Achtung, konsequent so mit Haarschnitt und Name, haben sie aber bestimmt von KISS. Gerade höre ich Effigy von Pelt. Ooch nicht verkehrt. Im neuen MINT wird bestimmt die Neue von Bowie besprochen. Und weil die ja nun – mit Verlaub – so wirklich gut ist, jedenfalls das Titelstück, wird klar, dass The Next Day einfach nur Publikumsbeschimpfung war. Ihr habt gedacht, der könnte echt nicht mehr besser. Ich fand es damals schlimm: Ich dachte, es handele sich um die Flabby White Dukes. Also, viele haben das ja verteidigt. Aber Black Star oder wie das Ding nun auch heißt, alle Achtung! Ich glaub, das ist sogar ein Schmankerl für production nerds (s. o.). Was für ein Lausbub, der Bowie. Immer wieder drollige Streiche auf Lager, und mein Thorens TD 318 läuft mittem Grado Silver. Ja, die Welt ist eine Scheibe und ich habe eine und wir können uns alle eine davon abschneiden . . . aber bitte, Limited Edition und MINT. Im neuen Heft steht das Thema "Liebe" auf der Titelseite. Da heißt es: Bitte anschnallen, das wird voll zur Sache gehen. Einige sollten sich jetzt schon warm anziehen, denn wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Produktempfehlungen? Senegal 70 auf Analog Africa, irgendwas von Heino Jaeger und naja, Mickie Krause, Ein Wort sagt mehr als 1000 Bilder, weil der Titel hat mich hierzu auch inspiriehert (da habe ich meine letzte jpc-Rezi abgesetzt, aber Achtung! Vinyl ist vergriffen!).