Perfekt ist Ansichtssache
„Eine fast perfekte Welt“ ist ein melancholisch schöner und zum Nachdenken anregender Roman, über ein Gefühl und den Wunsch, es 'perfekt' haben zu wollen. Wie kommen wir dahin und was können wir dafür tun?
Auf 205 Seiten, aufgeteilt in 50 kurze Kapitel, werden wir in eine sardische Familiengeschichte entführt, die drei Generationen umfasst. Sie beginnt mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und endet in der Gegenwart.
Ester, die das Leben in ihrem kleinen Ort auf Sardinien unerträglich findet, wartet den ganzen Krieg auf die Rückkehr ihres Verlobten Raffaele und darauf, dass er sie endlich heiratet und sie aus der Misere ihres öden Lebens rettet. Nach der Hochzeit gehen sie gemeinsam nach Genua, später nach Mailand. Die Zuversicht oder die Hoffnung, dass das Leben auf dem Festland besser wird, wird schnell getrübt. Auch hier bekommt sie keinen Fuß auf den Boden und hadert mit sich und der Welt. An allen und allem hat sie etwas auszusetzen. Überzeugt, dass eine Rückkehr nach Sardinien – ihre Heimat - sie wieder aufleben lässt, bringt sie zum Entschluss, wieder zurückzukehren. Und wieder kann sie sich nicht einfinden, dass 'alte' Leben gibt ihr nichts, außer Grund zum Nörgeln.
(Da habe ich mich gefragt, wie man(n) mit einer Frau wie dieser zusammen sein kann....)
Lichtblick in der Geschichte ist für mich Felicita, die Tochter von Ester und Raffaele. Sie zeigt sich als genau das Gegenteil von Ester. Ich denke, sie wird in der Geschichte bewusst den Namen Felicita bekommen haben, denn ihr Name bedeutet „die Glückliche“. Sie ist aufgeweckt, gutmütig, feinfühlig, geduldig und mutig und schafft es, sich mit sämtlichen Umständen zu arrangieren, ihnen meistens sogar etwas Positives abzugewinnen. Als sie ungewollt schwanger wird, eine Hochzeit mit dem Kindsvater – einem aus guten, reichen Hause stammenden jungen Mann - aber nicht stattfindet, zieht sie alleine nach Cagliari und bekommt ein Zimmer bei einer alleinstehenden eigenbrödlerischen Frau namens Marianna. Zwischen beiden Frauen entwickelt sich im Laufe der Zeit eine vertrauensvolle Freundschaft.
Felicita bringt einen Sohn zur Welt, den sie Gregorio nennt. Gregorio ist aber ein problematisches, Kind, das sich schwertut, sich in der Gemeinschaft mit anderen Kindern zurechtzufinden. Er wird zum Außenseiter, den fast alle Kinder meiden. Das einzige, was ihn interessiert ist die Musik, insbesondere das Klavierspielen. Und durch die Musik findet er zudem eine besondere Beziehung zu seinem Großvater Raffaele, der einst nach der Gefangenschaft und die Befreiung durch die Amerikaner die Liebe zum Jazz entdeckt hat. Auch wenn Felicita ein einfaches Leben führt – sie verdient sich ihr Geld, indem sie aus Müll Haushaltsutensilien herstellt - unterstützt sie ihren Sohn und ermöglicht ihm, seinen Musiktraum zu erfüllen und lässt ihn nach New York (sein 'Gelobtes Land') ziehen.
Der Roman ist ein stiller und tiefsinniger, melancholischer Roman. Die Handlung ist nicht spektakulär, aber die Charaktere sind vielschichtig und gut gezeichnet. Ich konnte mich in jede Lage hinein versetzen, aber bewundert habe ich vor allem Felicita, die der Welt positiv gegenüber steht und sich nicht entmutigen lässt und es schafft, auf alle Leute zuzugehen, sie nimmt, wie sie sind. Ihre Herzlichkeit und ihr Optimismus sind auch Grund dafür, dass viele ihrer Mitmenschen von ihren verbohrten und festgetretenen Standpunkten heraustreten, über ihren Schatten springen und der Welt offener gegenüber treten.
Während nämlich die eher pessimistisch eingestellte Ester - egal wo sie ist - sich fragt, „Wie schafft man es bloß, an einem Ort wie diesem zu leben?“ (S. 55), ist Felicita optimistischer eingestellt und meint, „dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo man sich nicht wohlfühlen kann“ (S. 104).
Und diese Eigenschaft, die Felicita an den Tag legt ist für mich eine Aufforderung, mal den Blickwinkel auf die Welt anders zu richten, nicht immer nach was Besseren streben, sondern auch mal mit dem zufrieden sein, was ist.
Denn, wer immer sucht, kommt nie an!
Man sollte sich beim Lesen des Buches ruhig Zeit lassen und die Sätze, und die teils tiefsinnigen / bewegenden Dialoge wirken lassen. Die Geschichte hallt bei aller „Ruhe“ des Romans nach.