Motten ans Licht
Michaela Coel ist eine kreative und kluge Drehbuchautorin („I May Destroy You“ und „Chewing Gum“) und in einem brisanten Armenviertel von London aufgewachsen – als Black and People of Color ist sie schon früh rassistischem Mobbing zum Opfer gefallen, später sogar einer Vergewaltigung unter K.O.-Tropfen. Als Coel 2018 eingeladen wurde, die MacTaggart-Lecture beim Edinburgh International Television Festival zu schreiben und vorzutragen, beginnt sie, ihren Schmerz nicht mehr zu verdrängen, sondern in ihrer bewegenden Rede ihre schonungslose Sicht auf ihre Traumata und auf die von Männern dominierte Medienbranche preiszugeben.
Kraftvoll und inspirierend bildet dieser Vortrag den eindringlichen Hauptteil des Manifests für Misfits und erzählt anekdotenhaft von ihrem Leben ohne Sicherheitsnetz, ihrer Arbeit, das Aufwachsen und die Liebe zum Theater und für Geschichten. Und es handelt ebenso um Sexismus, Rassismus, Überheblichkeit, Gewalt und Ausgrenzung. Coel ist ein berührendes und inspirierendes Plädoyer gelungen, nicht klein beizugeben, sondern Transparenz für soziale Missstände zu schaffen, sich nicht anzupassen, sondern seinen eigenen Weg mit erhobenen Kopf zu gehen und sich seinen Gefühlen und Verletzungen zu stellen.
Und so schwirren in Coels aufrüttelnden „Außenseiter“-Manifest gezeichnete Motten durch die Seiten – ein Tier, das sie verabscheut und dennoch magisch anzieht und zusammen mit der Totenkopf-Motte begibt sich die junge Autorin hin zu einer Metamorphose am Licht. Humorvoll, intelligent, ehrlich – ein wichtiges Buch, das zum eigenen Reflektieren einlädt, Mut macht und empathisch für gegenseitigen Respekt wirbt. Wenige Seiten, aber große Visionen!
„Misfits klettern nicht auf der Suche nach Sicherheit oder Profit, sie klettern, um Geschichten zu erzählen. Sie steigen von der Leiter und auf die Schaukeln; sie schwingen hin und her, streben nur nach Transparenz. Sie bemerken die Veränderungen, aber fragen sich, ob diese Veränderungen innerhalb eines fehlerhaften Systems stattfinden.“ S. 108