Ein überzeugender Genre-Mix mit interessantem Charakterspiel und einer dichten Atmosphäre
„Ich befand mich im schwerelosen Fall zwischen den Welten, zwischen Eidesschwüren und blinder Furcht, zwischen Treue und Gerechtigkeit – zwischen Liebe und Verachtung.“ (S. 478)
Meine Meinung:
„Der Klang der Täuschung“ ist der erste Band einer neuen Dilogie von Bestsellerautorin Mary E. Pearson, der in der gleichen Welt wie „Die Chroniken der Verbliebenen“ spielt. Ein paar Jahre sind seitdem vergangen und einige Protagonisten von damals tauchen auch hier am Rande wieder auf. Dennoch ist „Der Klang der Täuschung“ ein eigenständiges Werk, dass man auch sehr gut lesen, verstehen und genießen kann, wenn man die „Verbliebenen“ nicht kennt – so wie ich.
Für mich war es also ein unvoreingenommener Start in diese versehrte Welt, die noch immer von dem verheerenden Krieg gezeichnet ist, der auch bei den Menschen seine Spuren hinterlassen hat. Eine kleine Gruppe von Rahtan („versage niemals!“), Leibgarde der Königin aus Venda, wird in einer geheimen Mission ausgesandt, um den Kriegstreiber Illarion aufzuspüren und der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Die Führung übernimmt hierbei die Soldatin Kazimyrah („Kazi“), die in ihren 17 Lebensjahren schon sehr viel Leid und Ungerechtigkeit ertragen musste. „Vollwaise, Straßengöre, Herausforderin einer Königin, Rahtan“ – so beschreibt Kazi sich selbst, „Schattenmädchen“ riefen sie Viele, „Zehn“ lautete ihr hart erkämpfter Spitzname. Kazi ist eine Protagonistin ganz nach meinem Geschmack: absolut tough, straight und doch mit einem großen Herzen für die Armen und Schwachen. Durch einen Erzählstrang aus Kazis Sicht lässt uns die Autorin schon früh sehr tief in Kazis Seele blicken, was sie als Figur unglaublich plastisch und authentisch macht. Kazi mochte ich vom Start weg.
Anders erging es mir mit dem zweiten Protagonisten, Jase Ballenger, dem Partrei von Torsfeste. Ähnlich wie Kazi fand ich ihn zu Beginn eher unsympathisch, doch genau wie Kazi lernte auch ich als Leser im Verlauf der Geschichte, sein Handeln und seine Beweggründe besser zu verstehen, so dass auch er mir über die Zeit wirklich sympathisch wurde. Und hier liegt auch bereits eine der ganz großen Stärken dieses Romans – im Zusammenspiel und in der Entwicklung der beiden sehr heterogenen Hauptcharaktere. Jase hat starke Wurzeln, auf die er sich stets verlassen kann, während Kazi nahezu wurzellos ist und ihr damit der Halt fehlt, anderen Menschen wirklich vertrauen zu können. Dies ist Mary E. Pearson in Summe für meinen Geschmack hervorragend gelungen. Die Wechselwirkung zwischen beiden lässt sich mit folgendem Zitat wunderbar beschreiben:
„Wir tänzelten umeinander herum, einen Schritt vorwärts, einen zurück, umkreisten uns, übernahmen abwechselnd die Führung und versuchten zu erraten, wie die nächste Bewegung aussehen würde. Er traute mir genauso wenig wie ich ihm.“ (S. 88)
Die Geschichte selbst hatte mich schnell gepackt und bis zur letzten Seite nicht mehr losgelassen, auf der die Autorin noch einen „gemeinen“ Cliff-Hanger parat hält. Auch wenn die Grundidee und das Leitmotiv dieser Geschichte nicht außergewöhnlich sind, fand ich doch die Welt und ihre Beschreibung, sowie die Geschichte, die hinter allem zu stehen scheint, sehr faszinierend, fesselnd und extrem atmosphärisch. Zwischen Fantasy und Romantasy schimmert immer wieder ein anderes Genre durch, das ich hier noch nicht verraten möchte. Ich denke mal, dass die Autorin in folgenden Bänden hier noch mehr Hinweise streuen wird…
Alles in allem eine wunderbar unterhaltsame und fesselnde Lektüre, von der ich noch folgendes Zitat gerne nachwirken lassen möchte:
„Wir können nicht immer unsere eigenen Maßstäbe anlegen, wenn wir die Welt von anderen betrachten.“ (S. 349)
FAZIT:
Für alle Fans der „Verbliebenen“ ein absolutes Muss! Für Neueinsteiger eine fesselnde und extrem atmosphärische Fantasy-Lektüre.