"Don´t judge by a book by it´s cover - aha!"
Martina Bergmann: Mein Leben mit Martha.
Ja, es ist ein Buch, denn es hat Seiten, vorne und hinten ist es in Pappe fest gebunden, und man kann darin blättern. Ja, es ist auch das, was vorne drauf steht, ein Roman, denn was hier erzählt wird wirkt zunächst wie eine ausgedachte Geschichte, versehen mit einer sympathischen Grundidee. Ja, die Idee ist nett, weil sie, die Autorin, dem Leser u.a. vermitteln will, wie spannend und bereichernd das Leben mit verwirrten alten Menschen - hier Martha und Heinrich - sein kann und welche interessanten Sichtweisen sich im Zusammenleben entdecken lassen, die unsere normale, alltägliche Sicht auf die Dinge mitunter wertvoll und irritierend zugleich bereichern können.
Nein, das ist wahrlich keine wirklich neue Sicht, und abgesehen davon, dass einem nahezu jeder mit der Pflege verwirrter älterer Menschen nur ein wenig Vertraute berichten kann, wie sehr sprachlos man selber oft sich erleben kann angesichts der spontanen Sprachakrobatik dieser Alten, wird man sich als vielleicht bereits selbst ergrauter Mensch an so gelungene Vorlagen zum Thema Anders-Alt-Werden wie „Harold und Maude“ erinnern und wird sich angesichts dessen mit dem hier Abgelieferten höchst unzufrieden fühlen. Nein, es ist kein guter Roman, denn als geneigter Leser fühlt man bei nahezu keiner der leider nur in Ansätzen interessant dargestellten Figuren eine irgendwie geartete Entwicklung, es fehlen sinnstiftende biographische und/oder historische Hinweise auf das bisherige Leben und Werden von Heinrich und Martha. Und Einblicke in geistige Regungen und Reflektionen der beiden werden uns ebenfalls weitestgehend vorenthalten. So wird beispielsweise von Heinrich, dem alten promovierten Verehrer der Ich-Erzählerin, fast wie nebenbei auf den bevorstehenden Tod zugelebt und schließlich gestorben, und die Dialoge, die es eventuell ersatzweise leisten könnten, Tiefe herzustellen, bleiben flach, zum Teil schwer verständlich, erscheinen mitunter sinnfrei. Es fehlt ein irgendwie gearteter, geschweige denn gelungen modulierter Spannungsbogen in dieser ländlichen Welt, die als scheinbar unvereinbar unterteilt in Martha-Versteher, die Guten, und Bergmann-Feinde, die Schlechten, dargestellt wird.
Und nein, es ist keine gute Idee, die literarische Form des Romans zu wählen, um öffentlich mit einer Umgebung abzurechnen, die aus welchen Gründen auch immer, mit wechselnden und immer höchst negativen Attributen wohl erlebt wurde und hier beschrieben wird. Hier wird der Anspruch, Literatur zu betreiben, mindestens persifliert, wenn nicht sogar dilettantisch verraten, wenn wir uns als Leser durch die Darstellung einer primitiven Landbevölkerung in und um das Fantasie-Städtchen Borgholzhausen arbeiten müssen und dabei vor keiner Schwarz-Weiß-Malerei und keinem noch so üblen, mitunter an Rassismus grenzenden Vorurteil gegenüber bäuerlich und ländlich geprägter Kultur verschont werden. Erfreulich erscheint, dass die geschilderten immer wieder aufkochenden Wut-Impulse der Ich-Erzählerin gegenüber Teilen ihres Umfeldes bis zum Ende der Geschichte wenigstens nicht zu den phantasierten Handlungen geführt haben, und bei ihren als Feinden erlebten Mitmenschen und Nachbarn bislang, soweit bekannt, alle Fenster heil blieben. Dennoch habe ich mich als ehemaliger Nachbar der realen Martha und des wirklichen Heinrich nach Lektüre dieses Ärgernisses tatsächlich dabei erwischt, die im Hause vorrätigen Feuerlöscher auf ihre Funktionstüchtigkeit zu überprüfen.
Ja, dieses Buch ist ärgerlich, denn es benutzt das aktuell gut verkäufliche Thema Alter als Vehikel für die Erledigung eigener, sehr niedriger Motive, und das auf ebenfalls sehr niedrigem Niveau. Diskursive Auseinandersetzung mit einem Thema auf einer literarisch anspruchsvollen Ebene ist es jedenfalls nicht. Aber: es ist immerhin ein Buch, es hat einen Preis, und den bezahlt man, wenn man es kauft. Und verkaufen tut es – die Buchhändlerin. Wenigstens das scheint ihr nicht schlecht zu gelingen. Und das in Borgholzhausen!
Andreas Düchting, Melle-Holterdorf