Emotionale Geschichte mit einem wunderschönen Schreibstil
"Dein fremdes Herz" erzählt die Geschichte von Nela, deren Vater sie verlassen hat, als sie ein Kind war und den sie danach nie wieder gesehen hat, bevor er gestorben ist. Diese Vorkommnisse belasten sie auch jetzt noch und deshalb empfindet sie sehr gemischte Gefühle, als sie Briefe erhält, die die neue Partnerin ihres Vaters ihr geschickt hat - mit der Bitte, den Mann aufzusuchen, der sein Herz erhalten hat.
Ich kenne bereits zwei Bücher der Autorin aus anderen Genres und bei beiden hat mir vor allem der wunderschöne Schreibstil gefallen, was auch bei "Dein fremdes Herz" der Fall war. Er ist beinahe poetisch und voller Metaphern, die äußerst bildgewaltig sind. Sehr gut gefallen hat mir, dass die Briefe, die Ellen an Hannes geschrieben hat, sprachlich anders sind als der Rest der Erzählung, da es anders nicht realistisch gewesen wäre. Die Briefe waren für mich auch klar das Highlight des Buches. Die Geschichte von Ellen und Hannes ist unglaublich emotional, aber auch tragisch und teilweise herzzerreißend; zudem stecken viele Gedanken über Liebe und das Leben an sich in diesen Worten.
Das Thema 'Organspende' spielt für die Handlung eine entscheidende Rolle, da Nela ja auf den Mann trifft, der vermutlich das Herz ihres Vaters bekommen hat, und mir hat sehr gut gefallen, wie Seck mit diesem Thema umgegangen ist. Der Fokus liegt darauf, wie sich alles sowohl auf die Familie des Spenders als auch den Empfänger und dessen Angehörige auswirkt und ich fand sehr gut, dass hier nichts beschönigt wurde. Wenn man selbst keine Erfahrung mit dem Thema hat, ist es leicht zu denken, dass eine Organspende eine Erlösung und absolut positiv ist, doch die Autorin zeigt hier auf, dass dies keineswegs der Fall ist und auch negative oder sogar ambivalente Reaktionen normal sind - ganz zu schweigen davon, dass es nach wie vor gesundheitliche Probleme und Risiken geben wird. Dadurch regt die Erzählung zum Nachdenken an und die Gefühle aller beteiligten Personen sind sehr komplex, weshalb es leicht ist, sich in sie hineinzuversetzen.
Ich fand die Geschichte teilweise vorhersehbar, insbesondere in Bezug auf die Enthüllungen über die Vergangenheit von Nelas Vater, doch die Reaktion der Protagonistin darauf war dennoch aufwühlend und es wurde offensichtlich, wie sehr die Vorkommnisse sie geprägt haben. Aus diesem Grund war es schön zu sehen, wie sie sich im Lauf des Buches weiter entwickelt und dass sie langsam angefangen hat, alles zu verarbeiten. Es gab auch eine Liebesgeschichte, die ich sehr gut fand, doch sie trat für mich klar hinter die anderen Handlungsstränge zurück. Allerdings passen die beiden auf jeden Fall zusammen und ich fand gut, dass sie sich gefunden haben, auch wenn das Ende irgendwie bittersüß ist.
Zu kritisieren habe ich, wie Nela mit einem gewissen Geheimnis umgegangen ist, das meiner Meinung nach viel früher hätte thematisiert werden sollen; die Dramatik, mit der es schließlich enthüllt wurde, wäre für mich nicht nötig gewesen und ich hatte auch den Eindruck, dass im letzten Drittel zu viel zu schnell passiert ist, insbesondere, da die ersten beiden Drittel vergleichsweise gemächlich und trotz aller Emotionalität ruhig waren. Am Ende hätte ich außerdem gerne noch weitere Details bekommen, doch davon abgesehen hat der Epilog mir gefallen und er war ein gelungener Abschluss.
Bei der Bewertung habe ich mich für vier Sterne entschieden. Die komplexen Gefühle der Charaktere wurden realistisch dargestellt und der Umgang mit dem Thema Organspende war angemessen sensibel, ganz zu schweigen davon, dass ich die Geschichte emotional und den Schreibstil toll fand.