Das Geheimnis einer Familie
Sadie Sparrow ist eine Polizistin, die für ihre Kollegen nicht immer bequem ist. Für ihre Weigerung, den Fall Maggie Bailey als abgeschlossen anzusehen und das, was sie deshalb getan hat, wird sie quasi zwangsbeurlaubt. Sie fährt zu ihrem Großvater aufs Land. Beim Joggen mit den Hunden entdeckt sie ein verlassenes Haus am See. Es scheint, als wären die adeligen Bewohner sehr kurzfristig weggegangen – alles steht noch da, als käme jeden Moment jemand zurück, nur liegt jetzt eine dicke Staubschicht auf allem. Sadie interessiert sich für die Geschichte der Bewohner und stößt auf einen Cold Case: der kleine Sohn Theo der Besitzer ist in den 1930er Jahren bei einem Mittsommerfest spurlos verschwunden. Sadie möchte herausfinden, was damals geschehen ist …
Kate Morton hat in diesem spannenden, aber auch romantischen Buch drei verschiedene Zeitebenen und eine ganze Menge loser Fäden so angelegt, dass es sich trotzdem flüssig und leicht lesen lässt. Mir gefällt es nicht, wenn so viele lose Fäden in einem Buch verwoben werden sollen, aber hier passt es und ergibt einen Sinn.
Bisher kannte ich diese Schriftstellerin nicht und ich mag keine historischen Romane oder Liebesromane. Aber Kate Morton hat ein ganz eigenes Genre entstehen lassen mit der Mischung von diesen beide Genre mit dem Genre des Kriminalromans.
Es lässt sich kaum beschreiben, wie tief ich in diese Geschichte eintauchen konnte, wie sehr ich die Protagonisten mag und wie sehr ich mitgefiebert, mitgefeiert, mitgetrauert und mitgeliebt habe. Dazu die Spannung, die durchweg vorhanden ist und genau richtig dosiert in Spitzen ansteigt.
Auch wenn ich recht früh ahnte, wie die Lösung des Rätsels ist, gefiel mir der Weg dahin und das ganze Drumrum sehr gut. Sogar die unsympathischen Figuren sind mir ans Herz gewachsen. Die drei Schwestern Deborah, Alice und Clementine Edevane wachsen in einer Zeit auf, die ganz besonders schwer ist: sie erleben zwei Weltkriege. Ihr kleiner Nachzüglerbruder wird von allen geliebt, ganz besonders vom Kindermädchen Rose. Ihre Mutter liebt ihren Mann abgöttisch, ebenso das Anwesen, das dieser für sie gerettet hat. Auch ihre Kinder liebt sie, doch diese sind sehr auf den Vater fixiert. Der Leser spürt Eleanores Gefühle sehr viel besser, als die eigenen Kinder. Vielleicht mag man sie deshalb umso mehr. Die Protagonisten der Gegenwart (bzw. des Jahres 2003) sind erwachsen, teils alt. Sie erinnern sich an die alte Zeit – und man fühlt sich, als würden die Großeltern von früher erzählen. Sadie und Peter sind die jüngsten Figuren in dieser Ebene und damit das Bindeglied zum Leser. Mir persönlich gefällt dieses Konstrukt sehr gut. Das Ende des Buches lässt offen, ob es irgendwann eine Fortsetzung geben wird. Das Potenzial wäre vorhanden, aber es gibt keinen Cliffhanger.
Es klingt anstrengend, wenn ich sage, dass es immer wieder Zeitsprünge gibt, auch innerhalb der einzelnen Fäden. Aber die Autorin schafft es, diese sinnvoll sein zu lassen und dem Leser stückchenweise Informationen zu geben, die für das Gesamtverständnis und die Story wichtig sind. Der Lesegenuss ist enorm – man vergisst Raum und Zeit bei der Lektüre. Die Beschreibungen der Orte und Personen ist sehr gut, aber nicht überladen. Auch wenn der Stil oft ein wenig altbacken anmutet, passt er doch zu den entsprechenden Figuren. Die Wendungen sind überraschend, aber nicht mit Gewalt konstruiert. Insgesamt ist alles sehr stimmig und in sich geschlossen. Ich habe die Lektüre nicht nur genossen – ich habe das Buch geradezu inhaliert!
Die Geschichte selbst beinhaltet noch viele kleine andere Themen – erste Liebe, Betrug, Teenagerschwangerschaft, Mutterliebe, Adoption, Familienzusammenhalt, Klassendenken usw. Man möchte denken, dass selbst 600 Seiten für so viele Themen zu wenig sind, doch Kate Morton hat gezaubert und ein dichtes, gut gewebtes Werk entstehen lassen, das einfach glücklich macht und auch zum Nachdenken anregt. Ganz besonders schön finde ich, dass die Figur Alice eine Schriftstellerin ist, die schon als Kind nur eines wollte: schreiben!
Ich bin froh, dass ich neugierig genug war, dieses Buch zu lesen, obwohl der historische Teil recht viel Raum einnimmt. In dieser Variante mag ich historische Romane dann doch sehr gern! Für mich ist „Das Seehaus“ das Buch des Monats – und vielleicht sogar des Jahres! Volle fünf Sterne!
(c) Catmaniac