Aufkeimende Frauenpower
Eine tolle fiktive Geschichte über eine mutige, willensstarke junge Frau vor dem Hintergrund der Umbruchstimmung während der Weimarer Zeit um 1918/1919
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Klara (19 Jahre) hat gerade ihr Abitur gemacht; die Welt lädt sie ein, ihren eigenen Weg zu gehen. Doch welcher Weg ist der richtige? Oder anders gesagt: Welcher Weg ist IHR Weg?
Klara ist fasziniert von Frauen, die wie die durch die Weltgeschichte reisende Anna Amalia aus der Reihe tanzen und einen 'besonderen, unkonventionellen' Lebensstil führen. So kommt es ihr gelegen, dass sie ihrem Verlobten, dem Arzt Fritz Faber, vom kleinen beschaulichen Weimar in die pulsierende Großstadt Berlin folgen kann. Es ist für sie ein völlig andere Welt. In Berlin scheinen die Uhren anders zu ticken. Berlin ist aufregend und irgendwie salopper. Mit dieser Lockerheit wird sie, kaum dass sie in Berlin am Anhalter-Bahnhof ankommt, in Gestalt von Kiki konfrontiert, in der Klara sofort eine gute Freundin und 'Lebensberaterin' findet. Kiki ist mit ihrer schnoddrigen und direkten Berliner Schnauze einfach klasse. Man (auch der Leser) muss sie einfach gern haben! Durch Kiki aber auch durch Martha (ein 'Bekannte' von Fritz) wird Klara motiviert, ihr Leben in die Hand zu nehmen und auf eigenen Füßen zu stehen und ihr eigenes Geld zu verdienen, um unabhängig zu sein. Gemeinsam mit Martha beschließt sie, eine Frauenzeitschrift herauszugeben, die sich ausschließlich mit Interessensgebieten von Frauen befasst. Während Klara immer mehr ihre Ideale hinsichtlich der Selbstbestimmung der Frau verfolgt und darin aufgeht, entfernt sich aufgrund der in Berlin herrschenden politischen Unruhen Fritz immer mehr von seinen politischen und sozialen Idealen und will zurück nach Weimar. Klara geht widerwillig mit. Sie ist enttäuscht von Fritz und entfernt sich zudem gefühlsmäßig immer mehr von ihm. In Max, einen weitläufigen Bekannten von Fritz, findet sie einen faszinierenden Freund auf Augenhöhe. Ein weiterer Trost für sie ist allerdings, dass sie für die Zeitschrift auch aus der Ferne Artikel schreiben kann und gleichzeitig auch den Sitzungen der Nationalversammlung (Februar 1919) beiwohnen und von ihnen berichten kann. Als jedoch ein Bericht, der ein 'heikles Thema' beinhaltet in der Frauenzeitschrift erscheint, löst dieser nahezu einen politischen Skandal aus, der die Nationalversammlung zum (Ver)Handeln zwingt, so dass über einen 'wichtigen – insb. Frauen betreffenden - Artikel' der Weimarer Verfassung diskutiert wird.
Allein das etwas verträumt wirkende Titelbild, welches in zarten, ruhigen Farbtönen gestaltet ist, hätte mich nicht zum Buch-Greifen animiert. Die Inhaltsangabe konnte mich aber überzeugen!
Die Autorin hat einen sehr schönen authentischen Roman geschrieben, über eine Zeit, die nun schon 100 Jahre her. Der Schreibstil ist flüssig, so dass man sich schnell in die Geschichte einfinden kann und das Handeln und Denken der Protagonisten nachvollziehen und verstehen kann. (Wobei man aus der heutigen Sicht nicht immer Verständnis haben muss.) Es macht Spaß zu lesen, da die Geschichte von sehr vielen unterschiedlichen Charakteren lebt. Jede(r) wird da schon seinen Liebling finden. Immer wieder finden sich lockere und humorvolle Passagen, die einen zum Schmunzeln bringen. Ebenso schafft Joan Weng es, die widrigen Umstände (Hunger, Armut, Verzweiflung) durch die bildhaften Beschreibungen nahe zu bringen.
Beim Lesen wird einen immer wieder bewusst, auf welche soziale Rolle Frauen („Heimchen am Herd“) in der damaligen Zeit noch festgelegt waren. Aus unserer heutigen Sicht (fast) ein Unding. Gleichzeitig zeigt sie aber, dass es gerade in dieser Nachkriegs-Zeit – eine Zeit des politischen und sozialen Umbruchs – einzelnen Frauen gelungen ist, eigene Wege selbstbewusst und selbstbestimmt zu gehen und das Korsett der Konventionen, aller gesellschaftlicher Missachtung zum Trotz, zu sprengen und konservativ Denkenden die Stirn zu bieten.
Dies war mein erster Roman, den ich von Joan Weng gelesen habe – und eins weiß ich gewiss: Es wird nicht der letzte sein. Und zum Glück gibt es ja eine Menge Romane von ihr, auf die ich schon zurückgreifen kann.
Dieses Buch hat 5 Sterne verdient, da es
a) ein kleiner lockerer Geschichtsunterricht über die Weimarer Zeit ist und
b) einen schönen historischen Liebesroman impliziert, der
c) zudem Mut macht, für seine Ideale, Ziele und Träume zu kämpfen.