Roman über eine couragierte Frau
Nachdem ich unlängst mit großer Begeisterung "Südfall" gelesen habe, den Roman von Florian Knöppler über einen englischen Piloten, der Ende August 1944 mit seinem Fallschirm vor der Hallig Südfall landet und dort Menschen begegnet, die ihm hilfreich zur Seite stehen, war ich sehr neugierig auf "Die Gräfin". Im Mittelpunkt des Debüts von Irma Nelles steht nicht der Pilot, sondern die Gräfin von Reventlow-Criminil, die ihn in ihr Haus aufnimmt. Ich war sehr neugierig auf die nun aus anderer Perspektive erzählte Geschichte und hatte hohe Erwartungen - doch glücklich bin ich mit dem Buch leider nicht geworden.
Diana Henriette Adelaide Charlotte Gräfin von Reventlow-Criminil lebt seit 30 Jahren an der nordfriesischen Küste. Die Sommer verbringt sie regelmäßig auf der kleinen Hallig Südfall. Sie ist bereits über 80 Jahre alt und führt seit langem ein Leben in Abgeschiedenheit und fern des glanzvollen Hochadels. Die Hallig-Gräfin, wie sie von den Bewohnern der Nachbarinseln genannt wird, beschäftigt auf ihrem Anwesen seit 8 Jahren Haustochter Meta und Knut Maschmann, der seit über 20 Jahren für sie als Kutscher und Faktotum tätig ist. Als sie im Spätsommer 1944 auf einer Sandbank ein kleines Flugzeug entdeckt, das dem Anschein nach abgestürzt ist, rettet sie den Piloten aus dem Cockpit und versteckt ihn. Es handelt sich um einen Engländer, der in ihrem Haus seine Verletzungen auskurieren wird. Niemand außer ihr und den wenigen eingeweihten Personen darf wissen, dass die Gräfin den Feind versteckt.
Die Geschichte, die einen Zeitraum von nur 6 Tagen umfasst, ist in klarer Sprache - teils in plattdeutsch - erzählt, sie basiert auf wahren Begebenheiten. Die Autorin wuchs in der Nähe der Hallig Südfall auf, sie kannte viele Personen selbst und wusste um die Mythen, die sich um die Gräfin ranken. Das karge Leben auf der Hallig in Kriegszeiten und die Naturgewalten hat Irma Nelles sehr atmosphärisch und faszinierend beschrieben. Man spürt ihre Liebe zu der ihr vertrauten Region.
Die zentrale Figur des Romans ist die charakterstarke und mutige Gräfin, die von der Autorin sehr authentisch dargestellt wird. Die Gräfin war für die damalige Zeit eine äußerst beherzte Frau, die sich schon früh gegen die Ehe entschied und ein selbstbestimmtes Leben führte. Ich hatte Hochachtung vor der eigenwilligen Adeligen, die früh von den nationalsozialistischen Plänen wusste und immer wieder ihr Leben riskierte, um Verfolgten zur Flucht zu verhelfen. Die interessanten Nebenfiguren, der Pilot John, Meta und Knut sowie das Ärzteehepaar Braak sind gut gezeichnet. Ich fand die Geschichte, die mir im Großen und Ganzen gefallen hat, nicht gerade spannend. Die ausführlichen Schilderungen aus der Vergangenheit der Gräfin empfand ich häufig als etwas zäh und eher langweilig. Im Gegensatz hierzu hätte ich mir gewünscht, mehr aus Johns Leben zu erfahren. Der Roman endet leider ziemlich abrupt, viele Fragen bleiben offen.
Meine Erwartungen an das Buch sind leider nicht erfüllt worden. Am besten haben mir die schönen und faszinierenden Natur- und Landschaftsbeschreibungen gefallen, die Handlung hingegen hat mich - auch wegen der recht sachlichen Erzählweise und des Fehlens jeglicher Emotionen - nicht überzeugen können.