Die brutale Flucht wirkt ein Leben lang.
Der 1937 in Kostau im Kreis Kreuzburg geborene Horst Bogatz hat erst jetzt seine Autobiografie unter dem Titel „Die lange Flucht hat nun ein Ende“ veröffentlicht. Aber gearbeitet hat er an diesem Buch bereits seit einigen Jahren, was man bei der Lektüre des Werkes erfährt.
Vielleicht soll es tatsächlich ein Ende einer langen Flucht markieren, vielleicht brauchte es einfach Zeit und die Perspektive eines Menschen mit Lebenserfahrung, um solche persönlichen Zeilen zu verfassen, in die auch seine oberschlesische Heimat einbezogen worden ist.
Der Autor betont zwar die individuelle Perspektive seines oberschlesischen Schicksals, vergisst aber nicht, sie im breiteren Rahmen der damaligen Geschehnisse in Oberschlesien und darüber hinaus darzustellen. Dabei geht es ihm nicht um eine reine Zeittafel, sondern primär um die mit der Flucht und der Vertreibung verbundenen Elemente auf verschiedenen Ebenen des privaten und gesellschaftlichen Funktionierens in einer neuen Umgebung.
Horst Bogatz ist der Sohn eines Bäckers, eines „Pjekosch“, wie er den Beruf seines Vaters auch im wasserpolnischen Dialekt nennt. In seinen Erinnerungen gewährt er dem Leser Einblick in eine eher unbekümmerte Kindheit auf dem oberschlesischen Lande, dessen Sitten und Bräuche und vor allem die katholische Religiosität seiner Menschen ihn für sein ganzes Leben geprägt haben. Die erste Zäsur kam für den Jungen mit der Einberufung des Vaters zur Wehrmacht, die zweite und entscheidende Mitte Januar 1945 mit der Flucht vor der Roten Armee.
Der gut gebildete und belesene Horst Bogatz kommentiert nach Jahren den Zustand, in dem er sich mit seiner Familie damals befand:„Von nun an begann für uns das Leben von Immigranten: Nirgends zu Hause, nirgends beheimatet. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Sturz ins Elend: bedeutet doch >>Ellende<< im Mittelhochdeutschen: anderes Land, Fremde, Verbannung und noch heute: Not, Jammer. Wir mussten also in der Fremde wohnen und überleben. Um zu überleben, wurde die Phantasie- und Gefühlstätigkeit auf das lebensnotwendige Minimum reduziert, man konzentrierte sich ausschließlich auf das physische Überleben. Alle Gefühle wurden tief eingefroren. Später lernte ich, dass man diese Schädigung der Aggressionsverarbeitung >>Zentralisation<< nennt. Und der Begriff >>Post Traumatic Stress Disease<< (PTSD-Syndrom) wurde erst 1980 diagnostiziert“.
Horst Bogatz beschreibt in seinem Buch nicht nur die einzelnen Stationen seines Werdeganges im Westen, beginnend in Niedersachsen. Was das Buch zusätzlich interessant macht, sind eben Bogatz´s Kommentare zu der gesellschaftlichen Entwicklung zunächst in der BRD und später im vereinten Deutschland.
Fast hätte es keine Gelegenheit gegeben, dieses interessante Buch zu lesen, denn wie Bogatz schreibt: „Anfangs war mein Plan, diesen Rückblick in erster Linie für unsere Kinder und Enkelkinder zu schreiben."
Während seiner Studienzeit wurde Horst Bogatz Mitglied beim Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und anschließend auch beim Kuratorium Unteilbares Deutschland, um den Gedanken an die Wiedervereinigung hochzuhalten. Kürzlich ist er der WerteUnion beigetreten, ohne einer Partei anzugehören.
"Während des Schreibens wurde mir aber immer mehr bewusst, dass ich diese Erinnerungen auch für mich verfasst habe. Die ausgelösten Reflexionen sind eine notwendige Voraussetzung für die Aussöhnung mit vielen unterdrückten Ereignissen“.
Unser Landsmann Horst Bogatz hat am Ende jedoch die richtige Entscheidung getroffen, jetzt kann sein Buch auch in seiner oberschlesischen Heimat mit Gewinn gelesen werden. Der Autor hat uns viel zu sagen.
Dr.Stefan Pioskowik
Horst Bogatz,Die lange Flucht hat nun ein Ende, Deutsche Literaturgesellschaft, Zug 2021, 158 Seiten,
ISBN 978-3-03831-265-9