So vielseitig wie die Durchschnittsfüllung der Tablettenbox von Groens Mitbewohnern!
Hendrik Groen gehört nicht zu den Menschen im Seniorenheim, die jeden Tag die Einnahme ihrer Tabletten unter goßem Getue zelebrieren, pausenlos wehklagen, kundtun, was früher alles besser war, erst wenn es um Beschuldigungen und Verschwörungen geht wieder so richtig aktiv werden, sich gar nicht mehr aus dem Haus trauen oder es nicht bemerken, wenn die Zeitung, die sie gerade lesen, noch aus der letzten Woche stammt. Zwar kann er gesundheitlich den langsamen Verfall nicht leugnen, jedoch fühlt er sich alleine von seiner Einstellung her Lichtjahre von den ganzen alten Menschen entfernt.
Nun, im Alter von 83 1/4 Jahren beschließt er, nicht mehr zu allem Ja und Amen zu sagen, sondern lieber seine Meinung kundzutun. Darüber hinaus beginnt er mit dem Schreiben eines Tagebuchs, wobei er sich vornimmt, ganz ungetrübt das Leben im Altenheim widerzugeben. Ungeschönt und unverblümt. Sollte er vor seinem besten Freund Evert Duiker sterben, was er so fest eingeplant hat, soll dieser ein paar nette – wenn auch nicht gerade schmeichelhafte – Passagen aus dem geheimen Tagebuch vorlesen.
Da er alte Menschen generell nicht mag und Großveranstaltungen wie das feierliche Mitklatschen zu „Tulpen aus Amsterdam“ oder heikle Gymnastikübungen im Sitzen nur zu gerne versäumt, hat Hendrik Groen so viele Freunde im Altenheim in Amsterdam-Nord nicht. Mit seinen rebellischen – ja gerade zu vandalistischen – Taten macht er sich auch nicht gerade mehr Freunde. Viele verstehen diese Befreiungsschläge gegen das Establishment, vertreten durch die Heimleitung, nicht so ganz.
Als dann aber eine neue Bewohnerin, Eefje Brandt, einzieht, die mit dem ganzen Geschlurfe und Gestöhne auch nichts zu schaffen haben möchte, ist eine neue Verbündete gefunden. Rein zufällig wird so am Montag, dem 19. Februar, ein Rebellenclub gegründet. Mitglieder: Hendrik Groen, Evert Duiker, Eefje Brandt, Edward Schermer, Grietje de Boer und Graeme Gorter. Vereinsname: Alt-aber-nicht-tot, oder kurz: Alanito. Die Mitgliederzahl ist vorerst auf sechs Personen begrenzt, sodass neue Mitglieder aufzunehmen nicht möglich ist. Ein guter Schachzug in Anbetracht der ganzen Nörgler, die bald der Neid, dann das Misstrauen und schließlich das Lästern packen wird. Das Ziel des Clubs ist es, gegen die chronische Ereignislosigkeit anzukämpfen, weswegen bei einer bewegenden Gründungsversammlung beschlossen wird, dass, unter Betrachtung der Gebrechen und finanziellen Möglichkeiten der Mitglieder, in regelmäßigem Abstand nacheinander jedes Mitglied unter strengster Geheimhaltung einen Ausflug planen muss. Dabei kann es sich um tolle Besichtigungen, Kurse oder Ähnliches handeln. Eine wichtige Regel sei noch vermerkt: Teilnehmern ist das Meckern nicht gestattet.
Und so blüht die Gruppe auf, erlebt endlich wieder etwas und wächst zusammen. Dabei verschlechtert sich die Gesundheit der Clubmitglieder, neue Beschlüsse der Direktorin müssen verhindert werden,… Es ist also einiges los im Altenheim…
„Auch im neuen Jahr hab ich für Senioren nichts übrig. Dieses Geschlurfe hinter Rollatoren, diese völlig deplatzierte Ungeduld, dieses ewige Gejammer, diese Kekse zum Tee, dieses Geseufze und Gestöhne.
Ich bin 83 1/4 Jahre alt.“
Schon die ersten drei Sätze haben mich zum Schmunzeln gebracht und meine Neugierde geweckt. Immer wieder stößt man auf so schöne Passagen, dass man sie sich am liebsten herausschreiben würde – nur dass es dafür dann doch zu viele sind. Hendrik Groen beschreibt den Alltag im Altenheim mit viel (Selbst-) Ironie und Scharfsinn. Das Erzählte ist dabei manchmal so skurill, wenn auch nicht unrealistisch, dass man nicht mehr anders kann, als loszulachen. Aber selbstverständlich gibt es nicht ständig Grund zur Freude, denn auch Trauriges schildert Groen in seinem geheimen Tagebuch.
So ist dieses Werk so vielseitig wie die Durchschnittsfüllung der Tablettenbox von Groens Mitbewohnern. Manchmal sentimental, dann wieder höchst amüsant, im nächsten Moment traurig, als nächstes zum Kopfschütteln, dann zum Lachen, schließlich kopfkinoverursachend, zum Aufregen oder wieder herzerwärmend.
Ganz besonders gelingt es Hendrik Groen, die Stimmung, welche in einem Moment herrscht, durch einen gezielten Kommentar wieder umschlagen zu lassen. Nicht selten führte dies bei mir zum Staunen oder Lachen.
Sehr ansprechend ist meiner Meinung nach auch, dass dieses Werk auch wirklich Tagebuchcharakter hat, denn auch Themen wie der Königstag oder Nachrichten Groens Bewertung nicht entgehen können. Aber auch Veränderungen im Heim werden zum Gegenstand der Tagebucheinträge gemacht, sodass man die Zustände dort lebhaft vor Augen hat und es gleich verschiedene Handlungsstränge gibt, welche jedoch stets passend zusammengeführt werden. Ebenso wird über die Gesundheit der Charaktere geschrieben, was schon beeindruckt und zum Nachdenken anregt. „Stillstand bedeutet Fortschritt“, doch nicht bei jedem bleibt das aktuelle Niveau erhalten…
Mit „Eierlikörtage“ wurde ein wunderbares Werk geschaffen, welches ich jedem ans Herz legen kann! Es ist nicht nur einfach humorvoll, hat nicht einfach Unterhaltungswert, sondern gibt auch, immer in Maßen, Anlass zum Grübeln. Ich habe es sehr genossen, Herrn Groen ein Jahr lang zu begleiten, habe Alanito ins Herz geschlossen und mitgefiebert. Jetzt bin ich auf die Fortsetzung, „Tanztee“, gespannt, welche im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen soll.