In vier Jahren die Welt verändern
Ist man durch viele Enttäuschungen gestählt, treffen einen die nächsten nicht mehr ganz so hart. (Seite 111)
Meine Meinung
Es sei zugegeben, daß mir der Name Apollonia Radermecher vor der Lektüre des Buches noch nicht begegnet ist. Ob dies eine große Bildungslücke ist, sei dahingestellt, weiß man doch über ihr Leben vor ihrem Wirken in Aachen ab 1622 nicht viel. Dort blieben ihr rund vier Jahre des Wirkens, bevor sie starb. Und doch hat sie mit ihren schwachen Kräften in diesen vier Jahren mehr geschafft und erreicht, als so mancher andere in vierzig Jahren.
Das Armenspital in Aachen trug zu jener Zeit die sinnige Bezeichnung „Gasthaus“ und brauchte eine neue Leitung. Da Apollonia Radermecher zum Einen aus einer angesehenen Aachener Familie stammte und zum Anderen auch über beträchtliche eigene Finanzmittel verfügte, wurde sie zur „Gasthausmeisterin“ berufen. Ihr ursprünglicher Auftrag sollte nur für begrenzte Zeit gelten; sie sollte das Haus organisatorisch und baulich modernisieren, so daß es von einer Schwesterngemeinschaft übernommen werden konnte. Doch wen man auch anfragte, immer kamen Absagen. Am Ende lief es auf das hinaus, was sie eigentlich am Wenigsten wollte: selbst einen Orden zu gründen, der das Haus übernahm.
Damit ist Anfang und Ende der Haupthandlung des Buches umrissen. Der Autor erzählt, wie Apollonia nach Aachen kommt, wie sie immer wieder Enttäuschungen und Rückschläge verkraften muß, aber auch von Fortschritten und erfreulichen Entwicklungen. Obwohl es eine düstere Zeit war (der Dreißigjährige Krieg wütete noch nicht zu lange, war in Aachen allerdings auch nicht so schlimm wie in anderen Gegenden Deutschlands, immer wieder flammte die Pest auf), gab es immer wieder auch schöne Momente; selbst der Humor war nicht ganz vergessen. Ich denke da beispielsweise an den Franziskanerbruder Dederich und seinen Geißbock Judas Thaddäus (S. 92ff), der nicht nur seine Mitkranken im Spital, sondern auch mich herzlich zum Lachen gebracht hat.
Die Zeit in Aachen dauerte rund vier Jahre; das sind nun zwar vierhundert Jahre her, aber es gibt Dinge, die sich wohl nie ändern. Damals wie heute sind die Stadtoberen für manche Dinge, selbst wenn die Pflicht sind, nur mäßig zu begeistern und groß darin, Schwierigkeiten zu bereiten - oder Lösungen zu verschieben, wenn sie sie schon nicht verhindern können. Oder man ist knauserig. Kein Wunder, daß eine Ordensgemeinschaft nach der anderen absagt.
Sehr eindrücklich zeichnet der Autor den Weg der Apollonia Radermecher und die Entwicklung, die schließlich in der Ordensgründung gipfeln mußte, nach. Dabei hat er für meine Begriffe genau den richtigen Erzählton zwischen Nähe und Distanz, zwischen emotionaler und sachlicher Schilderung getroffen - Form und Inhalt gehen eine gelungene Verbindung ein. Sehr gut der Epilog sowie der Anhang, in denen in Wort und Bild auf die weitere Entwicklung bis in unsere Tage nach dem Tod der Ordensgründerin eingegangen wird. Ein Großteil der Fragen, die man sich beim Lesen möglicherweise gestellt hat, werden so beantwortet, ohne daß man groß suchen muß. Prima - solches sollte es öfters in Büchern geben.
Bei der Lektüre des biographischen Romans erhält man eine sehr gute Vorstellung von den Menschen und der Zeit, in der sie gelebt haben. Manches ist zeittypisch, manches geradezu zeitlos. Im Hinblick auf das Fortbestehen des Vermächtnisses der Apollonia Radermecher kann man zu dem Ergebnis kommen, daß sie offensichtlich imstande war, das Zeitgebundene vom Zeitlosen zu unterscheiden. Und das für richtig Erkannte unbeirrt zu verwirklichen. Etwas, was auch uns Heutigen sehr gut anstehen würde.
Mein Fazit
Ein empfehlenswerter biographischer Roman über ein couragierte Frau, die in schwerer Zeit zur Ordensgründerin wurde.