Eigentlich ein Psychothriller!
Als Jocelyn's Mann stirbt, zieht sie mit ihrer 10-jährigen Tochter Ruby von Kalifornien nach England zu ihrer Mutter. Virginia lebt seit dem Tod ihres Mannes alleine in dem Herrschaftshaus Lake Hall. Jo zieht sehr widerstrebend zurück in das Haus ihrer Kindheit. Eine Kindheit, die alles andere als glücklich war. Denn Jo wurde von ihren Eltern sehr stiefmütterlich behandelt und hat ihre damalige Nanny Hannah als Mutter angesehen. Hannah hat sich um Jo gekümmert, sie umsorgt und behütet. Bis 1987, als Hannah von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden ist.
Als Jo eines Tages einer Dame begegnet, die behauptet Hannah zu sein, freut sie sich über das Wiedersehen nach all den Jahren. Virginia weiss jedoch, dass die Frau nicht Hannah sein kann. Denn sie ist im Bild, was damals mit der Nanny geschehen ist. Wer ist die Frau, die sich als Hannah ausgibt? Was ist damals mit Hannah geschehen?
Mich hat der Plot zu dieser Geschichte sehr fasziniert. Sehr gut ausgearbeitet, lässt er den Leser lange Zeit spekulieren. Was zu Beginn der Geschichte angenommen wird, erfährt eine 180 Grad Wende gegen Mitte Buch. So war ich lange sicher, zu wissen, dass Jo's Kindheit ganz nach dem Motto " Goldener Käfig " ablief. Ihre Eltern, die möglichst unbehelligt vom eigenen Kind ihr Leben gestalten und geniessen wollten. Virginia, die Mutter von Jo, empfand ich als boshaft und kaltherzig ihrer Tochter gegenüber. So lässt sie ihre Tochter liebend gerne von der Nanny erziehen. Bis eine überraschende Wendung die Eltern - Kind Beziehung ganz anders darstellt.
Die regelmässigen Perspektivwechsel, in denen einmal Jo, dann wieder ihre Mutter Virginia in Ich Perspektive erzählen, lassen den Leser beide Sichtweisen erfahren. Und da merkt man sehr schnell, dass in der Vergangenheit nicht immer alles so war, wie es damals den Anschein hatte. Und, dass immer wieder wichtige Details vor den Liebsten zurückgehalten wurden. Details, die ein ganz anderes Licht auf Gefühle, Erlebnisse und Gegebenheiten werfen. Frappierend, wie anders Mutter und Tochter Dinge in Erinnerung haben, die in der Kindheit von Jo geschehen sind.
Und dann ist da noch die dunkle Vergangenheit, in die eine Person involviert war, die ich hier nicht verrate. So verlagert sich meine Sicht auf die Figuren immer mehr. Die Bosheit und der Drang zur Manipulation hat mich komplett überrascht und macht für mich den Psychothriller aus. Obwohl das Buch nicht diese Genreeinteilung erfahren hat.
Subtile Manipulationen, die immer deutlicher werden, machen genau diesen Psychothriller aus. Hervorragend geschrieben von der Autorin, denn die Andeutungen werden genau im richtigen Rhythmus in die Geschichte eingeflochten. So hat mich die Geschichte immer mehr gefesselt.
Das Setting, das düstere Herrschaftshaus Lake Hall, ist ausgezeichnet und sehr bildlich beschrieben. Man sieht beim Lesen die dunklen Flure, die Zimmer mit den unheimlichen Schatten, förmlich vor sich.
Dies war nicht das erste Buch, das ich von der Autorin gelesen habe. So wusste ich, dass mir ihr Schreibstil gefällt. Ein besonderes Augenmerk legt Gilly MacMillan auf die klare Struktur in den Zeit und Perspektivwechseln. Man weiss immer wo die Geschichte gerade steckt und das habe ich sehr geschätzt.
" Die Nanny " ist eine Geschichte mit Psychothriller - Anteilen, die mit wenig Brutalität die Vergangenheit einer jungen Frau aufarbeitet. Und die zeigt, dass Erinnerungen manchmal trügerisch sein können. Denn nicht immer ist die Vergangenheit so, wie man sie in Erinnerung hat. Ich empfand diesen Roman als sehr vielschichtig und spannend.