Freundschaft: Sucht und Suche
Der Debütroman von Friedemann Karig ist ein gelungener Abenteuerroman über eine außergewöhnliche Freundschaft.
Felix, aufgeschlossen und kontaktfreudig, der schon immer die Gefahr und das Extreme sucht und braucht, kommt von einer spontanen Reise nach Kambodscha nicht zurück. Weder seine Mutter noch sein bester Freund erhalten eine Nachricht. In Sorge um ihren Sohn bittet Dorothea Julius (den Erzähler), ihren Sohn zu finden, denn nur er, Felix' bester Freund, wird ihn finden können, wird herausfinden, warum er Deutschland den Rücken gekehrt hat. Und so reist Julius spontan – die Reisekosten übernimmt Dorothea, seine Freundin Lea ist halbwegs einverstanden – nach Kambodscha und beginnt, mit einem Foto von Felix auf dem Smartphone, die lange Suche: „Have you seen this guy?“
Bereits die ersten Sätze im Roman sind so packend, weil man sich gleich mitten im Geschehen einer mutigen Ferienaktion zweier 15-jährigen Jungen befindet. Sie stehen am Rand einer Klippe, einer 70 m hohen, senkrechten Felswand, „einen Schritt vom Tod entfernt“ (S. ). Was wollen die da? Und ab hat mich das Buch nicht mehr losgelassen!
Der Roman spielt im Jahr 2018 und ist in der Ich-Perspektive des Erzählers geschrieben. Der Schreibstil ist flüssig, jung und packend. Es ist aber keine Geschichte, die man mal so nebenbei liest; sie erfordert aufgrund vieler philosophischer Textpassagen und zum Nachdenken anregender Äußerungen, ein gewisses Maß an Konzentration. (Der Vorteil beim Buch ist hier, dass man die Lesegeschwindigkeit anpassen kann oder den ein oder anderen Satz erneut lesen kann.)
Das ist für mich auch ein großer Pluspunkt im Roman, da nicht nur allein die Handlung die Geschichte bestimmt, es sind ebenso die sprachlichen Raffinessen und die Kunst, mit Worten zu spielen, die die Geschichte lebendig machen.
Mir gefällt unwahrscheinlich gut, dass der Roman mit zwei Zeitebenen aufgebaut ist. Man pendelt immer zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In der Vergangenheit erfahren wir, dass z.B. die besondere Freundschaft der beiden Protagonisten mit einem Faustschlag ins Gesicht beginnt, als sie sieben Jahre waren. Anschließend sieht man das Gespann in Zwei-Jahres-Zeitsprüngen die verschiedensten Dinge erleben: Mutproben, verrückte Ideen aushecken, heimliches Rauchen, Mädchengeschichten etc. In der Gegenwart begleitet man den Erzähler auf seinem durchaus nicht ungefährlichen, sonderbaren und teils extravaganten individuellen Tripp durch Kambodscha, auf dem er ungewöhnlichen Individualisten (in Hostels und einer Aussteiger-Kommune) begegnet, die ihm häppchenweise Hinweise auf das Verbleiben und Reisen von Felix servieren. Es ist beeindruckend, was der Erzähler alles in Kauf nimmt, nur um Felix auf den Fersen zu bleiben. Er will nicht einfach nur „suchen“. Er will Felix „finden“. Der Plan, der Wunsch, wird zu einer richtigen Obsession, bei der er sich selbst, aber aber auch sein „Zuhause“ vergisst. Es ist schon der helle Wahnsinn, wie weit er geht, um quasi weiterzukommen. Begleitet und getragen wird der suchende Erzähler auch immer von verschiedensten Liedern (Popsongs, Schlager, Filmliedern), die ihm immer passend zur Situation in den Kopf und über die Lippen kommen aber auch sonst so passend zur Handlungssituation auftauchen. Und immer wieder ist und hört er Felix in seinem Kopf.
Beim Lesen kommt man sich vor, als wäre man selbst in den Strudel der unermüdlichen Suche nach dem Besonderen der Freundschaft und der Rettung dieser geraten, da man sich - mit dem Wissen über die Vergangenheit der beiden - die Frage stellt: Was ist das für eine Freundschaft, wodurch wird sie geprägt? Hat sie eine Zukunft?
Der Hinweis, dass es sich hier um einen 'neu-erfundenen Reiseroman' handelt, ist eher irritierend und mag Enttäuschungen und Verwirrungen hervorrufen. Für mich ist es eher ein spezieller Roadtrip durch ein unbekanntes Land und deren Geschichte, aber ebenso eine Reise zu sich selbst und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen 'Ich' der Vergangenheit und der Gegenwart.
Mich hat lange nicht mehr ein Roman so packen und fesseln können wie dieser hier. Die Haupt-Protagonisten sind authentisch ausgearbeitet und die besondere Freundschaft der beiden, wie der Erzähler fühlt und denkt, konnte ich sehr gut nachvollziehen.
Ich gebe 5 Sterne (- da leider nicht mehr auf der Skala zur Verfügung stehen).