Hexenjagd mit vielen Emotionen
Erster Eindruck
Mittelalterliche Hexenjagd. Mit einer solchen Szene beginnt Fabienne Zwicker ihren Fantasyroman „Mond in der Dunkelheit“. Alle Anstrengung der Hexenjäger konzentriert sich auf die Gefangennahme der Hexe Fjara, mit der wir uns bei der Lektüre bestens und sehr leicht identifizieren können. Sie ist einfach sympathisch, was man dummerweise auch von manchem ihrer Widersacher sagen kann. Und so zeigt uns die Autorin keinen geschichtlichen Abriss, sondern führt uns ein in die innere Zerrissenheit der Figuren in beiden Lagern. Beim Lesen nimmt man gar nicht wahr, dass über lange Strecken hinweg der Kampf zwischen magisch Begabten und deren Jägern sich gar nicht in Handlung manifestiert, so mitreißend beschrieben ist die Gefühlswelt der Personen, denen die einzelnen Kapitel gewidmet sind.
Inhalt
Welchem Zweck die Gefangennahme Fjaras durch den obersten Hexenjäger Arved wirklich dienen soll, bleibt lange ein gut gehütetes Geheimnis der Autorin. Erst gegen Ende des Romans überrascht sie uns mit der Auflösung – und präsentiert uns damit einen neuen Konflikt. Nämlich Zweifel und Selbstzweifel der Hauptfiguren, die sie ihre Lage überdenken lassen, und nicht wenige ändern ihre grundlegende Einstellung. So sind wir uns nicht klar darüber, ob am Ende Fjara mit ihren Gefährten, von denen sie vor Monaten in eine vorher nicht gekannte familiäre Beziehung aufgenommen wurde, wirklich obsiegen sollte. Denn auch auf Seiten der Hexenjäger gibt es Figuren, die moralisch integer und an einer friedlichen Lösung interessiert sind. Andererseits haben auch Fjara und ihre Mitstreiter beinahe allesamt mindestens einen dunklen Punkt in ihrer Vergangenheit, um nicht zu sagen, Dreck am Stecken. Und Götter und Dämonen kommen auch nicht zu kurz …
Schreibstil
Die personale Erzählperspektive zieht sich konsequent durch den ganzen Roman. In tiefgründiger und regelmäßig quälender Selbstreflexion lässt Fabienne Zwicker ihre Figuren moralisch leiden. Dazu kommt körperlicher Schmerz, wenn es Geplänkel oder Scharmützel gab. Alles bekommen wir als Leser durch Dialoge, Selbstgespräche und Gesten so hautnah vermittelt, dass wir mitfühlen, mitleiden oder uns mitfreuen. Fjara ist uns in den ihr gewidmeten Kapiteln besonders nah, denn die werden in der Ich-Form erzählt. Handlung und Innenschau des Hexenjägers Esa und des als Sklave gebannten Hexers Ragin erleben wir in der dritten Person. Behutsam führt uns die Autorin an Schauplätzen in Schweden in ein Mittelalter, das uns so nicht geläufig ist. Christentum und nordische Gottheiten stehen sich nicht diametral gegenüber, bestimmen aber beide das Geschehen in Arveds Burg, in dem lebendigen Städtchen Linköping und auf dem Bauernhof, auf dem Fajra Heimat und Anschluss gefunden hat. Nur ganz langsam lässt uns die Autorin verstehen, in welcher Beziehung die Figuren früher einmal zueinander standen, aus der heute Sehnsucht und Liebe oder auch Hass erwachsen sind. Wunderbare Bilder und Vergleiche, die die Autorin detailverliebt und abseits jeden literarischen Klischees präsentiert, machen das Buch ebenfalls zu einem Lesegenuss. Etwa, wenn Esa frustriert feststellt, dass es erst Mittag ist, „wie sein kurzer Schatten zeigt“, oder Fjara sich auf einen der Steinbrocken setzt, „die neben dem Weg lagen, als hätten die Bauherren sie dort vergessen, nachdem sie diese Kirche erbaut hatten.“
Fazit
Fabienne Zwickers „Mond in der Dunkelheit“ ist ein Buch, das man nicht aus der Hand legen möchte, bevor man es in einem Rutsch durchgelesen hat. So stark fühlt man mit den Hauptfiguren, möchte ihnen helfen, ihre Zweifel und ihre schmerzhaften Erinnerungen zu überwinden, und wünscht ihnen viel Glück für den Ausgang der Hexenjagd. Dumm nur, dass wir Leser unsere positiven Gefühle und Hoffnungen auf Figuren beider Konfliktparteien projizieren. So springt die Spannung aus dem Buch auf uns über! Ich empfehle das Buch jedem, der auch nur entfernt etwas für das Genre Fantasy übrig hat.