Einfühlsam erzählte Geschichte mit Schwächen
"Paradise Garden", der in hochwertiges Leinen gebundene Debütroman von Elena Fischer, weckte mein Interesse, nachdem er für den Deutschen Buchpreis 2023 nominiert worden war.
Die Ich-Erzählerin Billie, die eigentlich Erzsébet heißt, ist 14 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter Marika in einer kleinen Zweizimmerwohnung im 17. Stock eines Hochhauses in eher ärmlichen Verhältnissen. Marika ist in Ungarn groß geworden und mit Billie nach Deutschland gekommen, als diese 2 Jahre alt war. Wer ihr Vater ist, weiß Billie nicht. Marika hält sich und ihre Tochter mit zwei Jobs als Reinigungskraft und Kellnerin über Wasser. Als sie in einem Radioquiz eine kleine Geldsumme gewinnt, beschließen Mutter und Tochter, während der Sommerferien für 4 Wochen nach Frankreich zu reisen. Die Vorbereitungen sind getroffen, das Auto bepackt, als Billies Großmutter aus Ungarn anreist. Die Reise wird verschoben, da die Großmutter ärztlich behandelt werden muss. Nachdem es zu einer Tragödie gekommen ist, beschließt Billie, ihren unbekannten Vater zu suchen ...
Das Buch ist in schöner Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. Die Protagonistinnen sind präzise und bildhaft gezeichnet, ich konnte sie mir gut vorstellen: hier die Tochter, die in zärtlicher Liebe an ihrer Mutter hängt, und da die etwas chaotische und lebensfrohe Mutter, die immer bemüht ist, den Alltag mit Billie schön zu gestalten und sie bisweilen mit verrückten Einfällen überrascht.
Der Alltag der beiden ist sehr einfühlsam erzählt. Obwohl sie nur wenig Geld zur Verfügung haben, lädt Marika ihre Tochter immer mal in ein Eiscafé auf einen "Paradise Garden" ein, den größten Eisbecher, den es dort gibt. Sie hat die Wohnung mit Möbeln eingerichtet, die zum größten Teil vom Sperrmüll stammen, sie selbst schläft im Wohnzimmer auf einer Luftmatratze und überlässt das Schlafzimmer ihrer Tochter. Die beiden sind zufrieden, obwohl Billie immer wieder bei ihrer besten und einzigen Freundin Lea sieht, wie es ist, in wohlhabenden Verhältnissen aufzuwachsen.
Die ersten zwei Drittel des Buches habe ich gern gelesen, die Geschichte hat mich gefesselt und berührt, nachdenklich und traurig gemacht. Danach kam es zu einer Wendung, und fortan ließ meine Lesefreude deutlich nach. Die Handlung wurde zusehends unglaubwürdiger, driftete ins Märchenhafte und Kitschige ab. Die Autorin schickt eine 14-Jährige (die allerdings während ihres Roadtrips 15 Jahre alt wird) mit dem alten Nissan ihrer Mutter auf eine mehrtägige Fahrt nach Norddeutschland, befreundete Nachbarn lassen sie unverständlicherweise ziehen, und niemand bemerkt oder nimmt Anstoß daran, dass da ein minderjähriges Mädchen mit dem Auto unterwegs ist.
Obwohl mir das letzte Drittel des Romans nicht gefallen hat, fand ich den Mix aus Sozialstudie, Familien- und Coming-of-Age-Geschichte recht gelungen und bin gespannt auf das nächste Buch der Autorin.