Bewegende, mitreißende Geschichte mit zwei Zeitebenen
Buchinhalt:
Köln 1946: der Alltag der Henke-Kinder ist geprägt von Bombenangriffen, Zerstörung und Kriegstrauma. Die Mutter tot, der Vater in Russland – die drei Kinder leben bei ihrer Oma, die sie mehr schlecht als recht über die Runden bringt. Mit der „Operation Shamrock“ werden die siebenjährigen Zwillinge Rosie und Gerd schließlich per Kindertransport nach Irland geschickt, um dort einige Zeit bei Gastfamilien leben und zur Ruhe kommen zu können. Trotz allem Bemühen, das zu verhindern, werden Rosie und Gerd schließlich getrennt.
Über 70 Jahre später kommt die inzwischen 80jährige Rosie noch einmal nach Köln, auf den Spuren ihrer Kindheitserinnerungen. Sie ist auf der Suche nach ihrem damals verschwundenen Zwillingsbruder – doch wo soll sie ihn suchen?
Persönlicher Eindruck:
Auf zwei Zeitlinien breitet Autorin Morgenroth einen berührenden und emotional mitreißenden Roman vor ihrer Leserschaft aus, der mir mehr als einmal Tränen in die Augen trieb. Die Geschichte der beiden Zwillinge und ihrer kleinen Familie im Köln der Kriegszeit ist authentisch und steht beispielhaft für so viele Familien, in denen der Vater im Krieg, in Gefangenschaft oder gar vermisst und Hoffnung oder Perspektive ein rares Gut waren.
So geht es hier auch Rosie und Gerd, deren Erinnerung nur noch eine kriegszerstörte Heimat kennt. Es nimmt nicht Wunder, wie begeistert und hoffnungsfroh die Kinder die Schulspeisung annehmen, die das irische Rote Kreuz schließlich anbietet: zweifelsfrei der Beginn einer Odyssee, die das Leben der beiden Kinder total umkrempelt. Mit der „Operation Shamrock“ schickt man sie nach Irland. Der Plan: nach einigen Monaten in einer Gastfamilie kehren sie zurück in die Heimat. Doch Rosie und Gerd bleiben in Irland – jedoch getrennt voneinander. Und obwohl die Sehnsucht mehr als groß ist, sollte das Wiedersehen erst über 70 Jahre später stattfinden.
Der Schreibstil und die Bildgewalt der Erzählung sind überzeugend und authentisch. Mir gefiel vor allem der Vergangenheitsteil, dieser war abwechslungsreich, spannend und mitreißend.
Der Gegenwartsteil konnte mich nicht ganz so abholen. Während sich auf weiten Strecken die Suche von Lia nach Gerd mehr oder minder zog und nichts wirklich spektakuläres ereignete, fand ich Lias Verhalten nicht wirklich authentisch. Lia gehört heute die Wohnung in Köln, die damals im Krieg das Zuhause der Henkes war. Schön und gut. Aber wie sie als vollkommen Fremde sich sofort in die Familie von Rosie hineinzeckt und sich dort breit macht, das fand ich nicht realistisch. Es erschien mir beim Lesen an manchen Stellen schon fast wie ein krankhafter Zug, wie sehr Lia sich in die völlig fremde Familie hineinkniet, als wäre es ihre eigene, und es diese nicht die Bohne stört. Nein, Rosies Angehörige empfinden das Ganze völlig normal – und genau das ist eben nicht authentisch.
Einen zweiten Kritikpunkt habe ich bei Rosie als Kind. Zuerst hält sie es vor Trennungsschmerz kaum aus, mag ihrem Bruder nicht vom Hemdzipfel weichen. Nach der Eingewöhnung in ihre Gastfamilie will sie plötzlich von dieser sogar adoptiert werden und bricht von heute auf Morgen alle Brücken nach zu Hause vollkommen ab. Sie verlernt innerhalb kürzester Zeit die deutsche Sprache komplett und versteht binnen Wochen nicht mal mehr die Briefe von daheim. Genau das kann ich weder nachvollziehen noch glauben: so schnell vergisst eine Siebenjährige nicht, zumal es ihr daheim emotional gesehen nicht schlecht ging.
Trotz dieser beiden Kritikpunkte habe ich das Buch sehr genossen und empfand den christlichen Aspekt als sehr angenehm und dezent in die Geschichte eingeflochten. Rosies Bild von Jesus als gutem Hirten, der sich besonders auch um Kinder kümmert und der dadurch auch Rosies persönlicher Beschützer wird, hat mir gut gefallen und ich fand auch den Schluss (wenn auch recht reibungslos letztendlich) bewegend und intensiv.
Fazit: Ein empfehlenswerter Roman der zu Herzen geht und dem Leser das Schicksal tausender Kriegskinder plastisch vor Augen führt. Eine klare Leseempfehlung!