Ein spannender, durch seine Komplexität sehr anspruchsvoller Politthriller
Zum Inhalt:
Ich zitiere an dieser Stelle ausnahmsweise mal die offizielle Kurzbeschreibung: „Das Volk verehrt sie. Doch ihr Exmann und seine Mutter, die Königin von England, verachten sie. Als eine Bombe sie in den Tod reißt, setzt die britische Regierung alles daran, den Täter zu finden. Dafür benötigen sie die Hilfe eines Mannes: Gabriel Allon, legendärer Agent des israelischen Geheimdienstes. Zusammen mit dem ehemaligen SAS-Offizier Christopher Keller macht er sich daran, die blutige Fährte des verantwortlichen Topterroristen zu verfolgen. Eine Fährte, die Gabriel an den dunkelsten Ort seiner Vergangenheit führt ...“
Meine Meinung:
„Der englische Spion“ ist der mittlerweile 15. Band um Gabriel Allon, den Top-Agenten des israelischen Geheimdienstes, des US-amerikanischen Bestsellerautors und zweifachem „Barry Award“-Preisträgers Daniel Silva.
Dass dieser Serien-Held schon eine lange, bewegte und ereignisreiche Vergangenheit hinter sich hat, merkt man an vielen Stellen im Buch, an denen Bezug auf die vorangegangenen Fälle genommen wird und „alte Bekannte“ wieder auftauchen. So wird der aktuelle Fall auch zu einer Gratwanderung für den Autor: Wie viele Rückblicke auf alte Fälle kann man sich erlauben, ohne neue Leser zu verwirren, und wie viele Bezüge benötigt man, um seinen Stammlesern und „Allon“-Fans ein „heimeliges“ Gefühl zu vermitteln und in nostalgischen Erinnerungen an alte „Gabriel Allon“-Fälle schwelgen zu lassen. Nachdem der Vorgängerband (Nr. 14 – „Der Raub“) für meinen Geschmack auch ohne die Vorkenntnisse der ersten 13 Bücher gut zu lesen und genießen war (wie in meinem Fall), würde ich nicht empfehlen, mit „Der englische Spion“ in die Welt von „Gabriel Allon“ einzutauchen. Viel zu schnell kann man sich sonst zwischen den Rückblenden und den wirklich zahlreichen Charakteren verlieren.
Die Story an sich beginnt sehr actiongeladen und vielversprechend, doch im Anschluss gibt der Autor seinen Lesern erstmal einen tieferen Einblick in die Welt der Geheimdienste und deren taktische, teilweise sehr unorthodoxe Arbeitsweisen. Dies ist zwar weniger spannend, habe ich aber als durchaus sehr interessant empfunden. Im Folgenden entspinnt sich dann eine Story, die quer durch Europa führt und im fortschreitenden Verlauf immer mehr einem Schachspiel gleicht, in dem mehrere Parteien mit- und gegeneinander spielen und bei dem der Leser streckenweise selbst nicht weis, wer wem auf den Fersen ist und wer aktuell die Nase vorn hat. Entsprechend anspruchsvoll ist die Story, die ein aufmerksames und konzentriertes Lesen erfordert. Durch schnelle Ortswechsel, immer wieder neu hinzukommende Charaktere und zahlreiche Rückblenden zu längst vergangenen Ereignissen, droht man schnell den Anschluss an den Plot zu verlieren. Wer sich darauf einlassen mag, wird aber mit einer spannenden wie gleichfalls informativen Story belohnt. Insbesondere die Einblicke in die Welt der Geheimdienste im Allgemeinen und in die blutige Geschichte und komplexen Strukturen der IRA im Speziellen fand ich gleichfalls interessant wie erschreckend („Die IRA war wie ein Elefant, sie vergaß nie etwas“).
Trotz aller schnellen Szenen- und Ortswechsel nimmt bei David Silva die Beschreibung seiner Settings meist einen breiten, sehr plastischen Raum ein. Dies gefällt mir persönlich sehr gut, da man sich stets ein sehr detailliertes Bild über die örtlichen Gegebenheiten machen kann. Anhand der (wenigen) Örtlichkeiten, die ich selbst kenne, scheinen mir seine Ortsbeschreibungen, beispielsweise in London, Rom und Hamburg, durchweg sehr gut recherchiert bzw. dem Autor persönlich bekannt zu sein. Das schafft bei Weitem nicht jeder Autor. Die andere Seite der Medaille ist aber auch, dass Silva es problemlos schafft, eine ganze Seite der Beschreibung eines Ferienhausbesitzers zu widmen, der für die Story überhaupt keine Bedeutung hat. Das muss man schon mögen.
Seine Charaktere und dessen Entwicklung sind für mich eine weitere große Stärke Silvas. Sein Hauptcharakter Gabriel Allon sucht schon seinesgleichen unter den Top-Agenten der Literatur. Er erinnert mich beim Lesen durchaus ein Bisschen an James Bond. Allerdings nicht an den „alten“ Bond á la Sean Connery oder gar Roger Moore, sondern an den „neuen“. Er ist ein Mann mit ganz besonderen Talenten und tief sitzenden seelischen Narben, was in bewegenden Rückblicken auch sehr deutlich wird. Er ist nicht der „ewige Gewinner“, sondern ein Mann, der auch eine Niederlage wegstecken kann, und sei sie noch so schwer. Für mich ist es absolut kein Wunder, dass es dieser Protagonist schon auf mittlerweile 15 Bücher geschafft und eine treue Fangemeinde hat.
Einen Kritikpunkt möchte ich an dieser Stelle aber noch anbringen: So detailliert und präzise – teilweise ausschweifend - Daniel Silva seine Story hier aufbaut und immer wieder mit unvorhergesehenen Wendungen und Überraschungen daher kommt, so schnell und schlaglichtartig bringt er seine Story zum Ende. Ein für die Story „zentraler Abschluss“ erfolgt auf den letzten Seiten schon fast „lieblos“ und nebenbei. An dieser Stelle hätte es für meinen Geschmack noch etwas mehr sein dürfen.
FAZIT:
Paktieren, intrigieren und spionieren: Eine sehr anspruchsvolle, spannende und detailverliebte Story, die aber nur eingeschränkt für „Gabriel Allon“-Neulinge zu empfehlen ist.