Anmerkungen....
....zu Ch. Clarks Einladung, sich die Abstraktion eines "komplexen und unberechenbaren Gefüges von Kräften" auszumalen, dessen Gezurre und Gezerre glatt am überzeitlichen Historiker/Politologen-Telos der inter-nationalen Staatsmacherei, der "Stabilität", voll vorbeibretterte, und dessen "instabile Kumulation" im absurden Rückschluß zwar ein ganz schlechtes Licht auf die damaligen telosvergessenen, deshalb "schlafwandelnden" Staatsmacher wirft, woraus man ihnen aber letzlich gar keinen Vorwurf machen kann, denn das war ja alles Frucht einer gemeinsamen Kultur...
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"...man sucht nicht, wenn man finden will..."
(E. Chargaff, Unbegreifliche Geheimnis (1980), S.226)
I Die wesentlichen Clarkschen Dogmen im Überblick
Was "kann", das "muss": "Man (!) kann (!) in (!) den Ereignissen
des Juli 1914 eine internationale Krise (!) sehen, ein Begriff, der
eine Gruppe von Nationalstaaten impliziert, die man (!)sich (!)
als (!) autonome Einheiten vorstellen (!) muss (!), wie (!) Billard-
kugeln (!) auf einem Tisch."
Fatal, fatal: "...unfähig, die Realität (!) der Gräuel zu erkennen (!),
die sie in (!) Kürze (!) in die Welt setzen sollten"
schlicht im Zeit"narrativ" herumdümplend nix als irrational: "kein
einziges Anliegen, für das die Politiker von 1914 stritten, war
die darauffolgende Katastrophe wert."
(Ch. Clark, Die Schlafwandler, München 2013, pp. 13,713,718)
II Eine Absage an Interpretationen, die der Zeitgeist für nicht mehr angebracht halten will
Das Mainstream-Feuilleton von SZ bis FAZ überschlug sich in Lobhudekei, schwärmte von einer „Verschränkung von Ereignis- und Wahrnehmungsebene, die das Buch so bedeutend macht.", hörte „eine Mahnung, hellwach zu sein". Clark habe „die Fragestellung verändert, [...] die damit weniger deterministisch beantwortet [wird]." Ein Rezensent, wahrscheinlich auch ein passionierter EGO-Shooter-Gamespieler, „möchte den blinden Akteuren [...] auf jeder Seite zurufen, [wie sie] die Katastrophe vermeiden". Gerade noch, daß er in seiner Mitgerissenheit nicht darauf verfällt, den "blinden Akteuren" Clarks Buch zum Lesen durchreichen zu wollen...Richtig ist dabei nur: Clark weicht in seiner WK 1 Wie konnte der kommen ?-Darstellung insb. von solchen populären Erklärungsmustern ab, die hinter den Handlungen der sog. „Staatenlenker“ EIN strippenziehendes Meta-Subjekt als Schuldigen festmachen wollen. Muster also, die die apologetischen Ausreden derer, die Kriege erklärt und ihre Führung angeordnet und geleitet haben, sie seien von anderen „Getriebene“ gewesen und hätten in Notwehr gehandelt, ja durchaus gelten lassen, sie aber kritisch gegen die Apologeten wenden: sie hätten sich, entgegen ihrer Selbstauslobung, als verantwortungslose, korrupte etc. Marionetten für suspekte „Interessen“ hergegeben. Allzu kritisch ist diese Interpretation also nicht: sie will fahrlässiges Führungspersonal und Klüngelmachenschaften zuhauf entdecken, die (angeblich so rundum "größenwahnsinnig" verschandelte) Sache der Nation selbst dagegen nicht auch nur in einem Jota als kritikwürdig ansehen.
III Die genuine Clarksche Leistung: die teleologische Modernisierung des "Hineinschlitterns"
So plump „deterministisch“ erzählt Clark seine Geschichte in der Tat nicht. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst das Anzetteln von WK 1 auch nicht aus den Handlungen derer erklärt, die ihn zweifelsohne interagierend, sich „wechselseitig das Gesetz gebend“ (Clausewitz) herbeigeführt haben und die sich dabei auf den jeweiligen befehlsgehorsamen Nationalismus des Fußvolks, das dafür verheizt wurde und das sich in seiner ganz überwiegenden Mehrheit dem „Ruf des Vaterlands zu den Waffen“ nicht versagen wollte, verlassen konnten. Auch Clark schreibt keine Geschichte aus einem Verstehen „von innen heraus“, sondern nimmt eine Meta-Perspektive ein. Dazu sei die genaue Lektüre des Vorworts empfohlen. Darin führt Clark nämlich das, nach dem er im Schlußkapitel dann seinen ausgebreiteten Stoff nach dem Motto „Und was lernen wir für heute daraus ?“ zusammenfasend validiert, begründungslos als Voraussetzung ein. Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes sei wieder eine „komplexe“ multipolare Staatenkonstellation entstanden, die in Hinsicht (In-)"Stabilität" der vor dem ersten Weltkrieg ähnle. Damit sieht Clark unter der Abstraktion "Stabilität" von allem Inhalt der Staatenkonkurrenz in höchst unterschiedlichen historischen Konstellationen ab und unterschiebt ihr als „eigentliche“ Substanz cartesianisch einen persistierenden (identitär fortdauernden) höheren Meta-Zweck (den er auch als den eines „hellen“, „verantwortungsvollen“, nicht-schlafwandelnden „Staatenlenkers“als Inhalt seines Geschäfts unterstellt), der IN ihr aber gar nicht verfolgt wurde und wird. „Stabilität“ (und sonst nichts) ihres Verhältnisses zueinander ist kein höchster Endzweck konkurrierender Staaten, die sich wechselseitig zu instrumentalisieren suchen und sich darin antagonistisch bestreiten (*). Der Stoff, den Clark vielhundertseitig zusammengetragen hat, dient ihm NUR als „komplexe“ Illustration genau DIESES monotonen Vorabbefundes. Wenn von der Dickleibigkeit des „Ereignis- und Wahrnehmungsebene“ „verschränkenden“ Buches schwer beeindruckte Rezensenten meinen, Clark habe damit nun bewiesen, die ganze Sache sei nicht als ein kollektiv-antagonistisches Handeln mit Willen und Beweußtsein, sondern physikalistisch analog dem unlösbaren "Vielkörperproblem" oder dem indeterministisch-chaotisch sich verzweigenden Zusammenstoß von Poolbillarkugeln zu sehen, ignorieren oder bemerken sie schlicht nicht, daß Clark diese „Erklärung“ bereits DOGMATISCH vorausgesetzt hat. Seine "Folgerungen" im Schlußkapitel sind deshalb insgesamt auch nichts als die tautologische Affirmation seiner eigenen Voraussetzungen, als Pseudo-Schlüße entwickelt. So soll die wirre Vielheit der Phänomene in der "Instabilität" gründen und die "Instabilität" wiederum durch die Wirrnis der Phänomene bewiesen sein. Münklers WK 1-Buch, ebenfalls ein Bestseller, ist ganz ähnlich gestrickt, zieht aber, über Clark hinausgehend, explizit belehrende Nutzanwendung daraus für die heutige DEUTSCHE Sache.
IV Der logische Zirkel komplettiert sich im "so betrachtet" und die gebildeten Liebhaber solcher Betrachtungen
Das Schlusskapitel offenbart nicht nur die theoretische Zirkularität des Clarkschen Unterfangens. Dort verfällt er schließlich sogar ausdrücklich dem typischen Historikerfehler einer Rückprojektion aus dem post festum. Hätten die Weltkriegsmacher damals SEINE heutige Meta-Perspektive eingenommen, dann hätten sie – „helle“, „nicht-schalfwandlerisch“, „verantwortungsvoll“ etc.pp. gehandelt , so, wie Clark das bei den HEUTIGEN (WESTLICHEN) Staatsmachern als gegeben unterstellt (und was diese ja zur Jahreseröffnung 2014 auch gleich auf diversen Staatsfeierlichkeiten als ihre turmhohe Differenz zu den „getriebenen“ WK 1-Machern verlautbaren ließen) So bei einer Apologie des Treibens der heutigen „Staatenlenker“ angelangt desavouiert Clark auch noch den letzten Anschein, es wäre ihm um ein „von innen“ „verstehendes Narrativ“ gegangen, gründlichst. Die Manier, historischen Ereignissen einen "Sinn" bzw. eine "Lektion" fürs heute abzumelken (als wäre ausgerechnet DAS deren "Sinn" gewesen) ist auch ganz die seine. Seine, von seinem übergestülpten physikalistischen Meta-Modell her gebotene, Aussage gar, WK 1 könne (angesichts der Resutlate) "so betrachtet" "eigentlich" niemand gewollt haben beruht wissenschaftlich auf diesem elementaren modalen Denkfehler, der, politisch interessiert aufgegriffen, sich natürlich zu einer veritablen Rechtfertigungsideologie modeln läßt. Und genau das scheint wiederum das Interesse vieler deutschsprachiger Leser an diesem Buch zu sein, denen bildungsunterfüttert der nationalideologische Befund der, gestern, heute und morgen, PRINZIPIELLEN UNSCHULD (bzw. der UNBEDINGTEN BERECHTIGUNG) der schwarzrotgoldenen Sache an den Gewälttätigkeiten in der Staatenkonkurrenz eine innige Herzensangelegenheit ist. In ihm ist das falsche Zeugs, das dafür gedacht wird, wissenschaftlich honorig und für den problemwälzend-gepflegten Geschichtsdiskurs abholbar aufbereitet. Ein Diskurs, der sich natürlich turmhoch erhaben über dem reflektiert nicht ganz so ausgefinkelten, volkskörperhygienisch rabiat werden wollenden Schläger- und Wutbürgernationalismus der derzeit demoumtriebigen biologistisch-genrassistischen Hooligans und Abenlandretter (der auch nichts mehr von DEUTSCHER Kriegsschuld, weder in Teilen noch im Ganzen, hören will) wähnt.
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(*) "Stabilität" "im Äußeren" bedeutet im Jargon der Staatsmacher stets, daß die "internationalen Beziehungen" eben so eingerichtet sind, daß UNSERE Interessen sich "auswärts" ungehindert betätigen und sich entsprechend "infrastrikturell geordnet" Geltung verschaffen können. Das schließt die "Instabiität" ein, daß da irgendein ANDERER diese seine SOUVERÄNITÄT beeinträchtigende Kröte schlucken muß, damit`s "stabil" bleibt, wozu dieser natürlich wiederum nur bedingt bereit ist. Aus diesem qualitativen und quantitativen Gegeneinander der instrumentalisierenden Kalkulationen erwächst die bis zum "es muß halt mal wieder aufmischende tabula rasa sein" eskalierende Dynamik des "sich wechselseitig das Gesetz Gebens". "Stabilität" (im Sinne von Balance) ist also immer nur ein vorübergehender Nebeneffekt, niemals die Sistierung der konkurrierenden Unruhe zwischen den Staaten. Diese Ratio der antogonistischen Konkurrenz wird in den Schriften militär- und geopolitischer Denker "rein" ausgesprochen. Man kann Clarks Buch nicht vorwerfen, daß er sich hier lange mit durchdachten Gedanken aufgehalten hätte. Sein mechanistisches Denkmodell, das er brutal interessiert an den Sachverhalt heranträgt, setzt sich vielmehr völlig ignorant darüber hinweg.