Ruhige und entschleunigende Lektüre mit schöner Sprache aber bruchstückhaftem Anfang
„Das Blöde beim Müde- und Erschöpftsein ist, dass man zu müde und erschöpft ist, um zu spüren, was einem fehlt."
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INHALT:
Frieda soll sich über den Winter um ein leer stehendes Hotel an der portugiesischen Algarve kümmern. Ihr Freund Jonas hatte ihr den Job beinahe direkt am Meer vermittelt. Vielleicht kann sie sich hier von einem anstrengenden Jahr erholen. Sie fühlt sich müde, erschöpft und leer.
„Ich habe im vergangenen Jahr mein Herz immer wieder in zwei Teile geschnitten und es zu spät gemerkt. Aber wie hätte ich das auch merken sollen? Hätte jemand gefragt: »Haben Sie denn kein Herz?«, hätte ich erwidert: »Doch, ich habe ein Herz«, auch wenn es nur noch ein hauchdünner Fetzen war.“
Eine „Belastungsstörung“ hatte der Arzt ihr diagnostiziert, als ihr beim Synchronsprechen plötzlich auch noch die Stimme wegblieb.
Nun hat sie jede Menge Zeit für sich. Und sie ist gerne mit sich allein, lieber als mit Menschen. Die sind ihr oftmals viel zu anstrengend.
Während sie die Hotelzimmer kontrolliert und lüftet, ein paar Töne am Klavier anschlägt, mit dem Labrador der Hotelbesitzerin am Strand spazieren geht, die Leute unterwegs beobachtet und ihren kulinarischen Künsten in der Hotelküche nachgeht, fangen ihre Gedanken an zu wandern. Und immer wieder landet sie bei der Frage, wo sie hingehört, ob und wo sie zu Hause ist …
„Fernweh und Heimweh sind Sehnsüchte. Beide fühlen sich an, als habe jemand im Herz ein Fenster offen gelassen, durch das es zieht. Heimweh hat man, wenn man sich nach dem Ort sehnt, an dem man sich geborgen fühlt, gut aufgehoben. Fernweh hat man, wenn man nicht weiß, wo der sein soll, dieser Ort, den alle Heimat nennen oder Zuhause.“
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MEINUNG:
Vom Inhalt her möchte ich gar nicht mehr verraten, um nichts vorwegzunehmen. Denn dieser kommt auf sehr leisen Sohlen daher. Es handelt sich um ein ruhiges Buch, in dem nicht allzu viel passiert, welches aber zahlreiche Gedanken und Beobachtungen enthält.
Die unaufgeregte Erzählweise passt gut zum Alleinsein von Frieda im leeren Hotel, zur Weite von Meer und Strand und wirkt entschleunigend.
Gleichzeitig wechseln die Erinnerungen der Protagonistin und ihr Erleben in der Gegenwart vor allem am Anfang sehr wild hin und her.
Zu Beginn sind diese Szenen so bruchstückhaft angedeutet, aber nicht weitererzählt, dass ich lange gebraucht habe, um meine Aufmerksamkeit halten und wirklich im Buch ankommen zu können.
Vielleicht hat das die innere Unruhe von Frieda widergespiegelt (da sie noch nicht bei sich selbst angekommen ist), aber meine Motivation, weiterzulesen, wurde dadurch leider immer wieder stark geschmälert.
Erst nach ca. 70 Seiten (von insgesamt 176 Seiten) konnte mich die Lektüre doch noch von sich überzeugen, als die Protagonistin auch mal über längere Strecken gedanklich bei einem Thema blieb und sich von ihrer zerbrechlichen Seite zeigte. Endlich konnte ich etwas Mitgefühl für sie empfinden, als sie von ihrer Kindheit berichtete.
Sonst wirkte sie in ihren Gedanken auf mich häufig nüchtern, wenig zugänglich, was jedoch sicherlich zu ihrer Person und zu ihrer Gemütsverfassung passt. Man spürt beim Lesen den „unüberbrückbaren Graben“, den sie zwischen sich und anderen Menschen sieht.
Was mir besonders gut gefallen hat, war der wundervolle Schreibstil von Arezu Weitholz, welchen ich bereits in „Beinahe Alaska“ (ein absolutes Highlight!) bewundert habe.
Poetisch und reich an Metaphern sind ihre Zeilen und regen zum Nachdenken, zum mehrmaligen Lesen und zum Verweilen ein.
Es ist kein Buch, das man eben kurz in einem Fluss durchliest, sondern eins, für das man ich Zeit nehmen muss und zu dem man immer wieder für eine Weile greift.
Wer eine Leidenschaft für schöne Sätze hat, wird hier mehr als fündig. Man könnte ganze Kalender mit ihnen füllen (und das meine ich im positiven Sinn!).
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FAZIT: Wer nach einer ruhigen und entschleunigenden Lektüre sucht, die sich u. a. mit der Suche nach sich selbst befasst und poetisch und metaphernreich geschrieben ist, könnte sich dieses Buch genauer ansehen.
Mir persönlich war es anfangs leider zu bruchstückhaft und ich habe etwas zu lange benötigt, um in das Buch zu finden. Danach hat es mir jedoch gefallen.
Daher vergebe ich 3-3,5/5 Sterne!
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C. N.: Mobbing