Ziemlich nüchtern
Fangen wir mit den guten Dingen an:
Es handelt sich hier um ein schön gemachtes Buch: Schöner Einband, schöne Bindung, gutes Papier, viele Fotos (meist zeitgenössische Werbung für Alkoholika), Illustrationen. Nett, daß uns das digitale Zeitalter endlich wieder schöne Bücher beschert.
Cooler Titel!
Sofort beim Studium des Inhaltsverzeichnisses fällt allerdings auf, daß die behandelten Drinks nicht mehr ganz zeitgemäß sind und man beim Lesen nicht gleich Appetit bekommt (Armagnac & Soda, Fine a l'Eau, Gin & Coconut Water, Pink Gin, etc.). Aber hier geht es um die Cocktails, über die Hemingway in seinen Büchern geschrieben hat, und das sind nunmal diese. So gibt es in jedem Kapitel Hinweise auf passende Lesestellen in Hemingways Geschichten.
Springen wir also zu den interessanteren Abschnitten. Daiquiri. Zunächst gibt es 2 Rezepte. Hemingways Daiquiri und den Papa Doble. In Ordnung. Dann folgt eine längliche Beschreibung über die Historie des Daiquiri. Es gibt 3 Versionen, wie der Daiquiri entstanden sein könnte. Welche die Richtige ist, weiß der Autor nicht. Aha.
Zwischendurch spielt dann auch Hemingway mal eine Rolle und es wird erzählt, wie er in der Floridita Bar in Havanna Daiquiris trank. Alles schon mal gehört. Wer auch nur eine Biografie Hemingways gelesen hat (ich empfehle diejenige von Kenneth S. Lynn), kennt das bereits auswendig. Dieser Autor hier hat dem Bekannten in Sachen Daiquiri jedenfalls nichts weiter hinzuzufügen.
Suchen Sie doch mal im Internet nach den Stichworten "On the house Papa Doble" (genau so). So schreibt man über Daiquiri!
Was hätte ich erwartet? Doch wenigstens einen Kommentar zu Hemingways Rezept oder Hinweise aus seinen Briefen oder von Zeitzeugen, ob dieses Rezept wirklich echt ist. Hemingway hat angeblich auf den Zuckersirup verzichtet und den Daiquiri mit Rum, Limettensaft, Pampelmusensaft und - zum Süßen - ein paar Tropfen Maraschino Likör getrunken. In einem Roman schreibt sich das ja leicht. Einem Journalisten erzählt man das ebenfalls locker, um dem harten Kerl zu mimen. Aber hat das schon mal jemand probiert? Ist super sauer! Kaum genießbar ohne wenigstens etwas Zuckersirup. Wer davon 16 doppelte runter bekommt, hat ein Säureloch im Bauch. Sollte man das also nicht mal genauer hinterfragen und recherchieren? Oder sind die Pampelmusen auf Kuba zuckersüß?
Zum nächsten Klassiker? Martini Cocktail. Wieder Rezept, wieder lange Historie der Entstehung (der Autor ist Experte in Cocktail-Historie - gähn). Die Story mit dem Montgomery (16:1, Montys Übermacht gegen Rommel - gähn). Wieder wenig Bezug zu Hemingway, wieder nicht mehr zu lesen, als man in den Büchern und Biografien findet. Endloses Nacherzählen von Passagen aus 'Über den Fluß und in die Wälder' und 'Garten Eden'. Schließlich eine halbe Seite mit einem Martini Zitat aus Hemingways Briefen. Diese letzte halbe Seite ist das Interessante des Kapitels, nicht die restlichen 9 Seiten.
Da ist doch das, was Luis Bunuel in seiner Autobiografie (Mein Letzter Seufzer) über seine bevorzugte Zubereitung eines Martini Cocktails schreibt, 1000 mal interessanter. Diese 3 Seiten haben meine Art, Martini zu mixen, nachhaltig beeinflußt. Diese, und natürlich Ian Fleming! Beide machen Lust, sofort zur Kühltruhe zu laufen und auszuprobieren. Philip Greene dagegen bleibt deutlich zu trocken, um Lesevergnügen aufkommen zu lassen.
Mojito? In diesem Abschnitt argumentiert der Autor, weshalb er glaubt, der Hemingway zugeschriebene Mojito Konsum sei reines Marketing. In Hemingways Büchern kommt der Mojito in der Tat nicht vor.
Dies ist ein überraschendes Kapitel und es zeigt, daß der Autor uns nicht nur die gängigen Meinungen wieder-verkaufen möchte. Ein guter Beitrag.
Ich glaube, ich spare mir trotzdem weitere Beispiele. Es gibt eine gewisse Tendenz zur Drink-Historie überall und eine weitere Tendenz, viel zu wenig Bezug auf Hemingway zu nehmen. Fakten, außer den allseits bekannten, gibt es wirklich nicht ausreichend. Nur einige Fotos, die man so noch nicht gesehen hat. Seite 175: "Hemingway in Cortina, Italy, circa 1949, perhaps fixing a Negroni." (im Kapitel - Sie erraten es - über Negroni).
Perhaps! Keine Klarheiten, keine Fakten, zu wenig Recherche!
Ich kann nicht ausschließen, daß irgendwo in diesem Buch doch noch Schätze verborgen sind. Nach dem, was ich gelesen habe, ist mir einfach zu langweilig, um weiter nach ihnen zu suchen.
Ich würde dieses Buch den Lesern empfehlen, die noch nicht so viel über Hemingway gelesen haben (von Lynn z.B. oder Hotchner), die an der Historie der Cocktails interessiert sind, auch wenn der Bezug zu Hemingway manchmal sehr locker ist, und die nicht so viel Wert auf appetitmachende Geschichten und Beschreibungen legen, sondern eher nüchtern informiert werden wollen.