Gut, aber etwas zu drastisch für Jüngere.
In der Nachbemerkung zum Buch „Der Kinderdieb" von Brom, der dies Buch nicht nur geschrieben sondern auch selbst illustriert hat, schreibt der amerikanische Autor, dass er sein Buch als Lobgesang auf die ursprüngliche, nicht geschönte, nicht entschärfte und nicht bereinigte Fassung des Romans „Peter Pan" von James Barrie verstanden haben will, in der noch — wie er schreibt — die dunklen Untertöne vorhanden sind.
Ich kenne gar keine Fassung des Romans „Peter Pan" — unglaublich, aber wahr — und konnte mich vielleicht gerade deswegen auf den Roman „Der Kinderdieb" völlig unbelastet einlassen. Würde man eine Einordnung vornehmen wollen, was ich eigentlich prinzipiell nicht gerne tue, gehört das Buch vermutlich am ehesten zu der sogenannten „Dark-Fantasy"-Sparte und ich würde es wohl eher keinem Jugendlichen unter 16 Jahren empfehlen zu lesen, denn manche Szenerien, Illustrationen und Dialoge sind doch recht heftig ausgefallen und könnten zartbesaiteten Gemütern eventuell nicht zusagen.
Wobei ich als erwachsener Leser schon fast bei der Frage angelangt bin, für wen das Buch denn wohl geschrieben sein soll und — abgesehen von dem erwähnten Lobgesang/der Hommage — was es beim Leser erzeugen soll? Denn der Roman provoziert meiner Ansicht nach den Leser auf jeden Fall zum Nachdenken.
Daher erst kurz zum Inhalt und danach zu dem Eindruck, den das Buch und die Illustrationen bei mir hinterlassen haben:
Ein menschenähnliches Wesen, genannt Peter, sucht in unserer Welt nach Kindern, die — wie Peter selbst es an einigen Stellen im Roman ausdrückt - ihren ZAUBER noch nicht verloren haben. Diese Kinder stehen meist an einem entsetzlichen Abgrund, sind grob gesagt, seelisch oder physisch vergewaltigt oder anderweitig schwer misshandelt worden und wissen keinen Ausweg mehr. Ein Kind, Nathan mit Namen, z.B. steht kurz davor, in einem verständlich erscheinenden Racheakt die Mörder seines Bruders selbst zu erschießen, ein anderer Junge, Nick, fühlt sich in einer Kurzschlußhandlung genötigt, den brutalen Drogendealern, an die seine Mutter untervermietet hatte und die jetzt die gesamte Familie terrorisieren, die Drogen wegzunehmen, wird natürlich aber sofort von ihnen erwischt.
Genau in diesem Moment erscheint meist Peter, hilft diesen Kindern aus der Klemme — manchmal ziemlich brutal - und bietet ihnen an, mit ihm zu kommen. In ein Land der ewigen Jugend, wo man Abenteuer satt erleben und viel Spaß haben kann und nichts mehr mit unserer Welt zu tun haben braucht. Allerdings verschweigt ihnen Peter, dass sowohl der Weg in dieses Land schon, als auch das Land selbst, Avalon mit Namen, lebensgefährlich und vom Untergang bedroht ist.
Denn Peter sucht Kinder, die ihm helfen, das Land von dieser Bedrohung zu befreien und wieder zu dem zu machen, was es mal gewesen war. Er kennt es als blühendes Land der ewigen Jugend, ein wahres Paradies, dem üppigen Schlaraffenland oder dem Phantasia aus „Die unendliche Geschichte" vergleichbar, wo Kinder nicht erwachsen zu werden brauchten, keine Erwachsenen-Regeln galten und man nicht um sein Leben, seine Seele, seine Existenz fürchten brauchte. Wo die Magie, der ZAUBER aus alten Zeiten noch lebendig war. Doch das ist längst nur noch die halbe Wahrheit.
Peter selbst ist kein Mensch, sondern stammt väterlicherseits von den Elfen ab und wurde von der Familie als Wechselbalg verstoßen und im zarten Babyalter dem Tode ausgeliefert. Der Moosmann Goll, der ihn vor dem Gefressenwerden durch einen Wolf rettet und bei dem er zunächst Unterschlupf findet, verlangt ihm allerdings einiges an Selbstständigkeit ab und bei ihm geht Peter durch eine sehr harte Schule. Als Peter sich im Alter von 6 Jahren nach Spielkameraden sehnt und sich zu nahe an ein Menschendorf wagt, wird er auch dort wieder von den abergläubischen Dörflern weggejagt, verfolgt und Goll auf brutalste Weise ermordet, sobald man seiner habhaft wurde. Bevor er stirbt, ermahnt er Peter noch, den Wolf zu töten, der ständig hinter ihm her ist. Als er dies schließlich tut, hat er zwar eine wichtige Mutprobe bestanden, aber auch wieder noch ein Stückchen unbeschwerter Kindheit verloren und als er von 3 Elfen per Steinkreismagie nach Avalon geholt wird, sind diese nur darauf aus, Peter zu ihrer Mutter, der Hexe zu bringen, um ihn gemeinsam mit ihr zu fressen. Es gelingt ihm, der gefährlichen Hexe ein Auge auszustechen, wodurch er sie sich allerdings zu einem lebenslänglichen Feind macht.
Im Grunde fängt hier der Roman erst richtig an und es würde zu weit führen, die gesamte Geschichte, die meist in Rückblicken von Peter auf frühere Begebenheiten in die fortlaufende Handlung eingestreut werden, zu erzählen. Peter lernt die Dame von Avalon, die diese mysthische Welt durch Nebel schützt, kennen und auch Ulfger, den Sohn und Erben des Gehörnten, der in Peter sofort die Konkurrenz sieht und der sein erbittertster Feind wird. Es wird auch erzählt, wie es dazu kam, dass Peter in unsere Welt zurückkehrt und sich eine Kinderarmee in Avalon aufbaut und es wird auch klar, dass Peter nicht nur aus edlen Motiven und uneigennützig handelt.
Der Autor hat den Roman sowieso auch sehr dicht gepackt und reißt hier mal einen alten Mythos an, erwähnt durch eine Romanfigur eine andere Begebenheit...kurzum: vielschichtiger, spannender und interessanter kann man kaum schreiben. Ob die teilweise starke Zurschaustellung brutaler Geschehnisse allerdings nötig gewesen wäre, wage ich mal zu bezweifeln. Da wäre weniger oft mehr gewesen, finde ich, ohne das Ziel des Romans zu verfehlen.
Wie schon erwähnt, kenne ich zwar "Peter Pan" nicht, aber mehrere Legenden um Avalon und Broms Roman ist einfach toll und läßt im besten Fall den Leser wirklich sehr darüber nachdenken, worin eigentlich der ZAUBER von Kindern besteht und was man sich unter einem wirklichen Paradies vorstellen könnte.
Fazit von mir: Klasse Roman, der das Zeug hat, ein wirklicher Spitzentitel zu sein. Allerdings möchte man dem Autor wirklich raten, den nächsten Roman mit etwas weniger drastischen Szenen zu schreiben, denn es kommt auch ohne diese so beim Leser an, wie es gemeint ist.