Superschlechte Tage (oder die sonderbare Lektüre eines einschläfernden Buches)
Tagelang habe ich mich durch die Seiten dieses Romans gequält, anfangs habe ich mir noch Mut gemacht, dass ich mich irgendwann in den unkonventionellen Stil hineinfinden werde oder der Roman doch noch in einen gewohnten Fluss übergeht, doch das Buch lasen sich auch nach zweihundert Seiten zäh. Zwei Familien machen Ferien in einer ländlich geprägten Grafschaft und es passiert... - nichts. Zumindest nichts, was das Füllen von über 330 Seiten rechtfertigt. Wie der unangenehme Onkel unterm Weihnachtsbaum holt Mark Haddon aus und erzählt unerbittlich von familiären Disharmonien und pubertären Wirrungen, die auch als Kurzgeschichte nur bedingt taugten. Dabei schweift der Autor nicht selten ins Rätselhafte und Surreale ab. Aber es ist nicht der Plot an sich, der die Lektüre des Romans so anstrengend macht, sondern die Art und Weise, wie Mark Haddon sein Drama strukturiert. Absatz für Absatz wechselt der Autor die Perspektive, ständig muss man als Leser spekulieren, wer denn jetzt überhaupt spricht, denkt oder handelt und ob die Person dies auch tatsächlich macht oder sie es sich nur vorstellt. Auch behindern die scheinbar willkürlich kursiv gesetzten Textpassagen den Lesefluß und das Verständnis. Und wenn man glaubt, endlich das Problem eines Protagonisten erfasst zu haben und sich ein wenig mit dessen Situation vertraut gemacht hat, das Interesse also geweckt wurde, zerschneidet der Autor diesen fragilen Faden wieder und wendet sich einer anderen Figur zu. Dieses destruktive Prinzip und Haddons mißglückte Erzählkunst unterdrücken jegliche Bindung oder Sympathie zu all den beschädigten, traurigen Menschen. Die Konflikte sind banal, die Dialoge gestelzt. Zerfahren und sprunghaft vergehen die Tage im roten Haus: die Urlauber kehren von Einkäufen und ereignisarmen Ausflügen heim und der Leser wird manchmal seitenlang mit unmotiviert eingeworfenen Gedanken, Zitaten und Allegorien konfrontiert, die deplaziert wirken und ohne erkennbaren Zusammenhang in die Geschichte eingewebt zu seien scheinen.
Hier ein Beispiel: Direkt nachdem sind Louisa aus kleinkarierten, nicht unbedingt nachvollziehbaren, Gründen über ihren Mann ärgerte, folgt diese ausufernde Konfusion ohne Bezug auf Disput und das verwickelte Ehepaar:
"Marja, Helmand. Der Heckenschütze liegt weit genug vom Fenster entfernt, dass sein Objektiv die Sonne nicht reflektiert. Knall und Rückstoß. Ein Marine bricht unter seinem frischem Knopfloch zusammen. Morgenlicht über den Wildpferden der Khentil-Berge. Huddersfield. Braune Zuckerbläßchen auf einem vergilbten Löffel. Schildkröten ertrinken in Öl. Das Surren von Binärzahlen, eine Trillion Einsen und Nullen. Anleihen und Zukünfte werden weggespült. Reckitt Benckiser, Smith & Nephew. Gräden und Magmakammern. Eyjafjallajökll raucht wie ein Hexenkessel. Müdigkeit mischt die Ereignisse des Tages wie ein Kartenspiel. Kelche und Münzen. Der Magier. Der Verräter. Pfeilspitzen und Reilröcke zerschmettert und verstreut in Geisterstädten. Der Klimawandel. Cadmium, Arsen, Benzol, Baby, please. Eine Ranch steht in der Prärie in Flammen, Brando und Hepburn tigern durch ihre Silberkäfige, wieder und wieder. Ein jeder Geist im Zentrum von Raum und Zeit. Der funkelnde kleine Stern des Jetzt. Spatzen fliegen durch den Bankettsaal, wo man in den Wintermonaten sitzt, um mit seinem Lehnsherren und Beratern zu speisen. Die Hand des Stiefvaters über dem Mund des Kindes. Mein irisch Kind, wo weilst du? Ein Blauwal taucht durch die abgründtiefe Kälte. Viperfisch, Fangzähne, Pilikanaal. Eine Burlington Northern verläßt den Bahnhof von Fort Benton mit Waggons voller Korn. Wolkenblitze über Budapest, Gezeitenwechsel der Themse. Mit Arklow Surf zum White Mountain, mit der Cymbeline nach Ford's Jetty." Und so geht das noch eine halbe Seite weiter...
Das alltägliche Drama wird in den besten Romanen thematisiert und Autoren wie beispielsweise Stewart O'Nan oder Jonathan Franzen machen aus diesen Geschichten lesenswerte Literatur, weil sie eine meisterliche Sprache besitzen, die fesseln kann. Auch Mark Haddon hat bereits bewiesen, dass er schreiben kann, doch das Experiment mit "Das rote Haus" ist in meinen Augen auf ganzer Linie gescheitert.