Toll
Joanne Harris und ein Vampir-Roman? Das machte mich denn doch neugierig und ich versuchte, so vorurteilsfrei wie möglich, mich einfach mal darauf einzulassen, obwohl ich diesem ganzen Vampirbuch-Hype wie allen schnellebigen Moderscheinungen eher skeptisch gegenüber bin. Gleich vorweg: Ich bin sehr positiv überrascht worden!
Der Roman spielt wechselnd in zwei Zeitebenen, zwischen denen die Autorin virtuos hin-und her switched.
Zunächst erfahren wir, dass ein junger Cambridge-Student, Daniel Holmes, eine außergewöhnlich schöne Frau, Rosemary, vor dem Ertrinken rettet und von ihrer Ausstrahlung, zunächst gezeigtem Wesen und Aussehen völlig fasziniert ist. Er nimmt sie mit zu sich nach Hause und stellt sie begeistert seinem Freund Robert vor, der auch sofort von Rosemary angetan ist. Daniel selbst erkrankt durch seine heroische Rettung aus dem eiskalten Wasser des Flusses allerdings schwer und muß nach seiner Genesung feststellen, dass sein Freund Rosemary zu sich genommen hat und diese keineswegs der vermeintlich schüchterne und zartfühlende Engel ist, als den sie sich ausgibt. Im Gegenteil haben es die beiden Freunde mit einem kaltblütigen, blutrünstigen Vampir zu tun, der seine Opfer berechnend auswählt und natürlich buchstäblich über Leichen geht.
Da Daniel - einmal mißtrauisch geworden - hinter Rosemarys Geheimnis kommt, versucht er andere Menschen vor der Untoten zu warnen, indem er alles in einem Tagebuch für die Nachwelt festhält.
In unserer heutigen Zeit lernen wir die junge, mäßig erfolgreiche Malerin Alice kennen, die gerade, als sie meint, die Trennung von ihrer großen Liebe Joe nun endlich nach 3 Jahren überstanden zu haben, mit der Tatsache konfrontiert wird, dass Joe wieder in ihr Leben eindringt. Sie sieht ihn zusammen mit seiner ungewöhnlich schönen neuen Freundin zusammen in einem Restaurant und flieht - überwältigt von längst vergangen geglaubten Gefühlen - quer durch die Stadt, bis sie, wie aus einer Art Trance auf einem verwunschen wirkenden Friedhof zu sich kommt und auf ein ungewöhnlich schön gestaltetes, elegantes Grab trifft. Unwiderstehlich angezogen betrachtet sie es näher und findet ein Metallplättchen mit der Aufschrift "Rosemary - Zur Erinnerung" und steckt es ohne nachzudenken ein.
Zuhause angekommen beginnt sie wie im Fieberwahn ein Bild zu malen, welches ihr ungewöhnlich gut gelingt.
Da meldet sich Joe doch wieder bei Alice. Ja, er bittet sie sogar, seine neue Freundin Virgina, genannt Ginny, kurzfristig bei sich aufzunehmen, mit der Begründung, dass er sich zur Zeit durch Konzertverpflichtungen nicht ausreichend um Ginny kümmern könne. Alice sagt aus freundschaftlichen Gefühlen heraus zu. Solange Joe noch anwesend ist, wirkt Ginny auch ziemlich schüchtern und geradezu verhuscht. Sobald Joe allerdings die Wohnung verläßt, zeigt Ginny mehr und mehr ihr wahres Gesicht, zieht quasi mit anderen Klamotten ein völlig anderes Auftreten an und geht sofort mit dubiosen Freunden aus, von denen Joe offensichtlich gar keine Kenntnis hat.
Neugierig schleicht Alice der Gruppe hinterher und beobachtet sie bei ihr unverständlichen, abstoßend wirkenden Verrichtungen.
Wie sie anschließend nach Hause kam, weiß sie am nächsten Morgen nicht mehr und sie kann sich auch nicht erinnern, ein weiteres, ungewöhnlich gutes Bild gemalt zu haben, das genau wie das erste eine ungewöhnlich schöne, mysteriöse Frau beinhaltet. Ihr kommt das Ganze sehr seltsam vor, sie bringt allerdings folgerichtig alle Vorkommnisse mit Ginny in Verbindung und spioniert ihr weiter - wie sie meint, heimlich - nach und gerät immer mehr in den Sog der animalischen Anziehungskraft von Ginny und ihren Vampirfreunden. Als Alice bei ihren Nachforschungen in Ginnys Sachen ein Bilder und ein altes Tagebuch findet, zieht sie endlich die richtigen Schlüsse.
Doch wird sie Joe und auch sich selbst von der fatalen Anziehungskraft Ginnys und ihrer Freunde befreien und retten können, die ihre nächsten Opfer schon sehr zielsicher ausgewählt haben?
Joanne Harris wurde angeblich von ihren Fans gebeten, dieses Buch, welches sie schon zu ihrer Anfangszeit als Schriftstellerin schrieb, zu veröffentlichen und es beinhaltet auch tatsächlich ein paar kleinere Überflüssigkeiten und Schwächen, die die Autorin heute gewiß so nicht mehr machen würde. Aber ich finde es dennoch gerechtfertigt, diesen gewiß überarbeiteten Roman, den man ja zu ihren Erstlingswerken zählen dürfte, doch noch den Lesern zu präsentieren. Kann er doch mit locker mit allen Veröffentlichungen, die derzeit auf dem Markt sind vom Inhalt, Erzählstil und ausgefeiltem Spannungsbogen mithalten.
Ich zumindest habe mich von einer Könnerin ihres Fachs sehr gut unterhalten gefühlt und das Buch nicht aus der Hand legen können bis ich es durchgelesen hatte.