Vier erfahrene Individualisten bilden The Hard Quartet und belegen, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ergeben kann.
Sind Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White die Crosby, Stills, Nash & Young der 2020er-Jahre? So schlecht ist der Vergleich gar nicht, denn genau wie David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash & Neil Young haben die Hard-Quartet-Musiker eine Vorgeschichte in anderen Formationen.
Das Projekt The Hard Quartet nahm 2020 Gestalt an, als Stephen Malkmus und Matt Sweeney bei den Arbeiten zu dem Malkmus-Solo-Album "Traditional Techniques" die fixe Idee entwickelten, eine Band zu gründen. Sweeney kontaktierte daraufhin Emmett Kelly und Jim White, die sofort zusagten, der Gruppe beizutreten. Eine neue All-Star-Formation war geboren: Stephen Malkmus kann man mit Fug und Recht eine Post-Rock-Legende nennen. Schließlich hat er mit Pavement Musikgeschichte geschrieben. Matt Sweeney war Mitglied bei Chavez und Zwan. Er kam außerdem mit Bonnie "Prince" Billy für die Alben "Superwolf" und "Superwolves" zusammen. Emmett Kelly arbeitete unter anderem für The Cairo Gang, Will Oldham und Ty Segall und Jim White (nicht zu verwechseln mit dem Southern-Gothik-Singer-Songwriter Jim White) ist einer der Dirty Three und die Hälfte von Xylouris White. Alle vier sind gestandene Songwriter, die eine assoziative Poesie favorisieren und unterschiedlich motivierte Stimmen und Stimmungen beitragen. Drei Saitenkünstler und ein Virtuose am Schlagzeug kramen in ihren Erfahrungen und bringen Vorlieben ein. Diese Konstellationen erklären die abwechslungsreiche Songlandschaft und den gesteigerten Wert auf einen hervorgehobenen Gitarren-Sound.
Das Album startet wild und überschwänglich mit "Chrome Mess". Die Gitarren von Malkmus & Sweeney ergänzen sich ergötzlich und stacheln sich gegenseitig in ihrem verzerrten, kompromisslosen Aufbegehren an. Jim White richtet mit seinem exzessiv-leidenschaftlichen Schlagzeug-Spiel ein berstend-schäumendes Inferno an und der Basslauf gleicht einem gewaltigen Krawall. Neben diesem rohen Donnerwetter verfügt der Song noch über behagliche melodische Qualitäten, die ihm im Zusammenhang mit dem in Richtung kontrollierter Wahnwitzigkeit tendierenden Gesang von Emmett Kelly eine äußerst attraktive Gesamterscheinung verschaffen. Maximum-Rock & Roll!
Auch "Earth Hater" ist auf Krawall gebürstet und zeigt sich durch eine giftige und eine brodelnde E-Gitarre noch angriffslustiger als "Chrome Mess". Und dies, obwohl die Geschwindigkeit gegenüber dem Vorgänger etwas zurückgenommen wurde und der reservierte Gesang von Malkmus auch bremsend wirkt. Tempoänderungen lassen den Track sperrig wirken, ohne dass ihm dadurch die rebellische Attraktivität genommen wird. Auf die Leidenschaft bei der Umsetzung kommt es eben an!
Für "Rio`s Song" ist das Hard Quartet besonders durch den gefühlvollen Gesang von Sweeney mild und harmonisch gestimmt, bewahrt sich trotzdem stets seine Ecken und Kanten. Dieser raffiniert strukturierte Garagen-Rock verbreitet die freigeistige Atmosphäre des Westcoast-Rocks der frühen 1970er-Jahre, der aus elektrifiziertem Folk, starken Song-Ideen und unwiderstehlich prickelnden Widerhaken bestand. Noch ein Volltreffer und ein heimlicher Hit der Platte!
Diesen Titel kann auch "Our Hometown Boy" für sich in Anspruch nehmen. Es handelt sich um einen cremigen, hart rockenden Power-Pop mit Wurzeln, die bis zu Hüsker Dü und The Byrds zurückreichen. Das Lied zeigt ein stabiles Rückgrat, ist ein galanter Charme-Bolzen und glänzt fabulös durch die fein abgestimmte, verführerisch-mitreißende Melodie, die sich geschmeidig anhört, aber ohne Zuckerguss auskommt. Exzellente, prächtig mundende Kost!
Rotzig-wilden High-Energy-Punk gibt es bei "Renegade" zu hören. Ein Track, bei dem man spürt, wie viel Spaß die Beteiligten mit ihren Schöpfungen und miteinander im Tonstudio hatten. Ausgelassener, gut gelaunter Krach!
Das Spektrum der Viererbande erweitert und verändert sich unaufhörlich: "Heel Highway" sammelt verschwommene Improvisations-Eindrücke von The Grateful Dead und Pop-Retrospektiven von The Kinks ein und gibt sie als vielschichtigen, psychedelisch beeinflussten Art-Pop-Song wieder frei. Welch eine Ideenvielfalt!
Die entspannte Country-Folk-Nummer "Killed By Death" geht sofort ins Ohr, bleibt da drin und verursacht aufgrund seiner zwingend sympathischen Ausdrucksweise für Verzücken. Zum Dahinschmelzen: Gänsehaut pur!
Die kraftvollen, provokant elektrifizierten Balladen "Hey" und "Six Deaf Rats" bewahren das musikalische Andenken an den Subkultur-Sound von Lou Reed sowie den elektrischen Folk-Jazz von Tim Buckley und kommen somit völlig unsentimental daher. Robuste Empfindsamkeit von Kopf bis Fuß!
"It Suits You" befindet sich im Unruhezustand. Der bedächtig und langsam gesungene Track wird unaufhörlich instrumental vorangetrieben, gerät zwar nicht in Hektik oder Panik, kommt aber auch nicht zur Ruhe. Eine merkwürdig undurchsichtig-zwielichtige Atmosphäre liegt in der Luft!
"Action For Military Boys" breitet eine Wundertüte an Sounds und Einflüssen aus: der flirrende Westcoast-Rock von Copperhead um John Cipollina, etwas Hendrix-Gitarrenakrobatik, Progressive-Rock-Dramatik und eine freche, nervöse, mosaikartig ablaufende Songführung kommen lustvoll zusammen. Ein schwindelerregender Stil-Mix!
Eine lässige, dennoch straffe Intimität umweht "Jacked Existence". Diese transparent-filigrane Komposition würde sich auch gut im Liederzyklus von Richard Thompson machen. So hält man ein musikalisches Erbe lebendig!
Das rauschhaft verschachtelte "North Of The Border" offenbart eine weitere Facette der kompetenten Vielseitigkeit des Star-Ensembles. Der fantasievoll-originell gestaltete Psychedelic-Rock kommt im Gegensatz zu einigen Stücken dieses Genres aus den 1960er-Jahren ohne Solo-Eskapaden aus und wird kultiviert und gewagt dargeboten. Das bedeutet: Das Geschehen wird durch eine Rückschau beeinflusst, ist darüber hinaus jedoch ständig mit der Gegenwart verbunden. Es geht nichts über qualitativ hochwertig interpretierte Referenzen!
Der ungezwungen groovende Slow-Blues-Rock "Thug Dynasty" bricht dann mit den Traditionen, weil vom klassischen Schema des Blues zugunsten einer gegenüber anderen Musikformen offenen Ausdrucksweise abgewichen wird. So kommen weitere gebremste und beschleunigende Tonfolgen, sowie Doo-Wop-Hintergrund-Gesänge zum Tragen, die das Lied zwischen massiver Rock-Ballade und rauschhaftem Folk-Rock einordnen. Nieder mit den Stil-Beschränkungen!
"Gripping The Riptide" gibt sich mysteriös, agiert mit überraschenden Wendungen, verfügt über einen ähnlichen Seltsamkeits-Faktor wie "On The Beach" von Neil Young, lässt knurrende Gitarren sprechen, deutet immer mal wieder einen brachialen Ausbruch an, hält sich dann aber doch mit eskalierenden Aggressionen zurück. Nicht alle Rätsel müssen gelüftet und nicht jedes Album muss von einem durchsichtigen Song abgeschlossen werden. Hier funktioniert dies viel eindrucksvoller mit einem von einem Geheimnis umwehten Track!
Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White wachsen als Quartett über sich hinaus und vollbringen zusammen eventuell die eindrucksvollste Leistung ihrer an Höhepunkten nicht armen Karrieren. "The Hard Quartet" ist ohne Zweifel ein Meisterwerk, keine Frage - und ein Aushängeschild des Genre-sprengenden Alternative-Rocks. 15 Songs in 52 Minuten, nur Gewinner, kein Füllmaterial. Ein Fest für alle, die krachend jaulende, sich duellierende und gegenseitig umgarnende E-Gitarren lieben, welche in klug durchdachte Kompositionen eingearbeitet werden. Dieses Referenz-Werk bekommt als Sahnehäubchen noch einen prächtig-flexiblen Schlagzeug-Sound verpasst. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug - was braucht man mehr für lodernd-energische und sinnlich-hingebungsvolle Musik?
Für das Quartett bedeutet Rock & Roll wilde Entschlossenheit und Rebellion. Die Platte ist ein Musterbeispiel für temperamentvoll-erregende, begeisternde Klänge, die nicht bei bekannten und beliebten Mustern Halt machen und die in der Vitalität, Empathie und Hingabe Genugtuung suchen. Authentizität ist ein wichtiges Wesensmerkmal dieser Musik. Es wird nichts glattgebügelt oder zum Zwecke der Massentauglichkeit geschönt. In diesem Sinne hat "The Hard Quartet" jetzt schon berechtigte Aussichten auf einen Kultstatus.