Frischer Pop für jung gebliebene Erwachsene.
Jetzt ist es auch mal genug! Mit der nassen Kälte und der abgestorbenen Vegetation. Es wird Zeit für den Frühling! Da kommt der "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" von Rikas genau richtig. Die Kunst, Easy-Listening-Musik zu erschaffen, die eingängig und zugleich herausfordernd ist, was die Konstruktion von komplexen Strukturen angeht, sollte nicht unterschätzt werden. Rikas befinden sich hinsichtlich dieser Art der Schöpfung von Unterhaltungsmusik auf den Spuren von Burt Bacharach und Sergio Mendes.
Im Frühjahr 2016 fanden sich Sascha Scherer (Gesang, Gitarre, Keyboards), Sam Luca Baisch (Gesang, Bass), Ferdinand Hübner (Gesang, Schlagzeug) und Chris Ronge (Gesang, Gitarre) zusammen (die alle aus der Nähe von Stuttgart stammen), um unter dem Namen Rikas gemeinsam Musik zu machen. Besondere Kennzeichen: von den Beatles beeinflusste Harmonien, gepflegt-bewegliche Rhythmen, wechselnde Lead-Stimmen und gekonnter mehrstimmiger Gesang. Bei dieser Kombination kommt der von der Band selbst als "Swabian Samba" bezeichnete Sound heraus, was für schwäbische Eigenart und weltoffene Rhythmik und Melodik steht. Die Bezeichnung Rikas wurde übrigens vom Namen der Hündin von Ferdinand Hübner ("Rika") abgeleitet. Aus Sicht der Musiker verströmt der Begriff ein südländisch-exotisches Flair.
Das Prinzip, mit Pop-Musik Botschaften zu verbreiten oder seinen Protest zu äußern, ist so alt, wie es Menschen gibt, die vor anderen auftreten. In den 1960er-Jahren gab es eine starke Folk-Bewegung, die politisch aktiv war und in den 1980er-Jahren brachten Gruppen wie Heaven 17 ("(We Don`t Need That) Fascist Groove Thang") oder The Specials ("Nelson Mandela") ihren Unmut auf die Tanzfläche. Rikas beleuchten wechselnde Perspektiven der Persönlichkeit, was bei näherer Betrachtung auch ein höchst politisches Thema ist. Denn nur starke Charaktere, die gelernt haben, mit den schnellen Veränderungen in der Gesellschaft umzugehen, sind in der Lage, einem Leben, das aus den Fugen zu geraten droht, einen intelligenten Ruhepuls entgegenzusetzen.
Rikas setzen also nicht auf eine wütende Auseinandersetzung mit Missständen, sondern auf einen konstruktiven Umgang damit, bei dem das Vergnügen nicht zu kurz kommen darf. Und somit ist "der Film, den es noch nicht gibt", eine Metapher für das Leben, was noch vor einem liegt. Und der dazugehörige Soundtrack sollte überwiegend optimistisch gestimmt sein.
Die Bandmitglieder haben festgestellt, dass man in Los Angeles nur beschwerlich und langsam mit dem Fahrrad vorankommt. Für "Bike In L.A." hat Keyboarder und Gitarrist Sascha Scherer daraus abgeleitet, dass "es bedeutet, dass wir Geduld brauchen, um unseren Weg zu finden, unsere Kunst zu gestalten und unsere Beziehungen zu pflegen. Denn man muss erst einmal herausfinden, wie das eigene Fahrzeug funktioniert und wo es hingehört." Als Untermalung für diese philosophischen Betrachtungen haben die Musiker einen locker swingenden Pop-Song gebastelt, den man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Unaufdringlich, aber mit einer gehörigen Portion Ohrwurmqualität setzt er sich fest und bringt die Zuhörenden mit einem guten Gefühl durch den Tag. Kitsch- und zuckerfrei lädt er dazu ein, einfach mal abzuschalten und sich entspannt in die coole Melodie und den packenden Refrain fallen zu lassen.
Es ist mutig, sein Scheitern einzugestehen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren, um einen neuen Versuch zu starten. Für "Driving Down Slow With My 505" wurde dieser Zustand in Worte gefasst: "Weißt du, ich hatte einen Plan, ich hatte große Ideen. Ich war sicher, dass es klappen würde. Aber zurückzukommen ist der schwerste Teil. Wenn du kein Benzin hast." Nur mit Galgenhumor lassen sich manchmal schwere Zeiten ertragen. Der Song trägt die Lässigkeit des ungezwungenen Umherfahrens in sich. Man spürt die angenehme Stimmung, bei gutem Wetter mit einem Cabrio unterwegs zu sein, obwohl einem ein unangenehmes Thema im Nacken sitzt, das aber zunächst verdrängt werden kann.
Würde Barcelona nicht von Touristenhorden überrannt werden, könnte die Stadt von den sensiblen Sinn-Suchenden noch mehr genossen werden. In dem Lied "Barcelona (Learning To Love Myself)" geht es um jegliche Form der Veränderung. Die bezaubernde Atmosphäre der Stadt könnte einen Neuanfang unterstützen. Aber die Tage sind zu heiß und die Nächte fühlen sich kalt an, wenn sich Einsamkeit breit macht. Das sind keine guten äußeren und inneren Bedingungen, um Seelenschmerzen zu überwinden und wieder zu lernen, sich zu lieben. Der elegante Blue-Eyed-Soul spiegelt zwar ein sonniges, mediterranes Lebensgefühl wider, eine gewisse abgehobene Distanziertheit, die auch Unsicherheit bedeuten kann, ist jedoch auch nicht zu verleugnen:"‘Barcelona’ handelt von dem Gefühl, umziehen zu wollen, aber es nie zu tun. Es ist ein Song über das Weitermachen und das Entdecken neuer Lebenswege".
"Strangers" ist eine Hommage an den Song "Stranger" von Celeste aus 2019. Er zeigt die Phasen von unglücklich gescheiterten Beziehungen auf: aus Fremden werden Freunde, aus Freunden werden Liebende und aus Liebenden werden unter Umständen wieder Fremde. Der Soft-Funk stellt sowohl Romantik als auch durch die zackige E-Gitarre eine Leidenschaft in den Raum, die kurz davorsteht, in Missklang umzuschlagen.
Nach einer verpassten Chance folgt eventuell eine quälende Sehnsucht, welche in "Heartbreak Big Mac" eine große Rolle spielt. Selbstvorwürfe und Trauer gehören zum Stimmungsbild und alle diese Emotionen prägen diese von trüben Gedanken durchzogene, relativ gleichförmig-niedergeschlagen ablaufende Ballade.
Die Poesie von "Passenger" fordert Vertrauen ein und verspricht Geborgenheit und Vergnügen für den Rest des Lebens. Dazu klingen Tonkombinationen an, die dem perfekten Pop-Song sehr nahekommen. Verspielte, dezente Sound-Effekte, karibisch anmutende Rhythmen, eine originell aufflackernde E-Gitarre, schwebendes Orgelrauschen und sehnsüchtige Hintergrundstimmen sind spezielle Zutaten, die die unwiderstehliche Melodie, den hypnotischen Refrain und den grundsympathischen Gesang ins rechte Licht rücken. Das weitläufige, schwelgend-abenteuerliche Outro versetzt die Hörerschaft dann endgültig in einen rauschhaften Bann. Edel!
Das Quartett hat sein Pulver aber noch nicht verschossen. Auch "Souvenir Shop" glänzt mit klug eingesetzten Dynamikverschiebungen, einem geschmeidigen Groove und einer Melodieverliebtheit, die das pure Glück zu kristallisieren scheint. Dabei deuten die Texte auf einen Hilferuf aus großer Not hin ("Ich habe meine tiefsten Tiefen gesehen. Können Sie mir hier raushelfen?") Die Kombination von anmutig-gewandter Musik mit persönlichen Problemen erinnert sofort an "Help" von den Beatles. In einer besseren Welt wäre "Souvenir Shop" wahrscheinlich ein sicherer Radio-Hit geworden.
In den nur zweieinhalb Minuten von "Opposite Opinions" vermittelt die Band den Eindruck, dass sie jede Idee zu Pop-Gold werden lassen kann. Das Lied erzeugt eine innere Spannung, die sich augenblicklich und ununterbrochen als positive Energie überträgt. Eine gewisse Anspannung entsteht trotzdem, weil es hier um ein Paar geht, das sich auseinandergelebt hat ("Ich glaube, wir sind wie ausgelatschte Schuhe").
"Just Like Ice Cream" ist ein Titel wie aus der Produkt-Werbung und tatsächlich wirkt der Track sozusagen suggestiv-einschmeichelnd, sodass er den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Ein flotter Smooth-Jazz-Pop, dem ein Mehr an Stabilität allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte. Was leichtfüßig klingt, hält unter der Oberfläche tiefsinnige Gedanken bereit: "Textlich symbolisiert die Idee, dass Eiscreme schmilzt, eine Midlife-Crisis oder das Gefühl, viele Temperatur- oder persönliche Veränderungen an einem Tag durchzumachen."
Dieser Mangel an konstruktiver Griffigkeit setzt sich leider bei "Where Do You Go?" fort. Das Lied wurde sauber umgesetzt und produziert, aber es fehlen die bei vielen anderen Liedern oft charmant untergebrachten Ecken und Kanten, die für besonders prickelnde Momente verantwortlich sind. Musikalisch wurde für Unbeschwertheit gesorgt, aber inhaltlich werden Konflikte aufgeworfen: "Wir haben überlegt, was ich für mich selbst sehen möchte in einer Welt, die scheinbar auseinanderfällt", kommentiert Sam Luca Baisch den Sachverhalt.
Aber das Album ist noch nicht zu Ende: "Jude Bellingham" knüpft an die Klasse von zum Beispiel "Opposite Opinions" an. Heraus kommt wieder einmal ein unbekümmerter, einfallsreicher Sound für jung gebliebene Erwachsene mit Niveau. Jude Bellingham ist ein englischer Fußballspieler, der in der dortigen Nationalmannschaft, bei Real Madrid und auch bei Borussia Dortmund gespielt hat. Dort ist er aufgefallen, weil er nach einem verlorenen Spiel gegen Bayern München den Schiedsrichter öffentlich bezichtigt hatte, parteiisch gewesen zu sein. Diese Behauptung kam nicht von ungefähr, denn der gemeinte "Unparteiische" war 2005 in den Wettskandal um Robert Hoyzer verwickelt gewesen.
Mit "It’s A Beautiful World (When I’m On My Own)" senden die Musiker als kurzen Abschied freundliche Schwingungen ins Universum.
Rikas ist mit "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" ein über weite Strecken hinweg ergötzliches Adult-Pop-Werk gelungen, bei dem der Pegel oft zu Gunsten von anspruchsvoll-einschmeichelnder Unterhaltung ausschlägt. Dass dieses schwierige Unterfangen je nach Erwartungslage unter Umständen nicht als perfekt wahrgenommen werden kann, liegt in der Natur der Sache, weil der Grat zwischen erfrischender Leichtigkeit und banalem Kitsch ein sehr schmaler ist. Mit "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" ist den Musikern von Rikas auf jeden Fall eine sehr schöne Platte gelungen, die mehr als nur angenehm ist.