Burnout, Beziehungsdrama und ein Kreativitätsschub: Das vierte Porridge Radio-Album offenbart eine erhebliche Weiterentwicklung.
2023 war ein schweres Jahr für Dana Margolin, die Komponistin und Sängerin von Porridge Radio aus Brighton in England. Nach einer langen Tournee war sie erschöpft und ausgelaugt, was zu einem heftigen Burnout führte. Zu allem Überfluss ging nach der Erholung davon auch noch eine kurze, aber toxische Partnerschaft in die Brüche. Diese Ereignisse führten zum Überdenken der künstlerischen Karriere und zur Einbeziehung der Erfahrungen aus "einer frenetischen und verzweifelten Liebe" in ihre Poesie.
Als Porridge Radio 2014 gegründet wurde, konnte noch niemand ahnen, dass die Gruppe mit ihrem zweiten Album "Every Bad" im Jahr 2020 für den Mercury Prize nominiert werden sollte und mit "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" 2022 in die britischen Top-40 einsteigen konnte. Zu sperrig, widerborstig und schwermütig ist ihr Sound eigentlich dafür und grundsätzlich gar nicht Mainstream-tauglich. Vielleicht liegt der besondere, ansprechende Reiz in der verletzlichen, ehrlichen, schonungslosen Darstellung des Gesanges von Dana Margolin und in der verlässlich starken Untermalung der von Problemen belasteten Themen durch Georgie Stott (Keyboards, Backing Vocals), Sam Yardley (Schlagzeug) und Dan Hutchins (Bass). Dieses eingespielte Gespann durchzieht auch das neue Werk wieder mit drastisch grellen und empfindsam-ausschweifenden Klang-Szenarien.
Bei "Anybody" führt ein Wunsch zur Übersteigerung einer Idee. Nämlich die Liebe einer Person so dringlich zu begehren, dass es das Denken und Handeln vollends in Anspruch nimmt. Mit säuselnden Synthesizer-Dauertönen wird eine ausgeglichen-friedvolle Stimmung vorgegaukelt, welche durch eine immer wütender werdende Stimme und aggressiv aufspielende Gitarren- und Schlagzeug-Salven komplett zerlegt wird. Dieses Konstrukt fällt zum Schluss resignierend zusammen und trägt damit akustisch viele Ausprägungen und Phasen einer gescheiterten Verbindung in sich.
Ähnliches Prinzip, gleiche Wirkung: "A Hole In The Ground" suggeriert im Hintergrund eine fröhliche Jahrmarkts-Atmosphäre. Textlich und stimmlich regiert jedoch Ratlosigkeit über das Ende einer Liebe ("Woher soll ich das wissen? Was ich geben und was ich zurückgeben kann."), was ergänzend durch Tempo-Brüche ausgedrückt wird. "Dies ist ein Lied über das Nichtwissen, darüber, in einem gruseligen Märchen oder einem schrecklichen Albtraum gefangen zu sein und davonzurennen und schreckliche Zukünfte vorherzusagen, die wahr werden und sich selbst erfüllen", verriet Dana Margolin der Online-Plattform "The Needle Drop". Andersrum wünscht man sich manchmal, die Realität sei nur ein böser Albtraum.
Das dunkel-melancholische oder vor Zorn schäumende "Lavender, Raspberries" trifft einen Nerv, wenn es darum geht, die wechselnden Gefühle klangmalerisch darzustellen, die bei einer großen Enttäuschung entstehen. Wobei das Lied inhaltlich zwischen Depression und Todeswunsch pendelt. Als eines der Transportmittel für diese Zustände dient eine flexibel eingesetzte, flirrend-schwebende, pfeifende Orgel, die sämtliche beschriebene Gefühlsregungen nachvollziehbar und eindringlich abbilden kann. Ein Effekt, den sich auch zum Beispiel The Doors oder The Stranglers zu Nutze gemacht haben.
"God Of Everything Else" erzählt vom Burnout und von den Selbstzweifeln, die zum Zusammenbruch geführt haben. Und das zunächst in einer ehrfürchtig-liebevollen Weise, als würde ein wenig Dankbarkeit für die aus der Krise gewonnenen Erkenntnisse mitschwingen. Sanfte Geigentöne sorgen für Vertrauen und Beruhigung und das Schlagzeug gibt einen Durchhaltepuls vor. Dann brechen aber doch noch die quälenden Erinnerungen durch, was sich in einer vor Erregung zitternden und allmählich panisch werdenden Stimme äußert. Außerdem brodelt es gewaltig, wenn sich Keyboard, Schlagzeug und Gitarre zur Erzeugung eines Klang-Orgasmus treffen. Nach dem Höhepunkt ist allerdings alles Leid überstanden: "Ich gehe überall hin, nur um von dir wegzukommen. Ich habe alles, was ich brauche." Es ist grade nochmal alles gut gegangen, denn die befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben, aber es war knapp ("Ich habe auf das Ende gewartet"). Und so klingt dieser intensive, schöne Song versöhnlich, tröstlich und hoffnungsvoll aus.
Gleich darauf folgt mit "Sleeptalker" ein Liebeslied, das ohne Liebesleid auskommt: "Ich bleibe glücklich, ich habe Glück, dich zu kennen". Die gemächlichen Takte ähneln anfangs einem Wiegenlied, welches auf einer Barock-Pop-Basis aufgebaut ist. Aber Porridge Radio wären nicht Porridge Radio, wenn sie es der Hörerschaft mit durchgängiger Harmoniesucht leicht machen würden. Die zweite Hälfte des Tracks kommt nämlich ungleich störrischer und nervöser daher.
Auch "You Will Come Home" versucht sich als Wolf im Schafspelz. Das Stück täuscht nämlich vorübergehend Ausgeglichenheit und Sanftmut vor, wechselt aber dann, wenn schon mit einem milden Ausgang gerechnet wird, in einen hart rockenden, entschlossen zupackenden Modus. Das Leben präsentiert eben häufig Gegensätze, Yin und Yang oder in diesem Fall Hoffnung und Zweifel.
Und auch, wenn man sich von allen guten Geistern verlassen fühlt, werden die Wolken im Wind und die Vögel in den Bäumen für einen da sein. Dieser Glaubenssatz, der die Verbundenheit mit der Natur als tröstendes Element in sich trägt, steckt hinter dem Album-Titel und in der Lyrik von "Wednesday". Zuerst mit Zuwendung, dann mit scharfen Psychedelic-Rock-Exkursionen wird dieses Credo leidenschaftlich-durchdringend vermittelt.
Porridge Radio spielen sich mit "In A Dream I`m A Painting" in einen Rausch aus Schwingungen, die sich in ihrer Intensität und ihrer Wucht laufend steigern, anschließend in sich zusammenfallen und ausgeglichen und zufrieden auspendeln. Träume sind Schäume, die Seele geht auf Wanderschaft und projiziert unsere Erwartungen und Ängste: "In einem Traum bin ich ein Gemälde, das dich anschaut und mich anschaut. In einem Traum vergesse ich, wo ich sein soll. Ich weiß, wohin ich gehe, ich weiß, wo ich lieber wäre."
Von jetzt an beginnt ein neuer, von Erkenntnisgewinn gekennzeichneter, gereifter, ausgewogener Abschnitt: "I Got Lost" entstand aus einer Läuterung heraus, ist tatsächlich ohne emotionalen Ausbruch durchgeführt worden, steht für Zuversicht und einen Neubeginn, hat einen positiven, assoziativen Text, atmet frische Luft und verströmt Sicherheit und beschwört Lagerfeuer-Romantik ohne Verbrüderungs-Zwang.
Im Zuge der Neuorientierung gibt es eine Versöhnung mit dem alten Leben. Auf tolerante, nachsichtige Art rechnet "Pieces Of Heaven" mit dem Ex-Liebhaber ab und gewinnt dadurch an Sympathie und Ansehen. Der Song unterstreicht dieses Verhalten mit einem galanten, unaufgeregten, überlegenen Auftreten und stellt gleichzeitig musikalisch eine attraktive, alternative Adult-Pop-Nische vor.
Mit "Sick Of The Blues" ist die Metamorphose von einer abhängigen Raupe zu einem selbstbestimmten Schmetterling beendet: "Ich habe den Blues satt, ich bin wieder in mein Leben verliebt. Ich habe den Blues satt und werde mich allem hingeben." Dana ergänzt diese Textzeilen folgendermaßen: ""Sick Of The Blues" handelt davon, dass man Liebeskummer hat und sich die Freude zurückholt, dass man sich daran erinnert, dass man der Ursprung seines eigenen Glücks ist, nicht jemand anderes, selbst wenn man verletzt ist und ein Loch im Herzen hat."
Porridge Radio legen in dieses Stück nochmal alle ihre berstenden und umschmeichelnden Emotionen hinein, sodass sich dort Herzschmerz, Wut und Liebes-Sehnsucht wiederfinden. Die Rekonvaleszenz ist abgeschlossen, das pralle Leben kann wieder genossen werden.
"Fast alle Songs begannen als Gedichte", berichtet Dana Margolin über den Entstehungsprozess von "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me". Das macht die Lieder unmittelbarer und authentischer, weil man sich hinter einem Gedicht nicht verstecken kann, hat Dana erfahren. Aber nicht nur diese Herangehensweise ist neu, sondern auch die Wahl des Produzenten. Sie ist auf Dom Monks gefallen, der unter anderem schon für Big Thief um Adriana Lenker, Ray LaMontagne, Tom Jones, Laura Marling, Paul McCartney, Nick Cave und Tucker Zimmerman gearbeitet hat. Er hat sich als einfühlsamer, auf Klang- und Arrangement-Qualität bedachter Ratgeber und Toningenieur hervorgetan und dieses Talent auch zur Weiterentwicklung von Porridge Radio eingesetzt.
Der erfahrene Sound-Designer verleiht den Kompositionen einen glaubhaften emotionalen Ausdruck, egal ob es sich um Verletzlichkeit, menschliche Wärme oder um unbeherrschte Gefühlsausbrüche handelt. Einfühlungsvermögen, Zorn und liebevolles Verständnis finden eine glaubwürdige Bestimmung und ergänzen sich für ein umfangreich gestaltetes Gesamtkunstwerk. Margolin gebärdet sich hinsichtlich der zur Schau gestellten inneren Zerrissenheit nun nicht mehr in erster Linie manisch und depressiv - wie eine Neuauflage von Ian Curtis von Joy Division - sondern auch als in Gedanken vertiefte Dark-Chanson-Lady mit Sendungsbewusstsein. Sie ist grade dabei zu lernen, alternative Ausdrucksformen zu Gunsten von weitreichenden Veränderungen zu kultivieren. Dana Margolin findet als starke, von Krisen geschüttelte Persönlichkeit aktuell ihre Mitte und Porridge Radio haben mit "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me" einen wichtigen Schritt in eine zukunftsweisende Weiterentwicklung getan!