Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben!
Der Name Leif Vollebekk ist bislang nur wenigen Eingeweihten ein Begriff. Dabei hat der Musiker aus Ottawa (Kanada) seit 2010 schon vier exzellente Platten herausgebracht. Sein fünftes, gleichwertiges Studioalbum "Revelation" erscheint am 27. September 2024 und präsentiert nicht nur markante Songs, sondern kann auch mit einer hochkarätigen Besetzung auftrumpfen. Dazu gehören die Schlagzeuglegende Jim Keltner und die Pedal-Steel-Gitarristin Cindy Cashdollar, die unter anderem für Bob Dylan, Van Morrison und Ryan Adams gearbeitet hat.
Auch wenn sich der Eröffnungs-Track textlich auf den "Rock And Roll" beruft, so findet sich auf dem gesamten Werk musikalisch nichts Aufrührerisches, Lautes oder Rebellisches. Es baut vielmehr auf den bezaubernd-dynamischen Errungenschaften einiger Kollegen aus den 1970er-Jahren auf, die teilweise fast vergessen sind, wie Jesse Winchester, Steve Young, David Wiffen und David Ackles oder als Ikonen verehrt werden, wie Jackson Browne, Eric Anderson, Townes van Zandt und Tim Hardin. Aber Vollebekk ist kein Imitator oder Plagiator, er lässt sich lediglich von Vorbildern inspirieren, um deren Vorgehen mit seinen Vorstellungen zusammenbringen zu können. Es ist ihm durchaus bewusst, dass die meisten Noten-Verbindungen schon irgendwann einmal verwendet wurden und er nun von den ursprünglichen Ideen profitieren darf: "Also werde ich nur diese eine Note spielen. Es ist nicht mal eine von denen, die ich geschrieben habe. In der Tat ist es keine von ihnen oder wusstest du das nicht? Sie sind vom Schöpfer des Rock 'n' Roll", lautet die ehrliche Erkenntnis.
Der Song "Rock And Roll" ist eine Ballade, die mit einem sanft groovenden Schlagzeug und breitflächig säuselnden Synthesizer- und Streicher-Klängen ausgestattet wurde. Dieses opulente Gebilde füllt Leif mit Herz-Schmerz-Gesang gefühlvoll auf und erschafft daraufhin ein Lied, das als gefühlvoll-sentimental bezeichnet werden kann. Dennoch wirkt die Musik nicht wehleidig-jammervoll, sondern liebevoll-behutsam. Diesen Spagat zwischen geheuchelter Schnulze und ehrlichem Verständnis muss man erst einmal zu Gunsten von Aufrichtigkeit hinbekommen.
"Southern Star" bedient sich der bitteren Süße, die in der Seele der Country-Musik schlummert und so ist das Lied gleichzeitig traurig wie auch aufbauend. Das Piano gibt die melancholische Stimmung vor, das Schlagzeug den betrübten, aber kräftigen Herz-Takt und das Schwirren der Keyboards lässt die Zeit still stehen. Der Background-Gesang von Angie McMahon und Anaïs Mitchell symbolisiert innige Verbundenheit, so wie ihn einst Gram Parsons und Emmylou Harris ausdrückten. Die Pedal-Steel-Gitarre macht das, was eine Pedal-Steel-Gitarre am besten kann: rührend-ergreifende Tränen weinen, die aus Noten bestehen. Meisterlicher wird man ein inniges Liebeslied kaum ausstatten und interpretieren können.
Das Leben ist eine Reise und eine Suche, womöglich nach Seelenfrieden. Wenn man Glück hat, kann man diesen auch in einer Beziehung finden. Darum geht es in "Peace Of Mind", einem Track, der das Glück greifbar macht und sich als beschwingter Adult-Pop auszeichnet. Das Stück ist eingängig, hat also grundsätzlich Radio-Format, ohne jedoch einfallslos dahinzuplätschern, wie man es oft von anderen Charts-Kandidaten ertragen muss. Auch dieser Spagat ist nicht einfach und leider relativ selten anzutreffen.
Sich mit den Kräften der Natur messen und dabei an die eigenen Grenzen gehen, das hat etwas Befreiendes. Davon können Surfer ein Lied singen, was Vollebekk hier mit "Surfer's Journal" tatkräftig vollbringt. Die Herausforderung des Surfens wird in diesem Beispiel dazu genutzt, um etwas über die eigenen verborgenen Wünsche zu erfahren: "Ich kam hierher, um herauszufinden, was in mir vorgeht". Meeres-Rauschen und monoton surrende Geigen-Töne flankieren dezent diese Piano-Ballade, was die Wahrnehmung von ausgedehnten Landschaften fördert. Erst spät setzt das Schlagzeug ein, das beinahe wie das Peitschen des Wassers an Klippen klingt. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die flimmernden Töne auch schon im Verbund mit weiteren Instrumenten hochgeschaukelt und der Song bewegt sich wogend wie Wellen im Wind. Leif Vollebekk erweist sich als Herr der Gezeiten und reitet stimmlich selbstbewusst auf der Dünung. Romantik und Realität finden eine Ausdrucksform, die für eine gleichberechtigte Partnerschaft von Intro- und Extrovertiertheit wirbt.
Der Begriff "Moondog" hat unterschiedliche Bedeutungen: Er steht für Hunde, die den Mond anheulen und er bezeichnet außerdem den Künstlernamen des New Yorker Komponisten Louis Thomas Hardin, der dort von Ende der 1940er-Jahre bis zum Anfang der 1970er-Jahre als Blinder im Wikinger-Kostüm an der Ecke 6th Avenue/54th Street anzutreffen war. Daneben gibt es unter dem Namen Moondog noch die astronomische Bezeichnung für einen Mond-Nebenschein, der als Lichtbrechung neben dem Erdtrabanten als Punkt sichtbar sein kann. Im "Moondog"-Song von Leif Vollebekk kann es sich aber auch nur um den Spitznamen der besungenen Frau handeln: "Sag mir, was du siehst. Moondog, du bist alles, was ich brauche. Meine Gedanken kreisen immer wieder zu dir zurück." Der erzählerisch starke Folk-Song kommt mit wenigen Instrumenten aus: Eine akustische Gitarre, ein Bass, eine Mundharmonika und ein paar atmosphärische Synthesizer-Klänge reichen, um eine intime, aber entschlossene Stimmung aufzubauen.
Zartfühlend und nachdrücklich kommt uns "False-Hearted Lover" entgegen. Die genannten Gefühlsäußerungen sind keine Widersprüche, was diese Komposition verdeutlicht. Die Geschichte vom betrogenen Liebhaber beinhaltet nämlich ruhig-beherrschte und druckvoll-energische Phasen, was das Lied äußerst lebendig und wendig erscheinen lässt.
"Elijah Rose" berichtet davon, dass das siebenjährige Mädchen von ihrem Vater getötet wurde. Um nicht der Verzweiflung Raum zu geben, klammert sich die Poesie an die Möglichkeit, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Ein monotoner Break-Beat steht in der Gestaltung stellvertretend für die Ohnmacht bei einem der heftigsten Einschnitte im Leben, der Bass für die Trauer, das Piano forscht akustisch nach Erklärungen und die E-Gitarre erzeugt einen Hilfe suchenden Aufschrei. Leif Vollebekk bemüht sich, gesanglich die Beherrschung zu waren. Fassungslosigkeit schleicht sich jedoch in jedes seiner Worte ein.
"Mississippi" beginnt sehr verhalten, leise und unauffällig und bekommt nach dem unscheinbaren Beginn zuerst durch ein wuchtiges Schlagzeug und dann durch ein freches E-Gitarren-Solo einen Schub in Richtung Aufbruch versetzt. Allerdings zeigt sich der romantisch geprägte Ablauf davon unbeeindruckt. Der Mississippi dient bei dem Lied als Bildnis für einen verheißungsvollen Sehnsuchtsort mit einigen Mysterien, die ihn noch anziehender machen.
Bei "Till I See You Again" wird das Flehen in Worte und Noten gegossen. Das Piano spielt eine schmerzvolle Sinfonie und das Saxofon bringt anfangs nur Rauschen hervor. Später reiht es sich unkonventionell in die Elegie ein. Dessen neue Klänge erinnern an das aufgeregte Geschnatter von Wildgänsen, wenn sie sich sammeln und im Schwarm ins Winterquartier fliegen.
Für "Sunset Boulevard Expedition" wird Kitsch zur großen Kunst aufgewertet. Leif Vollebekk fährt in über acht Minuten die ganz große Gefühls-Offensive auf: eine überirdisch klar klirrende Harfe, weichgezeichnete Streicher, ein hypnotisches Klavier, leidenschaftlich leidender Gesang, ein zart getupftes sowie frisch belebendes Schlagzeug, engelsgleiche Background-Gesänge und nicht zuletzt eine lieblich-bildhafte Poesie entführen in eine unwirkliche Scheinwelt, die durch ihre suggestive Schönheit die Sinne benebelt. Vorsicht, Sucht-Gefahr!
"Angel Child" klingt wie ein verschollen geglaubter Honky-Tonk-Country-Folk-Song von John Prine. Bodenständigkeit und Spiritualität treffen hier vortrefflich zusammen ("Jetzt, wo ich dich getroffen habe, glaube ich an Engel. Sag mir jetzt, Baby, glaubst du an mich?")
Für Leif Vollebekk ist "Revelation" eine Meditation über das Leben in einer sich rapide schnell ändernden Zeit, bei der zunehmend Zweifel an den praktizierten gesellschaftlichen Normen und Werten entsteht. Vollebekk suchte im Vorfeld der Entstehung des Albums Antworten auf seine brennenden Fragen nach der Bedeutung von Naturgesetzen im Zusammenhang mit einer eventuellen göttlichen Fügung bei Carl Jung, Isaac Newton und Dmitri Mendelejew. Sie regten ihn dazu an, intensiver über das Leben und seinen Platz darin nachzudenken.
"Revelation" ist ein klassisches Singer-Songwriter-Opus geworden, bei dem gut abgehangene Tugenden, wie runde, süffige Melodien, geschmackvolle, delikate Arrangements und eine ausgeruht-lässige Sing-Stimme genüsslich in die Kompositionen einfließen. Auf diese Weise entstehen Songs, die das Zuhören zu einem unvergesslich beglückend-zarten Erlebnis werden lassen.
Ohne Hektik oder Stress und ohne Trend-Vorgaben sieht man sich mit einer authentischen Persönlichkeit konfrontiert, die einfach nur für eine gute, anregende Zeit sorgen möchte. Und das ist komplett gelungen. Man fühlt sich angenehm aufgehoben in und mit diesen Liedern. Deshalb der Appell: Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben, denn seine Songs sind zu wertvoll und attraktiv, um nicht angemessen beachtet zu werden. Wohlklang und Qualität für alle!