Großes Spätwerk
Wenn ich jetzt sage, dass ich "Knot" für das beste Album der Nits seit Mitte der 1990er halte, sollte ich das vielleicht begründen. Ich gehe mal davon aus, dass, wer diese Rezension liest, ohnehin weiß, mit was er es ungefähr zu tun hat. Es gab in der Vergangenheit auch Alben, auf denen ich ihnen nicht so recht mehr folgen mochte - das grottige "Doing The Dishes", das alberne "1974" und "Strawberry Woods", auf dem sie ihre Originalität vergessen hatten, seien hier genannt. Aber was sie 2019 mit "Knot" abgeliefert haben, ist so großartig, dass ich auch nach 10 Durchläufen noch nicht recht glaube, was ich höre.
Die Nits, die ich verehre, sind jene Band, die im Geiste des Surrealismus ihre Phantasie fliegen lässt.. Die die Kunst beherrscht, unbewegte Skulpturen aus Klang herzustellen. Die ihr ganz eigenes Klanguniversum erschafft, verträumte Räume aus Sound, in denen unerklärliche Dinge vor sich gehen, das ganze gespeist aus einem melodieverliebten Geist, der von den Beatles und XTC bis Brian Eno und Franz Schubert alles aufsaugt... "Ting" - radikale Beschränkung auf zwei Klaviere und eine Wagenladung der von Rob Kloet orchestral gehandhabten Percussion. "Giant Normal Dwarf" - eine Art Traum von einem psychedelischen Kinderbuch, in Musik gesetzt - Diese Band kann mir gar nicht seltsam genug sein.
"Knot" schließt an elegisch-getragene Alben wie "Les Nuits" und "Angst" an und erschließt dabei doch ganz neue Felder. Die "Lyrics" sind keine Gedichte, sondern verschroben-surreale Kurzgeschichten, die sich in erster Linie um den Verlust der Kindheit, den Tod der Eltern und epiphaniehafte Situationen drehen, in denen ein unauffälliges Detail plötzlich die Welt bedeuten kann.
Wer sich also für eine Stunde in eine Art magisch-realistischen Film entführen lassen will, der mit traditionellen Songstrukturen zwar nichts mehr zu tun haben will, aber trotzdem voller vieler mikroskopischer Ohrwürmer steckt, wer eine Liebe zum Klang und zur Atmosphäre erleben will, die man eher bei den späten Talk Talk, Brian Eno oder Blue Nile finden kann, der sollte sich Zeit nehmen, in "Knot" einzutauchen. Und wie in einem Fraktal lassen sich bei immer genauerer Betrachtung immer mehr Details finden, die man vielleicht einmal schon gehört oder erahnt hat. "So many colours in my head", singt Hofstede im ersten Song, und was Kloet, Stips und Hofstede an ungehörten Soundkombinationen in der nächsten Stunde auf einen loslassen, sucht seinesgleichen. Rob Kloets wie immer virtuoses orchestrales Drumming ist kein Rhythmustrack, sondern explodiert vor Ideen und Kraft. Da kratzt ein zikadenhafter Rhythmus herum, über den sich wolkengleich sanfte Atmosphären schieben, bis sich plötzlich ein riesiger Raum auftut, durch den sich eine schwermütige Klaviermelodie zieht. Da verdrehen sich zwei Altflöten ineinander zu einem klagenden Flechtwerk... - Das Album ist vollgestopft mit Melodien - man sollte sich allerdings nicht fragen, ob sie jetzt in gewöhnliche Konzepte wie "Strophen" und "Refrains" gehören. Sie kehren ab und an wieder, wie ein Traum, den man vielleicht sogar schon einmal geträumt hat, sich aber nicht sicher ist.
Je weniger Henk Hofstede auf den Alben Gitarre spielt, desto besser. Virtuos ist er nicht, über ein paar geklampfte Standardakkorde kommt er für gewöhnlich nicht hinaus, daher freue ich mich, dass die Gitarre, wie auch bei Giant Normal Dwarf, Hjuvi und Ting im Schrank blieb. Was der Mann, der ja auch ein wunderbarer bildender Künstler ist, umso besser kann: Atmosphären herstellen, wunderbar singen (so gut bei Stimme war er lange nicht). Und genau auf diese Stärke besinnen sich die Nits hier - kleine, ephemere, tragische Welten erschaffen, Träume vertonen, Spannungsbögen halten, in deren Wohlklang man baden will, Stimmungen einfangen, die sich in einer vergrübelten und dennoch leichtfüßigen Traumlogik ins Ohr schmeicheln.
"Knot" ist ganz groß!