Wenn es intim, ruhig und nachdenklich wird, laufen The Brother Brothers zu ganz großer Form auf und zelebrieren pure Schönheit.
Wenn Brüder miteinander harmonieren, dann können sie so schön klingen wie Don und Phil Everly. In solch einem Fall setzt sich die Summe der musikalischen Brillanz aus Talent und Magie zusammen. Das Americana-Duo The Brother Brothers besteht auch aus echten Brüdern, deren Vorbilder die Everly Brothers sind. Kein Wunder also, dass die eineiigen Zwillinge Adam und David Moss den höchsten qualitativen Ansprüchen gerecht werden wollen.
Mit "Cover To Cover" huldigen sie einigen ihrer Idole oder übernehmen Songs, die ihnen viel bedeuten und von denen sie sich bei der Einverleibung jede Menge Anregung versprochen haben: "Er ist so gut geschrieben und so bedeutungsvoll. Er ist genau so, wie ein Country-Song sein sollte", sagt David Moss über die Ballade "That’s How I Got To Memphis" von Tom T. Hall aus 1969. Die Brother Brothers überführen die Fremdkomposition in eine Soft-Rock-Variante mit weichem, anschmiegsamem Gesang und cremiger Melodielinie. Was für eine zarte Verführung!
"These Days" wurde von Jackson Browne schon mit 16 Jahren geschrieben und erstmalig von der Velvet Underground-Sängerin Nico auf ihrem Album "Chelsea Girl" im Jahr 1967 veröffentlicht. Der düster-ausdruckslose Gesang steht bei dieser Interpretation im Kontrast zur optimistisch gestimmten E-Gitarre, während sich die Streicher mal auf die finstere, dann wieder auf die zuversichtliche Seite schlagen. Die erste Demo-Aufnahme von Browne aus 1967 - damals noch unter dem Titel "I`ve Been Out Walking" - war noch relativ lebhaft, seine Version für sein zweites Album "For Everyone" hörte sich dann tieftraurig an. Die Moss-Zwillinge orientieren sich bei ihrer Sichtweise an beiden Ausprägungen und haben dabei auch die helle, klare Studio-Aufnahme und die depressiven Live-Auslegungen von St. Vincent im Ohr. Der Rhythmus ist bei ihnen schnell getaktet und der Gesang, der ausgewogen wie von Paul Simon klingt, wurde melancholisch angelegt. Die Akustik-Gitarre und der Bass vermitteln dann zwischen den lebhaften und nachdenklichen Momenten.
"You Can Close Your Eyes" von James Taylor ist einer dieser Songs, der zum dahinschmelzen schön ist und sich gnadenlos in Herz und Hirn frisst. Jeder Widerstand ist zwecklos. Bittere Süße macht sich breit, befeuchtet die Augen und erweicht das Herz. Das ist Songwriting auf höchstem Niveau. Egal, ob man das Original oder die Version von Linda Ronstadt genießt, die Musik ist stets hinreißend ergreifend. Die Brother Brothers können hinsichtlich der sinnlich-verführerischen Innigkeit locker mit den genannten Referenzen nicht nur mithalten, sie übertreffen sie sogar. Das Stück wird von ihnen als entschlackte, schwelgende Country-Nummer präsentiert, die so entwaffnend attraktiv ist, dass man sich der behaglich-zufriedenstellenden Wirkung nicht entziehen kann. Sarah Jarosz wirkt dann noch als delikat zurückhaltende Gesangsverstärkung mit und füllt die Schwingungen der Brüder mit samtenen Noten beglückend auf. Lieblich, zum Heulen schön! Ein Traum in Moll.
"If You Ain’t Got Love" stammt von der Cajun-Truppe The Revelers und ist eine beschwingte Pop-Ballade (kein Widerspruch!), die sich in diesem Zustand als galanter Country-Rock im Sinne der Desert Rose Band um Chris Hillman und Herb Pedersen zeigt.
Die Singer-Songwriterin Judee Sill war eine tragische Figur. Sie hatte so viel Talent und Einfühlungsvermögen, zerbrach aber an ihrem Umfeld (gewalttätige Eltern, Prostitution, eigene Kriminalität, Drogenabhängigkeit, unglückliche Partnerschaften, missglückte Operationen) und dem kommerziellen Misserfolg ihrer Platten. Sie starb 1979 mit nur 35 Jahren an einer Überdosis, die als Selbstmord deklariert wurde. Die Country-Ballade "There's A Rugged Road" gehört zu einem ihrer intensivsten Songs und bekommt durch die Neuinterpretation eine würdige, spirituell angehauchte Stimmung verliehen.
Das sogenannte "Weiße Album" der Beatles von 1968 gehört zu deren ambitioniertester Arbeit. Von infantilem Liedgut ("Ob-La-Di, Ob-La-Da") bis hin zu einer experimentellen Avantgarde-Komposition ("Revolution 9") ist dort eine riesige Bandbreite zu hören. "I Will" gehört mit seiner Wiegenlied-Rezeptur nicht zu den stärksten Stücken der Fab Four. Aus nostalgischen Gründen wurde das Lied dennoch aufgenommen, kann aber von den Brother Brothers nicht aus seiner Behäbigkeit gerettet werden. Schade eigentlich.
Als der Jazz-Trompeter Chet Baker im Jahr 1954 "Chet Baker Sings" veröffentlichte, gab es nicht wenige Kritiker, die seine Stimme als zu wenig voluminös und zu unsicher bezeichneten. Heute gelten die Gesangsaufnahmen als Krönung seiner Karriere. Dazu gehört auch "I Get Along Without You Very Well (Except Sometimes)", geschrieben von Hoagy Carmichael. Adam und David Moss arrangieren das Stück zusammen mit Rachel und Emily Price als mehrstimmige A cappella-Nummer im perfekt produzierten Stil der Jazz-Pop-Gesangstruppe The Singers Unlimited.
Der Singer-Songwriter Robert Earl Keen Jr. ist hier nie so richtig bekannt geworden und das zu Unrecht, denn er hat im Laufe seiner seit den 1980er Jahren andauernden Karriere etliche erstklassige Alben und Songs abgeliefert, die er mit seiner rustikalen Stimme veredelte. "Feelin’ Good Again" vom 1998er Album "Walking Distance" zeigt den modernen Minnesänger und studierten Journalisten als aufgeräumten Troubadour mit Hang zum Optimismus. "Dieser Song spricht für sich selbst als der Wohlfühlsong des Jahrhunderts", meinen die Moss-Brüder zu ihrer Auswahl und verpacken ihren bedächtigen Gesang mit Good-Time-Bluegrass-Noten.
Die Verdienste von Richard Thompson als Komponist, Sänger und Gitarrist zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Der Brite ist seit Ende der 1960er Jahre eine Folk-Rock-Institution und begeistert bis heute immer wieder mit herausragenden Produktionen. "Waltzing’s For Dreamers" hat jetzt auch schon 21 Jahre auf dem Buckel und ist bei den vielen tollen Liedern von Thompson etwas untergegangen. Auch deshalb haben die Brüder es ausgegraben und mit Anmut überschüttet.
Die sehnsüchtige Komposition "High Sierra" wurde von Harley Allen, dem Sohn der Bluegrass-Legende Red Allen, geschrieben und 1999 von Dolly Parton, Emmylou Harris und Linda Ronstadt über ihr Album "Trio II" bekannt gemacht. Um die weibliche Anmut der "Trio II"-Aufnahme zu retten, haben sich die Zwillinge Michaela Anne als Gast-Stimme eingeladen und um der innewohnenden Trauer des Liedes Ausdruck zu verleihen, lassen sie eine Geige leise Tränen weinen.
"Blue Virginia Blues" ist ein flotter Bluegrass-Song, der erstmals 1986 von Bill Harrell & The Virginians virtuos eingespielt wurde. Die Lebensfreude und das Tempo wurden für "Cover To Cover" übernommen, so dass diese Version eher eine originaltreue Hommage und keine Übersetzung in neue Deutungen geworden ist.
Von Tom Waits gibt es seit dem großartigen "Bad As Me" aus 2011 keine neue Musik mehr. Umso dankenswerter ist es, dass mal jemand an sein Werk erinnert: "Flower’s Grave" stammt aus seinem Album "Alice", das zeitgleich mit "Blood Money" 2002 herauskam und eines von den ruhig schunkelnden, ergreifend-knorrigen Stücken ist, die zum Markenzeichen des individuellen, kauzig-liebenswerten Musikers geworden sind. Schon allein wegen der stimmlichen Unterschiede kann es hier keine bloße Kopie geben. The Brothers Brother haben eben keine tiefen Stimmen und gleichen diesen atmosphärischen Unterschied durch dunkle Streichinstrumente aus, so dass der Track dadurch eine emotionale Tiefe verliehen bekommt.
Wer The Milk Carton Kids oder das Ehepaar Gillian Welch/David Rawlings schätzt, der sollte sich unbedingt "Cover To Cover" anhören. Immer wenn es gefühlsecht, langsam, innig und ruhig wird, ist die einfühlsam-betörende Interpretation der Zwillingsbrüder nicht zu schlagen. Man kann sich ihrer raffinierten Verführungskünste nicht entziehen.
Ihre Songauswahl ist beinahe vollständig stimmig und insgesamt hochwertig ausgefallen. "Cover To Cover" ist auf jeden Fall ein wunderschönes Cover-Album geworden, dass eine überlegene Musikalität aufweist und auf weitere Taten gespannt macht. The Brother Brothers müssen unbedingt im Auge behalten werden!