Susannas Überlegungen zur Aufrechterhaltung von Liebe wurden von Selbstreflexionen und Assoziationen geprägt.
Ist jegliche Art von Musik Gebrauchsmusik? Es gibt Verbrauchs-fördernde Töne, die das Konsumverhalten beeinflussen sollen. Es gibt aus psychologischen Gesichtspunkten erschaffene, beruhigende Klänge, um den Menschen beispielsweise die Angst beim Fahrstuhl fahren zu nehmen. Es gibt Telefonwarteschlangenberieselung, die die Leute in der Leitung halten soll (das funktioniert eigentlich nie, weil das Gedudel permanent nervt). Es gibt extrem einfach strukturierte Lieder, die für gute Laune bei Personen sorgen sollen, die sich eigentlich gar nicht ernsthaft für Musik interessieren. Diese dienen dann oft zur Ablenkung von zumeist stupiden Tätigkeiten, wie Auto fahren oder Hausarbeit. Und es gibt Kompositionen, die bei der Beschäftigung mit ihnen die Seele fliegen lässt. Sie sorgen dafür, dass Emotionen Purzelbäume schlagen und der Verstand in Schwingungen gerät. Was bestenfalls zu bewusstseinserweiternden Zuständen führen kann.
Und dann gibt es Susanna Karolina Wallumrød aus Norwegen, die unter ihrem ersten Vornamen, als Susanna And The Magical Orchestra, als Susanna & The Brotherhood Of Our Lady oder als Susanna & David Wallumrød und in einigen anderen Ausprägungen seit dem Jahr 2000 zweifellos zur letztgenannten Gruppe gehört. Denn sie füllt ihre Nische mit bester, anspruchsvoll-attraktiver Unterhaltung aus. Susannas kluge, künstlerisch wertvolle Arbeiten beschäftigen sich zum Beispiel mit der Poesie von Baudelaire und setzen Maßstäbe, weil sie Brücken zwischen der sogenannten E-(rnsten) und U-(nterhaltungs)-Musik bauen. Gleichzeitig wird klar, dass es sich bei der Kategorisierung nach U- und E-Musik sowieso um überflüssige Definitionen handelt, weil jede Form von anregender Musik auch Unterhaltungsmusik ist. Denn auch sie hat für ihre Hörerschicht definitiv einen hohen Unterhaltungswert, den man sich aber ohne Vorkenntnisse im Zweifel durch Lerneffekte aneignen muss.
Susanna geht für "Meditations On Love" neue Wege. Schon 2018 begann sie mit dem Schreiben der Lieder für die aktuelle Veröffentlichung, bei der sie nicht wie bisher ins Studio ging, um dort ohne Umschweife ihre Vorstellungen umzusetzen. Sie konsultierte stattdessen Juhani Silvola, einen finnisch-norwegischen Produzenten und Musiker, der dabei half, einen erkenntnisreichen Kreativitätsprozess in Gang zu setzen. Dieser zauberte eine eigentümlich-sonderbare Stimmung hervor, weil exaktes Songwriting und experimenteller Einfallsreichtum gewinnbringend zusammengebracht wurden. Der Tontechniker, Musiker und Produzent Marcus Bror Forsgren, der Mixer Bård Ingebrigtsens und ausgewählte Gastmusiker hauchten dann diesen Ideen im Studio Paradiso in Oslo ein interessantes Leben ein.
"In vielerlei Hinsicht war der Aufnahmeprozess von "Meditations On Love" ähnlich wie der Schreibprozess, bei dem es viel zu schnitzen gab, und viel zu versuchen, Dinge herauszufinden, die am Ende etwas anderes waren als das, was ich zuerst dachte", berichtet Susanna. Bei den Songs geht es grundsätzlich um die Schwierigkeiten, eine Liebe aufrechtzuerhalten. Das Front-Cover des Albums wurde von Ingrid Torvund gestaltet und zeigt Fantasie-Gestalten oder vagabundierende Seelen, die sich schwebend in einem zentrifugalen Sog-Zustand zu befinden scheinen. Das könnte ein Ausdruck des Taumelns und der Hilflosigkeit sein, dem man manchmal in Liebesdingen schutzlos ausgeliefert ist.
Mit "Everyone Knows" bekam das Werk dann eine Eröffnungsnummer zugeordnet, die schlagartig die veränderte Ausrichtung von Susannas Arbeitsvorgehen dokumentiert, illustriert und visualisiert: Blasinstrumente summen herum wie aufgescheuchte Bienen, gediegene Percussion-Werkzeuge und der voluminöse Bass bemühen sich um Konturen und Susannas Stimme fängt die entstandene lebhaft-freigeistige Stimmung mit einer nordischen Selbstbeherrschung ein. Das Ausströmen der eventuell als wunderlich empfundenen Töne erhält dadurch eine beherzt zupackende Charakter-Eigenschaft. Das Zusammenspiel von neugierigen, mutig agierenden Instrumentalisten und einer Sängerin, die menschliche Regungen unverstellt-empathisch abbilden kann, führt unweigerlich zu einer prickelnd-intensiven Darstellung origineller Kompositions-Kunst. Der Text reflektiert die zugrunde liegende Situation, wenn das Umfeld davon weiß, dass der Partner jemand anderen hat und du keine Ahnung hast, wie damit umzugehen ist.
Bei "Big Dreams" lässt Susanna ihre Keyboards eine Besorgnis erregende, monoton-stumpfe Atmosphäre aufbauen. Dabei wiederholt sie die Zeile "I Have Big Dreams For You" häufig und mit wechselnder Betonung unterschiedlicher Worte. In dieses hypnotisch gestaltete Szenario fährt ein außer Rand und Band geratenes Saxophon kurz dazwischen. Ansonsten herrscht eine manipulative, meditative Ausrichtung des Stückes. Veränderung, Sehnsucht, Hoffnung und Angst, das sind die großen Gefühle, die viele Träume begleiten und die hier in einen Zusammenhang gebracht werden.
Für "Leave Behind" wird das Gefühl "Kummer" in Worte gefasst: "Wird es Hoffnung geben. Wird es Liebe geben. Wird es Vertrauen geben. Ein Platz zum Ausruhen." Die Musik erzeugt dazu eine bleierne Schwere, die von glänzend-hellen Tönen durchbrochen wird, denn die Zuversicht stirbt bekanntlich zuletzt.
"I Took Care of Myself" zeigt den Weg heraus aus der Krise auf: "Ich habe mich um mich selbst gekümmert. Ich stand auf und ging." Entsprechend euphorisch gelingen die Ton-gebenden Begleitungen zur aussichtsvollen Poesie: Eine spiralförmige Synthesizer-Dauerschleife versucht sich gegen neue Einflüsse zu wehren, aber alles drumherum klappert, klingelt und trommelt glückselig, sodass die verinnerlichten, sich gegen Veränderungen wehrenden Mechanismen keine Chance bekommen, sich durchzusetzen. Besorgniserregend ist allerdings, dass jede Strophe mit der Zeile "Es ist Zeit zu gehen" endet.
Im Prinzip ist "Black Heart" eine lupenreine Ballade, nur geht es hier nicht offensichtlich um eine Liebesbeziehung. Das Stück führt gedanklich heraus aus der Dunkelheit und hinein ins Licht. Die musikalische Untermalung tendiert dabei allerdings eher zu bedrohlichen Tönen, was sich über die gesamte Laufzeit von fünf Minuten auch nicht auflöst.
Der Begriff des (Überlebens-)Kampfes findet in den Texten von Susanna mehrfach Verwendung. Im "Elephant Song" geht es vorwiegend um die Überwindung von körperlichen Beeinträchtigungen durch (vermutlich) psychischen Stress. Dazu zählen zum Beispiel eine eingeschränkte Atmung oder Sprache oder ein gestörter Schlaf. Susanna hat eine Lyrik ersonnen, die diesen Schwierigkeiten vergleichbare, nachvollziehbare Qualen zur Seite stellt. Die Behinderung der Sprachfähigkeit wird beispielsweise als "Meine Worte bluten in Klang und Gefühl" beschrieben. Saxophon und Piano "reden" dabei ausdrucks-technisch aneinander vorbei. Susannas Sprechgesang scheint darüber hinaus in einer anderen Ebene unterwegs zu sein, sodass Stimme und Instrumente nicht direkt zueinander finden. Das wird erst harmonischer, als Streicher und Trommeln die gegenläufigen Strukturen ausgleichen.
Es gibt Menschen, die behaupten, das ganze Leben sei ein Kampf. Diesen Gedanken nimmt "Battles" auf und definiert: "Es gibt all diese Schlachten. Kämpfe der Macht und Schlachten der Liebe. Schlachten der Freundschaft und Schlachten der Gelübde". Bei allen diesen "Kämpfen" sollte man zwischen internen und externen Diskrepanzen unterscheiden. Also denjenigen Auseinandersetzungen, die man mit Institutionen oder der Gesellschaft austrägt (wie zum Beispiel Machtkämpfe) und den internen Unstimmigkeiten mit verbundenen Personen, wenn es um Freundschaft und Liebe geht. Die letztgenannte Form sollte man besser in die Kategorie "Bemühung" statt "Kampf" einsortieren. Denn nur, wenn man sich nicht mehr um eine Freundschaft oder Liebe bemüht, ist sie wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Deshalb wird der Motivation zur Rettung von wichtigen Beziehungen auch ein Glaubenssatz mitgegeben: "Was ist deine Quelle der Hingabe oder Wahrheit". Die Klänge wogen melancholisch hin und her und geben keine Hilfestellung zur Entscheidung ab, sind aber Grundlage der Überlegung, was einem im Leben wirklich wichtig sein sollte.
Sind es rückwärts laufende Aufnahmen oder warme Holz-Bläser, die "A Swallow" einleiten? Diese Töne werden zur Verstärkung ihrer Wirkung von orientalisch klingendem Synthesizer-Rauschen begleitet. Wenn dann Susannas traurig-stockende Stimme einsetzt, stehen ihr ein eigenwillig klimperndes Piano und sich zurückhaltende, kratzige, gegen den Strich gebürstete Streicher als Begleitung zur Verfügung. Das Wechselspiel zwischen instrumentalem Klang-Teppich und gesanglicher Tristesse-Bekundung wird im Anschluss weiter fortgesetzt. Wobei sich sphärisch-meditative und melancholisch-aufreizende Schwingungen gegenseitig zu Gunsten einer intim-mystischen Atmosphäre annähern. Daneben finden mehrdeutige Text-Passagen ihre Entsprechung: Der ausgiebig benutzte Ausruf "Hey-ho" wurde in der Vergangenheit sowohl in der englischen Sprache als Ausdruck der Freude und Begeisterung herangezogen, als auch bei Seeleuten zur Motivationssteigerung bei der Arbeit am Schiff verwendet. Weder ein Ausdruck für pure Freude noch eine leistungssteigernde Wirkung kommt jedoch in Reinkultur im Rahmen der Poesie von "A Swallow" infrage. Zwar wird die Schönheit von Naturphänomenen erwähnt, im Mittelpunkt steht aber die Problematik der Vergänglichkeit, die auch den Inhalt des nächsten Liedes prägt.
Provozierend-sperrige und zerrend-disharmonische Saiten-Instrumente sowie aus der Reihe tanzende, den ungezügelt herumstreunenden Takt unterstützende Elemente buhlen bei "Where Has The Love Gone" nach Aufmerksamkeit. Susanna setzt diesem tolerant-forschen Treiben ihren harmonischen und hymnisch übersteigerten Gesang selbstbewusst entgegen. Auf die Frage, wo die Liebe geblieben ist, sucht die Norwegerin nach Antworten in der Natur ("Ich schaue hinauf zu den Bäumen um etwas Erleichterung zu finden. Das Grün gibt Ruhe.") und stellt schließlich als Trostpflaster fest: "Eingehüllt in eine samtene Nacht fühlt sich das Herz ungebunden."
"I Was Never Here" ruft vielerlei Assoziationen an die wunderbaren, originellen Kreationen von David Sylvian und seiner Formation Japan hervor: Ein fremdartig-seltsames Tempelglöckchen-Ambiente, als Gegengewicht dazu ein unbequemer Blech- oder Holzblas-Einsatz und Sternschnuppen-artiges Auftauchen von vorbeihuschenden Synthesizer-Effekten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Leugnen von Erlebnissen im Text ist hier eine Option für den Selbstschutz, um mit den schädlichen Auswirkungen von unangenehmen Erfahrungen fertig werden zu können.
Auch Susannas Musik ist in letzter Konsequenz natürlich Gebrauchsmusik. Die Lieder von "Meditations On Love" können für unterschiedliche Gelegenheiten Verwendung finden: Zur Vertonung von Filmen oder sich in unbekannte Welten entführen zu lassen. Dann auch, um sich von der wechselnden Dynamik faszinieren oder von einer zauberhaften Stimme berauschen zu lassen. Das funktioniert sogar im Sommer, wenn man sich darauf einlässt. Und das, obwohl die langsamen, stimmungsvollen Lieder auf den ersten Blick eher in die kalte, dunkle Jahreszeit zu gehören scheinen.
Die Kompositionen "funktionieren" eigentlich überall und jederzeit, weil sie von erhabener Schönheit, kristallener Klarheit, luftiger Transparenz, erstaunlicher Exotik, vielversprechender Sinnlichkeit und origineller Faszination sind. Bei den Songs fusioniert häufig eine melodische, träumerisch-verspielte mit einer experimentell-exotischen Komponente.
Susanna und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben mit "Meditations On Love" Klänge erschaffen, die die Schattenseiten und die schöpferische Kraft der Liebe miteinander versöhnen. Sie manifestieren auf diese Weise eine eindringliche und eine mitreißende Leistung und erschaffen bemerkenswerte, überzeugende, nachdrücklich begeisternde Kunst.