Die Sons Of Raphael bieten opulente Pop-Musik zwischen Traum und Realität.
Die Sons Of Raphael sind die Brüder Ronnell und Loral Raphael, die sich zwar äußerlich unterscheiden mögen, aber inhaltlich eine homogene Masse bilden, wenn es darum geht zu definieren, welche Bestandteile interessante Musik beinhalten sollte. Dadurch erinnern sie an Ron und Russell Mael von den Sparks. Die Lieder der Sons Of Raphael dürfen gerne ungewöhnlich, bizarr oder verlockend anders sein. Hauptsache ist, sie sorgen für Erstaunen, beeindrucken nachhaltig und regen an oder sogar auf.
Die besten und skurrilsten Geschichten schreibt immer noch das wahre Leben: Die Entstehung von "Full Throated Messianic Homage" hat unglaubliche sieben Jahre voller Irrungen und Wirrungen mit allerlei richtungsweisenden Ereignissen gedauert. So spülte eine zufällige Wette auf ein NBA-Spiel soviel Geld in die Kasse, dass sich die Brüder ein 35-köpfiges Begleitorchester samt Chor für die Studioaufnahmen leisten konnten. Das war ein entscheidendes Plus für die Verwirklichung ihrer komplexen Sound-Vorstellungen.
Mit dieser Verstärkung im Rücken beginnt "Revolution" wie eine religiöse Messe, bevor eine geschlechtlich nicht eindeutig zuordenbare Stimme mit einem Disco-Beat im Gepäck das geistliche Klima plötzlich auflöst und die Tanzfläche in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Dieser Zustand ist allerdings nicht von Dauer, denn das Wechselbad der Gefühle wiederholt sich ständig. Es klingt, als würden die feierlaunigen Pet Shop Boys ihren ausgelassenen Electro-Pop gegen den vertrackten, barocken Art-Pop-Sound eines Van Dyke Parks verteidigen müssen. Manchmal hört es sich auch an, als wäre der Gesang aus einem entfernten Nachbarraum dazu gespielt worden. Ein munter pfeifendes Theremin verbreitet zum Ende hin noch skurrile, gut gelaunte Easy Listening-Space-Age-Sounds. Aus dieser Synthese heraus gelang ein gefälliger, schwungvoller Pop-Song voller Dramatik und schräger Ideen. Ein Widerspruch in sich? Nicht für Ronnell und Loral Raphael.
Anfangs wabern noch 1960er Jahre Science Fiction-Sounds und Heavy Metal-Riffs dumpf durch den Äther. Bis dann Philly Soul-Euphorie um die Ecke lugt und sich Harmony-Pop breit macht, der bei "He Who Makes The Morning Darkness" allmählich konzertante Strukturen annimmt und den Song genüsslich mit Glücksgefühlen auffüllt. Ein Rap-Versuch gleitet bei "Siren Music" sauber und beweglich in einen psychedelischen Groove über. Die Stil-Akrobaten ermöglichen so die Entstehung eines belebenden Cocktails mit positiv geladenen, fremdartigen Klangnebeln, die sich betörend und suggestiv in die Großhirnrinde brennen, um dort die Sinne zu verwirren.
Absichtlich verstimmte Gitarren führen bei "On Dreams That Are Sent By God" noch tiefer hinein in das psychedelische Wunderland. Überall zirpt, surrt, schnurrt, klingelt und geigt es. Der Gesang wirkt wie leicht betäubt, führt aber trotzdem sicher durch dieses unbekannte Terrain. Wäre da nicht der gleichmäßige, herzschlagartige Rhythmus, würde sich das Lied im Rausch der verzaubernden Klänge verlieren.
Das schläfrige "# 9 Dream"-Gedanken-Karussell von John Lennon kollidiert bei "Devil Devil" ansatzweise mit dem punk-poppigen Aufruhr der Buzzcocks und entfesselt auf diese Weise ein vitales Assoziations-Gewitter. Bubblegum-Pop trifft dann bei "Yeah Yeah Yeah" auf eine Progressive-Rock-Fassade und gemeinsam gehen sie eine tolerante, vergnügliche Symbiose ein. Der daraus abgeleitete Refrain zerfrisst die Gehörgänge, weil er sich dort unvermittelt und penetrant festsetzt.
"Oh Momma" ist ein trauriger Walzer, der langsam und schleppend abläuft. Im Hintergrund geht es verwunschen zu: Synthesizer, Theremin und Geigen pfeifen und surren, als wollten sie den Soundtrack zu "Alice im Wunderland" neu interpretieren und als Drogenhymne aufführen, was die Erzählung ja vielleicht sogar ist. Da ist er wieder, der schon bei "Revolution" als brachial empfundene Lebenslust-auf-Teufel-komm-raus-Schwung. Der verleiht "I Sing Songs For The Dead" ein hohes Tempo und könnte bei passender Gelegenheit wahrscheinlich tatsächlich Tote zum Leben erwecken. Das Lied bleibt überwiegend aufwühlend-pompös, wird aber in den kurzen Verschnaufpausen auch mal pathetisch-theatralisch.
Der vertonte Todeswunsch von "Let’s All Get Dead Together" lässt die intim-erhabene, prachtvoll klingende Atmosphäre des Beach Boys-Meisterwerks "Pet Sounds" in einem veränderten Gewand aufleben: So übernimmt der Synthesizer hier den Orgel-Part, die Streicher sind dominanter als bei der Vorlage und der Chor klingt optimistischer. Der sakrale, balladeske Dream-Pop "The Sand Dunes Lift Up" badet in schwelgerischem Gesang und wird mit allerlei stimmungsvollen Details gefüttert, so dass er das Album opulent und verzückt zu einem würdigen Abschluss bringt.
Man muss schon positiv verrückt sein, wenn man solch ein aus der Zeit gefallenes Projekt nach sieben Jahren Reife auf das Publikum loslässt, ohne moderne, verkaufsfördernde Attribute einzubauen. Das dokumentiert Leidenschaft, Enthusiasmus und Liebe zur Pop-Kultur, die Respekt abfordert.
Die Musik vermittelt über weite Teile den Eindruck, als käme sie aus einer Welt zwischen Traum und Realität, so verwaschen, verspielt und unwirklich klingen dann die Töne. Die Musik ist eine sinnvolle, willkommene Erweiterung der aktuellen Pop-Landschaft, denn sie ist kunstvoll oder verträumt und bewegt sich dynamisch zwischen Leichtigkeit und Nachdenklichkeit unbekümmert hin und her. Das gibt es nicht so oft in dieser Qualität. Für die Brüder ist die Schallplatte eine "Hymne an das Leben und den Tod, an Sünde, Liebe und Wiederauferstehung", was sich auch in den mit spirituellen Metaphern durchzogenen Texten widerspiegelt. Sieben Jahre der Hungersnot lägen hinter ihnen, behaupten die kreativen Brüder. Mögen sie durch "Full Throated Messianic Homage" reich und berühmt werden. Verdient hätten sie es.