Im Andenken an „Mama Africa“ erschafft Somi ein ganz besonderes Cover-Versionen-Album.
Manche Künstlerinnen und Künstler sind größer als ihr kreatives Werk, weil sie daneben auch gesellschaftlich Außerordentliches geleistet haben. So wie Harry Belafonte, der sich schon immer für benachteiligte Menschen einsetzte oder wie Miriam Makeba, die 1959 aufgrund ihrer Kritik gegen das Apartheid-Regimes nach einem USA-Aufenthalt nicht mehr in ihr Heimatland Südafrika einreisen durfte und 1963 ausgebürgert wurde. Erst 1990, als Nelson Mandela Staatschef war, durfte sie zurückkehren.
Am 4. März 2022 wäre Miriam Makeba, deren amtlicher Vorname Zenzile ist, 90 Jahre alt geworden, sie starb aber leider am 9. November 2008 bei einem Konzert in Italien an einem Herzinfarkt, den sie unmittelbar nachdem sie ihren bekanntesten Titel "Pata Pata" gesungen hatte, erlitt. Es war Somi Kakoma, die damals zum Andenken in New York ein Konzert mit Wegbegleitern und Bewunderern wie Harry Belafonte, Paul Simon oder Randy Weston organisierte.
Die Musikerin Somi wurde als Laura Kabasomi Kakoma am 6. Juni 1981 in Chicago, Illinois, USA, geboren. Ihre Eltern stammen ursprünglich aus Ruanda und Uganda, so dass die Suche nach ihren Wurzeln ein Teil ihrer musikalischen Identität geworden ist. Deshalb fühlt sie sich auch kulturell und menschlich sehr verbunden mit der Aktivistin und Künstlerin Miriam Makeba und widmete ihr fünftes Album ganz und gar dem Vorbild. Im Frühjahr 2020 inszenierte Somi zunächst ein Musical mit dem Titel "Dreaming Zenzile", das dann durch Corona ausgebremst wurde. Aber zumindest kam jetzt mit "Zenzile: The Reimagination Of Miriam Makeba" die Audio-Ausgabe der Wertschätzung zum runden Geburtstag rechtzeitig auf den Markt und erweist sich als künstlerisch herausragende Hommage.
Somi entfacht einen stimmlichen Klang-Bogen, der vom hauchzarten Flüstern bis zum Donnerwetter reicht. Sie handelt dabei aufmerksam-konzentriert sowie einfühlsam-bewegt und agiert stets songdienlich. Das heißt, sie singt nicht alles in Grund und Boden - obwohl sie es könnte - sondern findet je nach Ausrichtung des Liedes die dafür passende Stimmlage und das nötige Volumen. Für jede Fremdkomposition erfindet sie eine maßgeschneiderte Darstellung, welche das Original ehrt, aber konsequent eigene Wege geht.
Für "Umhome" werden bunte Afro-Jazz-Ton-Bilder voller Licht, Lust und Laune gemalt, wobei sich Somi als umsichtige, fantasievolle Malerin erweist, deren lebendiger und trotzdem empathischer Gesang keine Grenzen kennt. Das sie begleitende Ensemble agiert rhythmisch flexibel und solistisch virtuos, so dass der Sound vor Spannung und Erregung knistert.
Selbst ein total abgenudeltes Traditional wie "House Of The Rising Sun" bekommt unter der Regie der afro-amerikanischen Musikerin wieder neuen Glanz verliehen. Die Moritat vom Freudenhaus in New Orleans trägt Züge eines klar strukturierten französischen Chansons, ist Blues-geerdet, vom Jazz verwöhnt und transportiert den Frohsinn des bunten Mardi Gras-Karnevals. So entstand ein kultureller Schmelztiegel, der alle Sinne stimuliert.
Der Afro-Pop "Milele" zeichnet sich durch eine melodische Geschmeidigkeit und rhythmische Beweglichkeit aus, wie sie hauptsächlich in Ländern, die rund um den Äquator liegen, praktiziert wird. Das 18köpfige "Zenzile"-Team wird hier von Seun Kuti, dem Sohn von Fela Kuti (dem Erfinder des Afrobeat) am Saxophon und durch Thandiswa Mazwai, einer südafrikanischen Sängerin, deren Eltern Anti-Apartheit-Aktivisten waren, verstärkt.
Gelassene und freche traditionelle afrikanische Folklore trifft bei "Hapo Zamani" auf elegante Jazz-Grooves. Im Laufe des Stücks, das geregelt und kontrolliert beginnt, schäumt die Lebensfreude schließlich über und alle Beteiligten singen und spielen sich in einen Rausch. Da kann niemand mehr stillsitzen.
Es ist immer ein Gewinn, wenn Gregory Porter als Gesangspartner zur Verfügung steht. Der Mann besitzt einfach eine überragende individuelle Klasse und weiß deshalb genau, wie man sich optimal bei einem Song einbringt. Für den Slow-Jazz-Track "Love Tastes Like Strawberries" umgarnt er sich stimmlich mit Somi auf einer Ebene, die an die ganz großen Soul-Duette von Donnie Hathaway & Roberta Flack oder Marvin Gaye & Tammi Terrell erinnern.
Die Ballade "Khuluma" trägt ziemlich dick auf. Der Gesang ist von Zucker überzogen, wirkt dadurch gekünstelt und wird von der Gast-Vokalistin Msaki noch in seiner Schwülstigkeit verstärkt.
Den Welthit "Pata Pata" von 1967 wollte Somi eigentlich gar nicht aufnehmen, weil Miriam ihn im Nachhinein nicht mehr mochte, da er ihr in der Rückblende zu unpolitisch erschien und deshalb nicht ihrem eigentlichen Anliegen, dem sozialen Engagement entsprach. Indem Somi den Song umkrempelte und Original-Aussagen von Miriam zur Apartheid und zu ihrer persönlichen Situation einblendete, konnte sie sich mit dem Ergebnis anfreunden. Auf diese Weise trägt die Variante zu einer vollständigen Sicht über die Absichten von Miriam Makeba bei, denn politische Aufklärung und eine optimistische Weltsicht finden so zueinander. Somi nimmt das Tempo gegenüber der Urfassung total zurück, manipuliert ihren Gesang durch Vocoder-Sequenzen und definiert den Song als eine heilige, introvertierte Messe.
Bei "A Piece Of Ground" trifft die emotional überzogene Darstellungsform des Broadway Musicals auf die Improvisationskunst und die rhythmische Vielfalt des Jazz. Dadurch werden massenkompatible und schwieriger zu hörende Elemente gleichberechtigt in einem Track untergebracht. Ein Experiment, das Aufmerksamkeit und Toleranz erfordert.
Der gemächliche, mal transparent, mal üppig arrangierte Voodoo-Jazz-Pop von "Kwedini" wird von Somis Stimme gekrönt, die sich genüsslich räkelt und ausgelassen jubiliert.
"Lakutshon’ilanga" ist im Original eine langsame, leidvoll gesungene Folk-Jazz-Ballade, die als Cover-Version nun eine schwungvolle Bass-Untermalung und ein flankierendes, punktuell spritziges Piano verordnet bekommt. Auch der Gesang unterscheidet sich von der Vorlage, da er hier Lebensfreude ausdrückt.
"Olili" verbindet Dramatik in Gestalt von traurigen Streichern mit lieblich-freundlichem, getragenem Gesang zu einer weichgezeichneten Ballade, die durch ein Bass-Solo einen kunstvoll-intellektuellen Anstrich bekommt.
Der Rhythmus von "Mbombela" verläuft zunächst zurückhaltend, aber dennoch eindringlich. Im Gegenzug haben die herausfordernd stimulierende Stimme und eine quengelnd improvisierende Solo-E-Gitarre Vorrang bei diesem karibisch anmutenden, jazzigen Rhythm & Blues.
Mit Angelique Kidjo taucht auf "Jike’lemaweni" eine weitere Ikone der afrikanischen Pop-Musik auf und gibt gesanglichen Beistand, obwohl Somi dies gar nicht nötig hätte. Aber die beiden Stimmen ergänzen sich erquicklich und verleihen dieser spritzigen Folklore einen zusätzlichen Reiz.
Der südafrikanische Männerchor Ladysmith Black Mambazo, der schon 1986 auf Paul Simons "Graceland" glänzte und dort für Gänsehautmomente sorgte, färbt auch "Nonqonqo" mit seinem erdigen Gesang feierlich, wobei gleichzeitig eine gelassene Schwere vermittelt wird.
Das melancholische Jazz-Chanson "Malaika" strahlt Ruhe und Leidenschaft aus, was sich emotional in dem nur vom Piano begleiteten "Ring Bell, Ring Bell" fortsetzt.
Die Neuinterpretationen werden mit "Mabhongo" - im Original ein eineinhalb minütiger traditioneller Chorgesang - abgeschlossen. Somi greift dieses Mantra auf, lässt es vom Pianisten Nduduzo Makhathini verzieren und singt dazu mit ergreifender, sanftmütiger Stimme.
"Zenzile: The Reimagination Of Miriam Makeba" ist ein ambitioniertes Projekt und erweist sich als würdige und einfallsreiche Verbeugung vor Miriam Makeba. Die Songs werden von Somi mit Respekt behandelt und trotzdem kreativ umgedeutet, so dass sich die Welt von "Mama Africa" neu erschließen und entdecken lässt. Diese Vorgehensweise enthüllt auch, worauf der Idealismus und die Motivation von Miriam Makeba beruhte: Vielen Afrikanern ist aufgrund ihrer Lebensumstände zum Weinen zumute. Sie tanzen und singen dann aber lieber, um sich zu trösten, wobei sie durch mitfühlend-kraftspendende Musik Unterstützung erhalten sollen.
Somi ist eine brillante Sängerin, Komponistin, Schauspielerin und Dramaturgin, die enorm viel Herzblut und Verstand in die respektvoll behandelten und kreativ interpretierten Cover-Versionen legt, so dass die Stücke ein prickelndes Hörvergnügen bereiten. Die Songs bringen traditionelle afrikanische Folklore, Jazz, Pop, Soul und Chanson so zusammen, dass sich die unterschiedlichen Musikstile gegenseitig befruchten. Wem "Graceland" von Paul Simon viel bedeutet, der wird auch an "Zenzile: The Reimagination Of Miriam Makeba" seine Freude haben. Eine besondere Erwähnung verdient noch der plastische, glasklare, volle und dabei transparente Sound, der das Album zum rundum gelungenen Ereignis werden lässt.