Progressives Meisterwerk
'Vier' ist eines jener verkannten progressiven Meisterwerke, die in den letzten Jahren mehr oder weniger übersehen wurden;
die Band existiert mittlerweile nicht mehr.
Vielleicht wegen des mangelnden Verständnis' für die hochentwickelte und sehr kultivierte Musik.
Es gab ein paar ärmliche und desinteressierte Rezis aus dem Umfeld der Gitarrenmusik, aber die eigentliche Eleganz und Brillanz, die synästhetisch einwandfreie Qualität dieser Musik wurde weitgehend nicht erkannt oder ignoriert.
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Was nicht verwundert, in einem musikalischen Umfeld, das schwer von Hardrock oder Metal belastet wird.
Wo viele Hörer an rudimentäre Komplexität gewöhnt sind, auf simple Druckmacherei konditionierte Hörgewohnheiten entwickelt haben.
Sicher, ich stand auch mal pur auf Motörhead, AC/DC und Co. aber das war BEVOR ich 17 wurde!!!
Mittlerweile geht es mir genauso, wie ich es als 13jähriger Hardrock Fan niemals glauben wollte!
Musik ist eine Reise des Bewusstseins, ein Weg des Lebens, um zu lernen; Werte, Wissen und Erfahrungen vermittelt zu bekommen.
Ich höre heute oft und gern klassische Musik, Bach, Sibelius, Diverse, und ich liebe modernen Jazz, von ECM etc., Folklore der Welt, auch Elektro etc. und ich höre bewusst und kultiviert progressiv, über viele Grenzen und Styles hinweg.
Ich setze völlig auf eine kultivierte und freie westliche Musik, auf kompromißlos kosmopolitische Größe.
Progressive Musik macht den entscheidenden Unterschied; sie ist frei sich zu verändern, zu entwickeln.
Sie setzt auf Intelligenz und versucht die menschliche Schwäche zu vermeiden, Dinge statisch und unbewegt -- also ohne Entwicklung --- zu betrachten und hinzunehmen.
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Der Hardrock-Hörer will keine Veränderungen, er kauft seit ca. einem halben Jahrhundert in sehr konservativer Weise immer das gleiche Album, freilich in tausendfacher Ausfertigung. ; )
Er will, und da ist er nicht anders als der Hörer von Schlager und klassischer Musik, seine Hörgewohnheiten bedient sehen. Wat de Buer net kennt dat fret er net. Er will sin teglich brei!
Diese Hörer wollen immer gern "neue Alben" sehen und kaufen, aber es muss dann inhaltlich doch genau das Gleiche sein wie auf den vorherigen 100.0000 Hardrock Alben.
Leider hat sich über die Zeit genau diese Unsitte auch bei "traditionellen" Prog-Hörern breitgemacht; sie wollen einfach die gewohnte Kost.
Und die besteht leider nur noch aus völlig bekannten, geradezu ausgelutschten "Prog" Versatzstücken, gern gemischt mit allerlei Hardrock/Metal-Versatzstücken.
Vom Standpunkt einer freien progressiven Musik gesehen, ist das unfrei und domestiziert und degeneriert.
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Anders die 'Perfect Beings'. Auf 'Vier' kommt eine freigeistige Mischung zusammen, die sich vielfältig orientiert. Klassische Zitate auf klassischen Instrumenten, eine Zahl an genretypischen stilistischen Verweisen, Jazz, Ambient, Pop oder Kammermusik. Rock ist hier eine von vielen Zutaten und hat keine Gewichtung. Deshalb ist es vielleicht auch bei vielen konventionellen Rezensenten nicht auf Interesse gestoßen.
Mit seiner speziellen Struktur; Ein Stück Musik pro Seite auf einem Doppelalbum hat es eine ebenso klassische wie unkonventionelle Ausrichtung.
Klassisch weil das 'Doppelalbum' ein Begriff aus der Zeit der Schallplatten ist.
Es gibt vier lange Stücke auf vier Seiten der 2 LPs. Deshalb auch der Albumtitel 'Vier'. Es geht um das Konzept.
Unkonventionell weil es, für typische Pop- oder Rockmusik, ein höchst selten gesehenes Format ist. Je ein Stück Musik, etwa 20 Minuten lang, pro Seite.
Das ist die Tradition von extravaganten Konzeptalben. Große musikalische Unternehmungen, gewagte Konstrukte, Grenzerfahrungen; kurz: Die höchstmögliche haitische Qualität musikalisch-akustischer Erfahrungen.
Musik als Reise, Musik als großes Abenteuer! Und was machen Abenteuer? Sie bringen Erfahrungen ins Leben!
So macht es diese Musik.
'Vier' steht mit seinem Konzept in einer Tradition mit großen Alben der zeitgenössischen Musikgeschichte.
Alben wie 'Third' von Soft Machine. Ein experimentelles und freies Set von 1970, bestehend aus vier Stücken. Eines pro Plattenseite!
Das mächtige untergründige 'Cyborg' ist ein Synthesizer Gigant, ein 2LP Set mit vier Stücken. Je einem Stück pro Seite! Erschaffen 1973 von Klaus Schulze.
Mike Oldfield hat seine erste Schaffensperiode mit einem großen Werk gekrönt, 'Incantations'. Das Album hat im Oldfieldschen Idiom eine eigene Mundart entwickelt, steht in mancher Hinsicht für sich allein im Kanon seiner Alben.
Und es hat die Grandesse; es besteht aus vier langen Stücken Musik: Genau! Ein Stück pro Seite!
Ein weiteres Juwel in dieser brillanten Sammlung aus musikalischen Kronjuwelen ist das Epos 'Tales From Topographic Oceans'. Auch Yes haben mit dieser Suite von vier langen Stücken auf je einer Albumseite ihr Meisterwerk geschaffen, ihr Opus Magnum.
Die Popularität der Band offenbarte auch die Grenzen des konventionellen Hörvermögens in der Welt der Popularmusik. Einige Rockmusik-Hörer sind schlicht nicht in der Lage den ganzen Elefanten zu überblicken. Für sie bleibt die Musik zusammenhanglos. ; )
Das erinnert mich an eine Politdiskussion zwischen einer Grünen Frau und einem CDU Mann. Die Frau erzählte davon wie überall auf der Welt Menschen mit einem guten Herz zusammenarbeiten und der Hansel von der CDU antwortete "man solle doch nicht esoterisch werden".
Da sieht man sehr schön wie die Welt krankt, an drögen Menschen, die mit einer Vielzahl an Brettern und Wänden und Mauern vor der Stirn und im Kopf, herumlaufen.
Besonders Deutschland leidet unter solchen Frauen und Männern. Wir brauchen mehr moderne Menschen wie diese Grüne.
Was das mit diesem Album zu tun hat? Letztlich ist das ein Konflikt, der ist älter als die Menschheit, älter als die Welt.
Veränderung vs. Konsolidierung o.Ä.
Sie können es als mythischen Konflikt beschreiben,
ich möchte aber eher auf die Naturgesetze der Thermodynamik anspielen. Ein ewiges Spiel der Gewalten. ; )
Antrieb kontra Trägheit. Bewegung kontra Stillstand. Progression kontra Dogma. Hitze kontra Kälte etc.
Masse und Energie.
Ein ewigwährender Prozess, der auch in den unterschiedlichen musikalischen Ansätzen zum Ausdruck kommt.
Konsolidierung und Stillstand, so wie in domestizierter ehemals progressiver Musik kontra unaufhörlicher musikalischer Entwicklung. Progressiv, in ständiger Veränderung.
Die nordische Band Ulver wäre ein musikalisches Beispiel dafür,
ebenso wie dieses schöne, manchmal sogar wunderbare Album!
Vier, das ist Programm! ; )