Musik als Hilfe in der Lebens-Krise oder wie zum Donnerwetter funktioniert eine Zweierbeziehung?
Papercuts ist das Dream- und Soft-Pop-Vehikel von Jason Quever, der sein Leben bisher an der Westküste der USA zwischen San Francisco und Los Angeles verbrachte und 2004 das erste Mal mit seiner Veröffentlichung "Mockingbird" in Erscheinung trat.
Jason Quever ist ein Träumer, der seine Inspirationen unter anderem aus dem Psychedelic- und Barock-Pop der 1960er Jahre bezieht und somit sind Einflüsse von The Velvet Underground ("Sunday Morning"), The Zombies ("She`s Not There") und den "Magical Mystery Tour"-Beatles unverzichtbar. Durch sehnsüchtige Melodien, gepaart mit beständigen Takten und einer rauschhaften Atmosphäre lässt der Musiker seine Hörer und Hörerinnen in wohlig-verlockenden Schwingungen baden. In den dazu gehörenden Texten werden allerdings oft schmerzvolle Geschehnisse verarbeitet.
"Meine Liebe liegt neben mir, Meilen entfernt", ist eine Kernaussage von "Lodger" und beschreibt bildhaft eine Entfremdungssituation, in die sich viele Menschen hineinfühlen können, denen schon eine Beziehung in ähnlicher Form entglitten ist, aus welchem Grund auch immer. Unerfüllte Träume, ein Zorn-Trauer-Mix und die Hoffnung, dass die eigenen Wünsche doch noch in Erfüllung gehen mögen, schwirren in dieser Phase als Gedanken-Fetzen durchs Hirn. Das Synthesizer-Flirren übernimmt stellvertretend die Darstellung von Traum-Sequenzen, das Rhythmus-Geflecht steht für Ermunterung und der Gesang schwelgt in Wehmut: So entsteht ein Song, der einen Verlust ausdrückt, aber auch die Kraft symbolisiert, die aus der Misere führt. Die Mehrdimensionalität der Emotionen verhilft dem Lied dazu, ein nachhaltig wirkungsvoller Leitfaden für belastende Lebenslagen zu sein.
Auch "Sinister Smile" beschreibt eine gescheiterte Liebe: Hier trägt der Protagonist allerdings immer noch den Ring der Verflossenen. Selbst eine neue Liebelei konnte die ursprünglichen Gefühle nicht auslöschen. Häufig weiß man eben erst im Nachhinein zu schätzen, was man gehabt hat. Mit den Mitteln einer sehnsüchtigen Ballade, die nicht jammervoll berichtet, sondern nüchtern analysiert, wird der sensible Musikfreund in diese schwierige Lage mithilfe einer seriösen Adult-Pop-Konstruktion, die sich anhand von straffen Takten über Wasser hält, hineingezogen.
Wer schon mal ohnmächtig war, weiß, wie erschreckend sich dieser Kontroll-Verlust anfühlt. "Fade Out" berichtet, dass es wie ein paranoider Zustand sei, so als wäre man in einer Wolke gefangen. Sehr unangenehm, solch ein Erlebnis. Musikalisch nutzt Jason Quever den trockenen, coolen, stumpfen Velvet Underground-Folk-Rock, um das Gefühl der Ohnmacht darzustellen. Seine Stimme wirkt dabei gedrückt, als würde sie sich von einer Betäubung erholen. Wäre da nicht die liebliche Melodie, könnte das Stück in Tristesse versinken.
Da ist jemand ziemlich abgestumpft, die Panikattacke der Partnerin interessiert ihn nicht, also interessiert ihn die Partnerin nicht mehr. Er möchte nur seine Lederjacke zurück, die ist ihm wichtiger als das Leid der Person, mit der er eben noch zusammen war. Für "I Want My Jacket Back" wird dieses Ereignis in einen unschuldigen Folk-Pop gegossen, deshalb wirkt es nicht mehr so anmaßend und gemein. So funktioniert Verdrängung.
Ist der Erzähler bei "My Sympathies" bei einem Autounfall gestorben oder ist nur ein Treffen nicht zustande gekommen? Etwas zweideutig ist die Beschreibung schon, Randy Newman lässt grüßen, wobei musikalisch hier auf einen nüchternen Barock-Pop gesetzt wird. Eine für die Gegebenheit angemessene Auswahl, wobei ein Augenzwinkern dem Ganzen die Schärfe nimmt.
"The Strange Boys" versuchen mit Ferngläsern pikante Momente aufzuschnappen und streifen nachts erwartungsvoll durch den Hafenbereich. Das halbseidene Verhalten versinnbildlichen die unrunden, leiernden Synthesizer-Töne am Anfang und drücken aus: "Hier stimmt was nicht". Die Klänge stehen für Fehlverhalten, aber sie werden von einem Sound verdrängt, der durch seinen Glanz und seine Harmonie-Sucht versucht, jegliche Zweifel zu zerstreuen.
Bei "Palm Sunday" geht es offensichtlich um eine Beziehung, die am Status der Beteiligten litt. Sie ist adlig, er nicht. Aufgrund des hochnäsigen Benehmens von ihr schwingt bei ihm Verbitterung mit. Wenn die Herkunft über die Gefühle siegt, dann ist was faul. Deshalb wurde dieses Stück auch mit einem anklagenden Refrain ausgestattet, der sich aufgrund der Tragik auch mal in einem hilflosen "Lalala" erschöpft. Pop als Erwachsenenbildung, denn nur erlebte Tragödien stählen den Charakter, nicht die erzählten Erlebnisse von Anderen.
"Hypnotist" dreht sich nicht um zwischenmenschliches Leid, sondern um die Vorstellung, was sein würde, wenn wir nach einem Jahrhundert-Schlaf wieder erwachen. Wäre das Leben dann noch lebenswert? Erwartet uns eine rosige Zukunft oder hat sich die Menschheit zugrunde gerichtet? Zuversichtliche Eindrücke treffen entsprechend mit desillusionierenden Tönen zusammen und verwirbeln miteinander. Der Ausgang der Fiktion bleibt offen, schließlich liegt es an der Durchsetzung eines politischen Willens, wie die Zukunft aussehen wird.
Ist die Aufforderung an die ex-Partnerin, wieder zu heiraten, als Schritt in die psychische Freiheit zu sehen oder schwingt etwa die Hoffnung mit, dass der ex-Partner erkennen möge, dass die vorherige Beziehung die Bessere war? Egal, "Remarry" ist jedenfalls eine ergreifende, unsentimentale Ballade, die atmosphärisch die Erlangung einer ausgeglichenen Gefühlslage in den Mittelpunkt des musikalischen Geschehens stellt. Jason Quever singt so betörend, als hinge sein Leben davon ab, seine Zuhörer und Zuhörerinnen davon zu überzeugen, dass er es aus tiefstem Herzen ehrlich meint. Der Bass ist präsent und bestimmend, wie der von Peter Hook (New Order). Auffallend, aber nicht penetrant übertrieben, dennoch sicher wie ein Fels in der Brandung. In einem sentimentalen Augenblick können schon mal ein paar Tränen fließen.
"Comb In Your Hair" verarbeitet nochmal die unsicher schwingende Eingangs-Klänge aus "The Strange Boys". Der Song stemmt sich mächtig gegen einen drohenden Ton-Kollaps und kann aufgrund des mutigen Gesanges und der stabilen Melodie und des unnachgiebigen Rhythmus noch die Kurve kriegen und zu einem selbstsicheren Song wachsen. Hartnäckigkeit zahlt sich eben oft aus.
"Past Life Regression" beherbergt allerlei Liebes-Dramen, ohne dass dabei die Rückführung an vergangene, schmerzliche Erinnerungen besonders depressiv klingt. Das Leben hat bei Jason Quever deutliche Gebrauchs-Spuren hinterlassen, aber er lässt sich nicht unterkriegen. Er sucht und findet Trost bei seinen musikalischen Helden, die Brian Wilson, John Lennon, Todd Rundgren und Badfinger heißen könnten und so entsteht eine Momentaufnahme, die den Wert von gehaltvollen Kompositionen, verbunden mit einem wachen Bewusstsein für attraktiven Art-Pop und einem individuellen Charme zu einem Werk vereinen, das Musik nicht als ein flüchtiges Erlebnis, sondern als Kulturgut definiert. Hier ist die Musik auch Therapie, wobei der Künstler Befreiung erlangen und die Hörerschaft einen anspruchsvollen Genuss erwarten kann.