Angst isst die Seele auf - wenn man ihr nicht die Bedrohlichkeit nimmt.
Palace bewegen sich in einer Parallel-Welt der Musik-Richtungen, denn sie sind nicht eindeutig zu greifen. Die Musiker bauen Versatzstücke, die sich quer durch die Pop-Kultur ziehen, in ihren Sound ein und wirken dabei sowohl zugänglich wie auch verschlossen.
Die 2012 in London gegründete Band Palace ist nicht mit dem Ensemble gleichen Namens von Will Oldham (alias Bonnie "Prince" Billy) zu verwechseln. Das englische Quartett besteht derzeit aus dem Frontmann Leo Wyndham (Gesang, Gitarre) sowie Rupert Turner (Gitarre), Will Dorey (Bass) nebst Matt Hodges (Drums, Percussion) und setzt sich auf "Shoals", dem dritten Album der Formation, mit dem Thema Angst und ihre Auswirkungen auf die Menschen auseinander. Die Künstler kapitulieren allerdings nicht vor diesem mächtigen Gefühl, sondern arrangieren sich mit dem oft zur geistigen und körperlichen Blockade führenden Zustand. Die beklemmende Emotion wird angenommen und als etwas zutiefst Menschliches und Normales akzeptiert.
Die Gruppe gibt dazu folgende Stellungnahme zu Protokoll: "Shoals" ist eine Platte über die Konfrontation mit unseren eigenen Ängsten und Befürchtungen. Durch die Pandemie wurden wir mehr denn je mit uns selbst konfrontiert, ohne dass wir uns ablenken konnten, und sahen plötzlich, wer wir sind, in der rohesten Form. Sie hielt uns einen Spiegel vor, der uns unsere Fehler und Unvollkommenheit vor Augen führte und uns zwang, unser wahres Ich zu sehen. Das Album symbolisiert, wie unser Geist schöne und gefährliche Tiefen haben kann, wie der Ozean. Unsere Ängste und Gedanken sind wie Fischschwärme, die sich ständig von Ort zu Ort bewegen und verschieben: Chaotisch, oft unzähmbar und unberechenbar."
Leo Wyndham spricht in diesem Zusammenhang sogar davon, dass die Lieder schon fast eine Art Liebesbrief an die Angst darstellen, der mit "Never Said It Was Easy" beginnt. Das Lied zeigt sich als wiegender, beruhigter Electro-Pop-Blues und gibt damit einen entschleunigten Grundtakt vor. Sänger Leo Wyndham scheut sich nicht, dazu auch im hohen Tonbereich unterwegs zu sein, was der Musik Zerbrechlichkeit, Demut und Intimität verleiht.
Aufgrund der gerne verwendeten sentimentalen Töne, die genussvoll ausgebreitet werden, klingen die Kompositionen im Grunde nach Pop für Ambient-Sound- oder Radiohead- oder Pink Floyd-Bewunderer. Die episch-ätherischen Sounds, die oft durch viel Hall einen übersinnlich-geheimnisvollen Eindruck hinterlassen, docken im Umfeld von Blues, Soul, Gospel oder Folk an, wodurch die Lieder ihre Erdung erhalten. "Shame On You" vereinigt den Dark-Wave solcher Bands wie Echo & The Bunnymen mit sonnig-gelassenen Beach Boys-Harmonien und den von Rhythm & Blues durchzogenen Psychedelic-Rock-Ideen von Arthur Lee`s Love.
Für "Fade" kehrt Palace ihre aggressive, hart rockende Seite hervor. Die Gitarren schlagen dafür monotone Riffs und treibende Akkorde an. Dem Gesang wird der Grauschleier genommen und so bringt "Fade" frischen Wind in den Ablauf.
Die Schwerkraft ist die schwächste Elementarkraft im Universum. Und trotzdem sorgt sie dafür, dass sich die kosmischen Elemente zuverlässig auf ihren Bahnen bewegen. Das Stück "Gravity" definiert sich sowohl über Space Sounds wie auch über seinen starken Hippie-Folk-Rock-Rhythmus in Verbindung mit sehnsüchtig leidendem Gesang. Im Sinne der Gravitationswirkung wird der Komposition durch ihre konsequent beibehaltene Energie eine verlässliche Richtung ermöglicht. Leo Wyndham meint zur Bedeutung des Liedes: "In "Gravity" geht es um die perspektivische Erkenntnis unserer eigenen Unwichtigkeit, weil wir alle nur Atome aus Luft und Wasser in einem unendlichen Universum sind. Es sind diese ernüchternden nächtlichen Gedanken, die uns in einem Zustand der Paranoia wachhalten können, in dem wir an unserem eigenen Zweck und Platz zweifeln."
Jubilierend, schmachtend und flehend wird der Wunsch "Give Me The Rain" übermittelt. Den Song begleitet eine funkelnde Gitarrenspur, die dafür sorgt, dass das Begehren hoch in den Himmel getragen wird. Der idyllische Folk von "Friends Forever" bekommt danach eine seidige elektrische Legierung verpasst, bei der schon mal der angedickte Garagen-Rock in der Tradition von Neil Young & Crazy Horse aufblitzt. Ansonsten bemühen sich die Musiker jedoch, den Track sanft schwingen zu lassen.
Leo Wyndham hegt eine Verbundenheit zum Meer. Sie taucht nicht nur im Album-Titel "Shoals" (= Untiefen) und in der Cover-Gestaltung auf, sondern zieht sich mehr oder weniger deutlich durch einige Songs. Auch "Killer Whale" ist dafür natürlich ein Beispiel. Dem Namen zum Trotz sind hier allerdings keine gewalttätigen Klänge zu hören. Mit exotischen Tönen, die aus einem japanischen Tempel zu stammen scheinen und Drums, die sich anhören wie leere Schuhkartons, verschafft sich Palace einen Klangraum, in dem sie ihre betörend-ergreifenden Töne wie leichte Federn fliegen lassen.
Zu "Lover (Don't Let Me Down)" gibt es folgende Aussage: Der Song handelt von der Angst vor Verlust. Es geht darum, dass wir die eigenen Ängste in Schuldzuweisungen verwandeln und die Person, die wir dabei am Ende angreifen, ist oft die Person, die wir am meisten lieben und der wir vertrauen. Das Lied entwickelt sich langsam aus einem Instrumenten-Cocktail, der sich wie zufällig hingetropft anhört, zu einem sich in der Dynamik steigernden, abwechslungsreichen Power-Pop, der gar nicht erst versucht, seine spritzigen Country-Folk-Wurzeln zu verbergen.
"Sleeper" kommt gar nicht schläfrig daher, sondern beherbergt einen unruhigen Takt, der durch den eifrigen Gesang etwas geglättet wird. Dennoch tritt die Nervosität stets zutage, erst zum Ende hin legt sich die Anspannung. Bei der Ballade "Salt" wird auf überraschende, belebende, aber trotzdem unaufdringliche Soundeffekte gesetzt. Das Stück erfährt dadurch eine hörspielartige Aufwertung.
Der Track "Shoals" beginnt als quirlige Ton-Schleife, entwickelt sich dann aber flugs zu einem mit Effekt-Spielchen durchzogenen, komplexen Art-Pop. ""Where The Sky Becomes The Sea" ist ein Song über den herzzerreißenden Gedanken, nach dem Tod von dem geliebten Menschen getrennt zu sein, sich aber eines Tages an einem Ort jenseits des Meeres wiederzufinden, für immer vereint", sagt Leo Wyndham zu dem in Wohlklang schwelgenden Folk-Song mit Neigung zu üppiger Schwärmerei.
Es brauchte mehr als einen Durchlauf, bis die Songs auf "Shoals" ihre einnehmende Wirkung entfalten konnten. Im Alltags-Geschehen funktionierte das nicht. Erst am Abend, wenn sich die Dunkelheit wie ein verfremdender Schleier auf die reale Landschaft gelegt hatte, konnte die leichte Melancholie in Kombination mit rhythmischen Frischzelleninjektionen die angemessene Aufmerksamkeitsspanne erhöhen. Und dann passierte die Wandlung: Aus einem bisher durchschnittlichen Höreindruck wurde ein interessanter Lauschangriff, der seine verlockenden Duftstoffe hinterließ. Die Musik wurde also mit der für sie passenden Zeit verknüpft, so dass ihre emotionale Reife überspringen konnte.
Die Erkenntnis über die Stärke dieser Klänge gelang erst über die Nutzung einer zweiten Chance. "Untiefe" ist demnach ein passender Titel für das Album, denn diese Bezeichnung hat eine Doppelbedeutung: Sie steht für eine geringe Wassertiefe genauso wie für eine große Tiefe. Und so unterschiedlich verhält es sich auch mit der Wirkung der Musik: Sie kann für seicht oder für komplex gehalten werden, je nach der Aufmerksamkeit, mit der man sich ihr widmet. Und sie wird intensiver, je mehr Zeit man ihr gönnt.