My Little White Rabbit fühlen sich im Psychedelic- und Garagen-Rock sowie Power-Pop hörbar wohl.
Es ist schon clever und geschickt, wie My Little White Rabbit ihre musikalischen Möglichkeiten einsetzen, um in einem festgesteckten Rahmen möglichst variabel zu agieren. Die Hamburger Formation ist seit ihrer Gründung vom Trio zum Quintett angewachsen und legt jetzt mit "Lowest Heights" ihr zweites Album vor.
Ein auffallendes Merkmal im Gefüge des kompakten Garagen-Punk-Pop-Sounds ist der Lead-Gesang von Rike Pfeiffer, der mühelos und glaubwürdig zwischen frech und lieblich hin und her schaltet. Damit zeigt sie eine große stimmliche Bandbreite und lässt sich nicht auf den Begriff "Rockröhre" reduzieren. Die ihr zur Seite stehende instrumentale Begleitung ist stets kraftvoll, dabei differenziert und abwechslungsreich. Das ist im Rockbereich eher ungewöhnlich und deshalb herausstechend.
Aber mal der Reihe nach: "Bat In My Livingroom" pendelt rasante Ohrwurmqualitäten mit griffigen Riffs zu einem flotten Rocker mit gelegentlichen Hippie-Klang-Einlagen aus. "Rusty Nail" tobt sich anschließend im Punk-Umfeld aus, scheut sich nicht vor einem Metal-Einschub und vermittelt reichlich Power-Pop-Schwung. Beide Songs bewegen sich energetisch im oberen Level, punkten mit abgeschichteten Melodien und können neben einem massiven Rhythmus-Geflecht mit Gitarren aufwarten, die nicht nur krachen, sondern auch psychedelische Exkursionen anbieten.
"Hello Mister" ist eine dichte, relativ gut gelaunte Mid-Tempo-Nummer mit Funk-Reggae-Takten, die sich fürs Radio eignet, aber auch ihre Ecken und Kanten nicht verleugnet. Hier stehen harmonisch-verspielte Bubblegum-Pop-Akkorde im Vordergrund, die von einer wuchtigen Wand aus elektrisch wuchernden Tönen nebst zackiger Rhythmus-Begleitung getragen werden. "Cloud Of Clover" wird von schwirrenden, experimentellen, rauschhaften Space-Sounds eingeleitet, entpuppt sich dann aber als exotisch-verspielter, drogenschwangerer Pop mit mild gestimmter, friedvoller Melodieführung, bei der der bewusstseinserweiternde Aspekt halbwegs unter Kontrolle ist. Da stellt sich nebenbei die Frage, ob der Bandname vom Song "White Rabbit" von Jefferson Airplane aus dem Jahr 1967 abgeleitet wurde. Das würde zumindest den Psychedelic-Rock-Einfluss erklären.
Den harten Synthesizer-Spuren von "The M-Word" wurden neben druckvollen Funk-Grooves auch sensible Sequenzen beigemischt, so dass sich der Track einer eindeutigen Kategorisierung wirkungsvoll entzieht. Mit Hochgeschwindigkeit läuft die Punk-Nummer "Anybody Seen My Brain" ab und macht so den Ramones nicht nur hinsichtlich des Tempos Konkurrenz. Auch "Moneymaker" zeigt sich dreckig und aufgeputscht, gönnt sich aber mit Hilfe einer atmosphärisch dichten Gitarreneinlage zwischendurch eine Verschnaufpause.
"Moorgnivil Ym Ni Tab" ist nichts anderes als ein rückwärts abgespielter Auszug von "Bat In My Livingroom". Und schon hört sich die Variation durch etwas Bearbeitung fremdartig, nach Weltraum und Orient an. Die elektrisierte Ballade "The Bird & Me" kreuzt optimistischen Folk- mit düsterem Indie-Rock und sorgt so abwechselnd für lauschige und angespannte Momente. "Lucky People" erinnert dann aufgrund der ungestümen Vorgehensweise sowohl an die frühen Blondie wie auch an die Buzzcocks und bietet somit zeitlosen, tanzbaren Power-Pop mit hohem Unterhaltungswert. "Slow Down Mister" lässt das Album instrumental ausklingen und wirft nochmal ein Potpourri von verschiedenen Eindrücken in die Waagschale: Unter anderem haben The Police, genauso wie Pink Floyd ihre Spuren hinterlassen.
Corona-bedingt lief der Entstehungsprozess der Platte anders als geplant ab. Die Band konnte nur einmal miteinander proben, bevor sich die Musiker erst drei Monate später für eine Woche in den Schalltona Studios in Hamburg verschanzten, um die Songs einzuspielen. Diese für die Gruppe neue Art der Spontanität hat den Aufnahmen aber offensichtlich nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Sie ist ihnen vielleicht sogar entgegen gekommen, weil so jegliche Form der Überproduktion vermieden werden konnte.
Die Musiker überzeugen mit Talent, Überblick und unverbrauchter Frische. Sie kennen sich in der Pop- und Rock-Historie aus und haben sinnvolle Elemente herausgepickt, um damit ihren spezifischen Sound anzureichern. Zu den Haupteinflüssen zählen sie: "Blues, Psychedelic Rock und Sixties Pop von Vorbildern wie Led Zeppelin, Kula Shaker und Tame Impala." Stilistisch verhält sich das Team kompromissbereit, ohne dabei die Linie und den Überblick zu verlieren oder sich einem Trend anzubiedern. Außerdem vertreten die Künstler noch politisch-soziale Themen, wie den Feminismus ("Hello Mister") und das Tierwohl ("Lucky People"). So ist aus "Lowest Heights" ein durchweg stimmiges Rock-Paket aus spannenden Klängen mit einer aufrechten Haltung geworden.