Für eine Handvoll Schallplatten ...
Original Motion Picture Soundtrack by Christiano Sangueduro for Alessandro Grangatto’s masterpice „No Place For A Man“ (Il Villaggio Delle Donne). A passionate tribute to the iconic music of late 60s and early 70s Spaghetti Westerns.
Nach L’ISOLA DEI DANNATI (2016), ihrer gefeierten Verbeugung vor den Scores italienischer Kannibalenfilme der 70er Jahre, hat das Stuttgarter Kollektiv MONDO SANGUE – in persona Christiano Sangueduro (Christian Bluthardt) und Sängerin Christina Casereccia (Yvy Pop) – nun erneut von sich hören lassen. War es zuletzt der sumpfige Urwald mit menschenfressenden Männern, ist es nun die staubige Wüste voll männermordender Frauen; in Zeiten von Gleichberechtigung und Flexiquote fast ein tagespolitischer Ansatz im Klanggewand der legendären Italowesternsoundtracks aus den 60er & 70er Jahren.
Hatten es damals Komponisten wie Morricone, Bacalov und Nicolai den Filmen gleichgetan und den Western auch musikalisch neu erfunden, so schmiegen sich MONDO SANGUE in die Tradition dieser großen Namen – verbeugend, bereichernd, weiterführend. Denn wenn sich der Albumopener „Somewhere in the West“ aus den Found Sound Studios im Kessel zu Stoccarda heraufarbeitet, auf eine klagend-herzhafte Vokaleröffnung die fetten Drums einsetzen, mit breitwandigen Bläsern und fulminanten Streichern verziert, dann fühlt man sich zurückversetzt in die staubige Wüste von Nevada – oder war es doch Almería?
Stefano Danza schlägt die Saiten seiner E-Gitarren im besten Allessandroni-Modus an und auch ein mitunter keck eingestreutes ‚whistling‘ gemahnt an den Hünen, der für ein paar Lire mehr einst Morricones Sound miterarbeitete. Ab und zu wird eine Orgel hörbar, so wie es eben klingen muss, wenn der Kampf auf Leben und Tot im sonnengegerbten Poncho ausgetragen wird – mit fast religiöser Anmutung präsentieren sich Songs wie das durch Cembalo, Streicher und Solo-Viola veredelte „Stella“ oder die fulminante, auch tonal elliptisch schnurrende „Eclipse“. Doch Sangueduro belässt es nicht beim Adaptieren, sondern mischt gekonnt eine neue Betrachtungsweise in seine liebevollen Bearbeitungen: so klingt „Renegade Lovers“ wie ein Kondensat der Westernklischees, doch so modern und trotzdem stilvoll vorgetragen, dass es jedem aktuellen Film eine bessere Klangkulisse wäre als vieles, was heutzutage unter die laufenden Bilder gekleistert wird.
Aber was wären die formidablen Melodien ohne die Sänger, die in wahlweise summender, rührender oder ekstatischer Weise ihre wehmütigen Weisen interpretieren. Ob nun Frontfrau Christina Casereccia, Gastsänger Alberto Rocca bei ‚Sto Paese Non È Niente Per Te‘, oder Arno Zoccolo und Sebastiano Steccato, die im großen Finale ‚Farewell (Requiem per un Portoghese)‘ den Chor stellen – sie alle lassen ihre Stimmbänder in jenem Rhythmus vibrieren, der schon Edda dell’Orso, Peter Tevis und all die anderen Großmeister des Kinogesangs inspirierte. Wer sich dazu noch in das fantastische Covermotiv hineindenken kann, mit dem sich die Illustratorin Sue Elderberry in Symeoni’sche Kategorien malte, der wird in seinen Träumen aufwachen in dieser Stadt, wo zumindest in den eigenen Gedanken doch Platz für viele zuhörende Männer – und natürlich Frauen – sein dürfte.
All Score Media hat nach der tollen Perrak-LP von Rolf Kühn und dem MONDO SANGUE-Erstling wieder zugeschlagen. Die handnummerierte und auf 666 Exemplare limitierte 180g-Vinyl-LP enthält außerdem eine Postkarte, die Christina Casereccia Arm in Arm mit Gastsänger Alberto Rocca zeigt – und irgendwie kommt mir sein Gesicht bekannt vor; hat mir vielleicht die sengende Sonne in der Stadt ohne Männer schon das Gedächtnis geraubt und ich sollte mal Die Ärzte konsultieren?
Die Platte zeigt uns nicht nur, welche kleinen Meistwerke mit Verve, Chuzpe und schier unendlicher Begeisterung auch heute noch zu Wege gebracht werden. Sie entführen uns in eine Welt die voll von Klang ist, von Weite, Wildheit und wehender Wehmut – und es ist nie zu spät sich eine LP unter den Arm zu klemmen, sein Pferd zu satteln und in Richtung Sonnenuntergang zu reiten. Den passenden Sound für bessere Zeiten haben MONDO SANGUE jedenfalls schon geschrieben.