Lola Kirke probiert den Spagat zwischen kommerziellem Erfolg und hintergründig-ironischem Protest.
Sex Sales! Ganz schön aufreizend, wie sich Lola Kirke in Zeiten von "MeToo" auf ihrem Cover von "Lady For Sale" und bei den PR-Fotos zeigt.
Genau genommen ist dieses zur Schau stellen von Körperlichkeit aber sarkastisch gemeint, denn Lola möchte darauf hinweisen, dass Frauen ab einem bestimmten Alter keine Chance mehr haben, sich ihren Job aussuchen zu können und generell oft nur auf Äußerlichkeiten reduziert werden. Und Lola Kirke weiß, wovon sie spricht, denn sie stand bereits in der Hauptrolle der Serie "Mozart In The Jungle" vor der Kamera, hatte aber immer wieder Probleme, aufgrund nicht konformer Körpermaße eine gewünschte Rolle zu bekommen. Deshalb führt sie ihre Musik-Karriere jetzt selbstbewusst und herausfordernd mit ihrem zweiten Album und der ironischen Aussage "Lady For Sale" auf dem Third Man Records-Label von Jack White (ex-White Stripes) fort.
Die Welt des Ruhmes mit allen ihren Annehmlichkeiten und Schattenseiten dürfte Lola Kirke schon lange ein Begriff sein, denn sie ist die Tochter von Simon Kirke, dem Schlagzeuger von Free und Bad Company, der großen Erfolg verbuchen konnte, aber auch den Niedergang und Drogentod vom Free-Gitarristen Paul Kossoff miterleben musste. Deshalb sollte man davon ausgehen können, dass Lola Kirke weiß, was sie tut. Einmal im Hinblick auf ihre persönliche Darstellung und auch, was die musikalische Erscheinung angeht. Im Mainstream oder gegen den Strom schwimmen, das ist hier die Frage.
Als Marketing-Kampagne gibt es ein Gymnastik-Video in Album-Länge, dass von Jane Fonda, die Aerobic in den 1980ern bekannt machte, angeregt wurde. Hiermit verknüpft Lola Kirke den Fitness-Trend mit ihrer Musik. Ist das nun eine clevere Strategie oder ein inneres Anliegen der Künstlerin? Lola Kirke sagt dazu: "Jane Fonda kämpfte ihr ganzes Leben lang mit einer Essstörung und fand, dass Sport eine gesunde Art sei, sich mit dem Körper auseinanderzusetzen. Ich kann Diäten nicht ausstehen und empfinde so viel Rebellion gegen die gesellschaftlichen Normen für den weiblichen Körper. Die Verbindung von Kunst und Kommerz und die Auswirkungen, die der Kommerz auf die Kunst hat, ist etwas, das mich wirklich interessiert und das ich auf dem Album erforsche: Wie hoch ist der Preis, wenn man versucht, seine Arbeit zu verkaufen? Das kann sehr teuer sein, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Ist es das wert? Diese Fragen stelle ich mir die ganze Zeit."
Die Eröffnungsnummer "Broken Families" lehnt sich an traditionelle Country-Balladen an und benutzt moderat eingesetzte moderne Sound-Effekte. Das Stück betört melodisch und dürfte Menschen, die bittersüße Country-Pop-Schnulzen mögen, ansprechen. Das Tempo von "If I Win" ist flott und das Lied ist Pop-verliebt, aber dadurch auch austauschbar, weil an billigen Synthesizer-Effekten und abgegriffenen E-Gitarren-Akkorden nicht gespart wird.
"Better Than Any Drug" hört sich an, als würde Madonna jetzt Country machen, wobei der Mainstream-Pop-Anteil den elektronischen Country-Twang fast vollständig überflüssig macht. Das Titelstück "Lady For Sale" wurde auch mit einem Workout-Video bedacht, bei dem die Gymnastik-Kommandos das Lauschen der schwungvollen Schlager-Musik empfindlich stören. Der Track ist vordringlich als Animations-Grundlage für den Sport gedacht, da er rhythmisch aktiv daherkommt und dadurch anspornend wirkt. Eine musikalisch anspruchsvolle Grundhaltung ist nicht zu spüren.
Bei "Pink Sky" steht wieder die Musik und nicht die sportliche Betätigung im Vordergrund. Und siehe da, schon ist das Ergebnis interessant. Nicht nur die prächtige, flirrend-weinende Pedal-Steel-Gitarre schürt Erinnerungen an den Beginn des Country-Rock mit Musikern wie Linda Ronstadt ("Will You Still Love Me Tomorrow", 1970) oder Rick Nelson & The Stone Canyon Band ("Garden Party", 1972). "Stay Drunk" bekommt einen frischen Rockabilly-Punch verordnet, der aber vom Pop-Faktor in den Hintergrund gedrängt wird. Es herrscht also eher Hochglanz als Rock`n`Roll-Rebellion.
"The Crime" muss wieder für ein Fitness-Video mit störenden Anweisungen herhalten und ist dem belanglosen Gute-Laune-Festzelt-Schlager näher als dem authentisch-lebensnahen Traditional-Country. Das gleiche gilt auch für den dünnblütigen, faden, von Country infizierten Electro-Pop "Fall In Love Again", der auch für eine Gymnastik-Einheit eingesetzt wird.
Das romantisch schmachtende "No Secrets", bei dem Pop- und Country-Anteile in etwa gleich verteilt sind, hebt die Welt nicht aus den Angeln, ist aber netter Radio-Stoff, der bei langen Autofahrten für unaufdringliche Unterhaltung sorgen kann - wenn man das mag. Zwischen Stevie Nicks und Kelly Clarkson pendelt sich die süßliche Ballade "By Your Side" abschließend ein, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Die Verbindung von Sport-Animationen mit Country-Pop halte ich für keine gute Idee, um Lola Kirke eine ausbaufähige Karriere-Basis zu verschaffen, da die Originalität der Musik einem anderen Zweck geopfert und somit zu einem Begleitprodukt herabgestuft wird. Die Sport-Aktionen vermitteln den Eindruck einer oberflächlichen Selbstdarstellung, weil sie wie Werbevideos von einem Shopping-Kanal aussehen. Musik und Bewegung passen auf diese Weise nicht zusammen, scheinen sich sogar gegenseitig zu behindern und die Musik wird durch die eingeblendeten Übungs-Kommentare zur Nebensache. Außerdem scheint die anfänglich beschriebene politisch-soziale Botschaft zur Festigung einer gleichberechtigten Rolle der Frau in der Gesellschaft durch die anbiedernde Marketing-Strategie auf der Strecke zu bleiben.
Aber weit gefehlt: "Lady For Sale' ist mein süffisanter und ironischer Kommentar zu einer Kultur, die Selbstvermarktung bzw. die eigene Kommerzialisierung und das eigene Zur-Ware-Werden nicht nur akzeptiert, sondern belohnt. Ich mache mich über die Gegebenheiten, das Wertesystem lustig. In den Songs geht es darum, wie ermächtigend es sein kann, die eigene Objektivierung zu steuern. Obwohl es ein System des Dich-klein-Haltens ist, profitierst du", erklärt Lola Kirke ihre Vorgehensweise.
Da ist es schon bitter, dass die wirklich vielversprechenden musikalischen Ansätze, die zum Beispiel bei "Broken Families", "Pink Sky" oder "No Secrets" aufhorchen lassen, nicht weiter verfolgt wurden. Das Gesamtkonstrukt wirkt ziemlich unausgegoren, schwammig und berechnend, weil Charts-orientiert. Oder ist die Musik etwa als leichter Köder gedacht, um die Klientel zu erreichen, für die der Einsatz für Frauenrechte formuliert wurde? Wenn ja, ist das zumindest nicht offensichtlich.
Jedenfalls hat Lola Kirke offen über ihre Absichten gesprochen, die sie mit den Kompositionen verband: "Als Courtney Marie Andrews und ich uns zum Schreiben hinsetzten, wollten wir einen Song hinbekommen, den wir im Country-Radio hören können", berichtet sie zur Motivation, "Broken Families" zu verfassen. Das ist im Prinzip nicht verwerflich, passt nur nicht zur geäußerten Kommerz-Ablehnung. Das musikalische Ergebnis sollte aber unabhängig von der gedanklichen Ausrichtung qualitativ hochklassig sein, was auf "Lady For Sale" leider nicht konstant der Fall ist.