Lewis OfMan serviert mit "Cristal Medium Blue" einen sympathisch verschrobenen Retro-Sound-Cocktail.
"Cristal Medium Blue" ist Teil einer Easy-Listening-Renaissance, die sich unter anderem auf den Space-Age-Sound der 1950er-, die psychedelischen Reize der 1960er-, den Soft-Rock der 1970er- und den Synthie-Pop der 1980er-Jahre beruft. Daneben finden zum Beispiel auch Karibik- und Disco-Rhythmen sowie Sunshine-Pop-Harmonien ihren Platz auf dem zweiten Album des in Frankreich geborenen Musikers Lewis OfMan.
Der "Frisco Blues" ist eine Collage aus nachempfundenen Westcoast-Sound-Erinnerungen seiner Teenager-Vorlieben, die Santana und Crosby, Stills, Nash & Young hießen. Und dieses Konstrukt wird mit beiläufigem, belanglosem Kinder-Gesang, nachtgrauen Jazz-Anklängen, formelhaften Spoken-Word-Einwürfen sowie optimistischem, melodischem Lead-Gesang gepaart. Solch eine risikofreudig-wohlklingende Mischung, die sich um einen hohen Unterhaltungswert und gleichzeitig um eine bizarre Pop-Darstellung bemüht, gibt es selten zu hören. Wer sich noch an die Fusion-Band Mark-Almond (Jon Mark & Johnny Almond) erinnert, der hat eine ungefähre Vorstellung davon, was hier passiert. Lewis OfMan gibt quasi eine Visitenkarte von einigen seiner im Erfahrungs-Verbund gewachsenen Klangvorstellungen ab und macht damit neugierig auf das, was noch kommen mag.
"Flowers In The Car" weckt in seiner stürmisch-freudigen Herangehensweise angenehme Erinnerungen an die feurig-verzerrten und dennoch eleganten E-Gitarren-Soli von Steely Dan ("Reelin` In The Years"), den aufgeweckten, rhythmisch aktiven Pop-Groove der Doobie Brothers ("Listen To The Music") und die hitzige Melodie-Verliebtheit der Posies ("Dream All Day").
Wie eine manipulative Animation zu einem Jane-Fonda-Aerobic-Video aus den 1980er-Jahren wurde "Get Fly (I Wanna)" als eine von leidenschaftlichen karibischen Rhythmen getragene Salsa-, Disco- und Psychedelic-Pop-Darbietung leicht verdaulich und entschlossen arrangiert. Die Grenze zwischen Ernsthaftigkeit, Kitsch und Satire verschwimmt hier völlig, und das wahrscheinlich absichtlich. Besonders deutlich wird die Doppel- oder Dreifach-Deutigkeit, als zum Schluss bei Gastsängerin Gabriela Richardson aus "I Wanna Get Fly" ein "I Wanna Get High" wird - für das sie sich auch noch reumütig entschuldigt. Das Stück kommt ebenso lustig wie beschwingt rüber, ohne dabei albern zu wirken.
Für den intim-verführerischen Folk-Soul "Come & Gone" überlässt Lewis OfMan große Teile des Lead-Gesangs Alaska Reid, mit der er sich auch sinnlich im Duett umgarnt. Heraus kommt dabei eine lasziv-dunkle, teils basslastige, teils glockenhelle Stimmung, wie sie zum Beispiel auch bei "Spooky" von Dusty Springfield vorherrscht.
Auf kratzigem Vinyl wird zunächst die Vision eines uralten Liebesfilm-Soundtracks heraufbeschworen, bevor "El Amor" in ein Hörspiel mit Untermalung durch spanische Folklore abzweigt.
Dies ist aber nur der Vorspann zu "Caballero", einem weiteren Weltmusik-Track, der effekthaschend aufbereitet wurde und in erster Linie für Spaß und Lebensfreude steht.
Exotische, flirrende Klänge entführen das Stück "Cristal Medium Blue" dann in eine Welt, in der es sowohl freundlich-ästhetisch als auch märchenhaft-versponnen oder rauschhaft-abgehoben zugeht. Als Vergleich lassen sich die atmosphärisch verträumt aufgestellten Kompositionen der High Llamas und die einfallsreichen Spielereien von Stereolab heranziehen.
Die multikulturell aufgewachsene Künstlerin Sofie Royer konnte für "Miles Away" als Lead-Sängerin gewonnen werden und sie stattet den lockeren Funk-Rock-Groove mit erotisch aufgeladenen Tönen aus.
Elektronischer Minimalismus prägt "Hey Lou" und lässt den Track, der die Angst vor dem unaufhaltsamen Zeitverlust thematisiert, maschinell-kühl erscheinen. Gegen diesen Eindruck mag sich der Gesang nicht stemmen, der auch unter Hinzunahme der Stimme des Pariser Models Camille Jansen relativ unbeteiligt-übersättigt-gelangweilt klingt, was wohl den Coolness-Faktor erhöhen soll. Die E-Gitarre bringt dann jedoch Spritzigkeit ein, sodass die Bestandteile zusammen betrachtet für belebenden Kontrast und Attraktivität sorgen, was durch die Andeutung an den stoisch-hypnotischen Velvet-Underground-Sound noch gesteigert wird.
Der ausladende Instrumental-Titel "Cruisin’" könnte in seiner künstlich durch Solo-Passagen angereicherten, pseudointellektuell dahinplätschernden Unverbindlichkeit als bloße "Fahrstuhl"- oder "Pausenfüller"-Musik abgetan werden und wirkt tatsächlich schon nach wenigen Hördurchgängen relativ sinnleer.
"Highway" schmückt sich mit dem jugendlich-klaren Gesang von Lorely Rodriguez (alias Empress Of). Der Track versteht es vortrefflich, zwischen strahlendem Space-Rock, eleganter Bossa Nova und antreibenden Folk-Akkorden zu vermitteln. Und so entsteht ein Gebilde, das sowohl energetisch als auch empathisch überzeugt.
"Eternity" zeigt sich danach unaufgeregt und erneut unbeeindruckt von gängigen Trends. Der Instrumental-Track könnte als Abspannhintergrund für einen Film taugen, denn man sieht vor dem geistigen Auge quasi etliche Namen langsam nacheinander hochrollen. In diesem Augenblick der emotionalen Leere gibt es keine Erwartungen mehr. Die Höhepunkte des Film-Geschehens werden allmählich ins Gedächtnis zurückgerufen und die Gedanken driften zunehmend in Richtung der nächsten Aktivitäten ab. "Eternity" stört diesen Ablauf nicht, setzt sich aber auch nicht im Gedächtnis fest. So ist der Song ganz nett, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck.
Gelobt sei, was Spaß macht: So könnte das Motto von "Cristal Medium Blue" lauten, denn Lewis OfMan packt lustvoll alles zusammen, was ihm in den Sinn kommt, völlig unabhängig davon, ob die Ideen offenkundig zueinanderpassen oder nicht. Es befinden sich nur wenige aktuelle Stil-Elemente darunter, das meiste läuft unter der Kategorie "Retro". Darunter sind auch Tonkombinationen, die nicht unbedingt höchsten künstlerischen Anforderungen genügen. Es ist eben nicht "alles Colt, was ballert", wie es schon in der 1970er-Jahre-Sketch-Serie "Klimbim" hieß (um den Retro-Begriff auch anderweitig einzusetzen). Aber die Mischung macht den Reiz aus, der hier in einer unberechenbaren Kombination aus angenehm merkwürdigem, angestaubtem Firlefanz besteht.
Lewis OfMan beweist Mut, indem er größtenteils unmoderne, unter Umständen sogar als uncool oder seicht empfundene Musik frisch aufpoliert. Er präsentiert die Ausgrabungen charmant-ironisch, mit einem Selbstbewusstsein, als wären sie das nächste große Ding, sodass er durchaus wie ein Pop-Erneuerer erscheinen kann. Ganz nebenbei wird bei dieser Vorgehensweise zusätzlich belegt, dass die Popmusik von Einflüssen, Referenzen und Retrospektiven lebt, die wellenartig auftreten. Genauso, wie es im Buch "Pop steht Kopf" belegt und beschrieben wird.