Mit Cover-Versionen zurück zu alter Stärke!
Um eine Cover-Version interessant zu gestalten, kommt es nicht darauf an, das Original möglichst genau nachzuspielen. Ganz im Gegenteil! Viel wichtiger ist eine eigene Interpretation oder das Herausstellen der Essenz der Vorlage. Mit "TRIP" hat sich Kurt Wagner von Lambchop genau diesen Aufgaben gestellt. Im Herbst 2019 entschied er, statt auf Tournee zu gehen, sich mit den Bandmitgliedern in Nashville zu treffen, um eine Platte aufzunehmen. Das Konzept dafür war, dass jeder eine Fremdkomposition vorschlagen sollte, die dann innerhalb eines Tages fertig gestellt werden sollte. Wagner selbst wollte sich weitmöglichst aus dem Entstehungsprozess heraus halten und nur als beteiligter Musiker teilnehmen, nicht als Band-Leader.
Schlagzeuger Matthew McCaughan wählte "Reservations" von Wilco aus dem "Yankee Hotel Foxtrot"-Album von 2002 aus. Der Song setzt sich aus psychedelischem Pop und spielerisch-experimentellen Improvisationen zusammen, deren Aneinanderreihung über sieben Minuten lang entwickelt wird. Die Stimmung ist gedrückt, erfährt aber durch den Gesang auch partielle Aufhellungen. Inhaltlich lässt sich darüber streiten, ob es um Depressionen und/oder Beziehungsprobleme geht.
Lambchop dehnen das Stück auf dreizehn Minuten aus, wobei der lautmalerische Teil den größeren Raum einnimmt. Das lässt jetzt vermuten, das Ergebnis sei recht schwierig zu hören oder chaotisch zusammengesetzt. Schließlich waren die letzten beiden Lambchop-Alben "FLOTUS" (2016) und "This (Is What I Wanted To Tell You)" (2019) ja recht bizarr und seltsam geworden. Aber die Neuinterpretation stellt die Schönheit und Anmut des Liedes heraus, wobei diese Attribute zerbrechlich anmuten. Die integrierten Tondichtungen bilden auch hier einen unüblichen Kontrast, denn sie bewegen sich nahe am Stillstand. Es wird aber klar, dass eine Kombination von Komposition und Improvisation als Ganzes durchaus befruchtend sein kann und beide Bestandteile nebeneinander ihre Berechtigung haben können. Dennoch würde jeder Marketing-Experte, der für die Vermarktung von Musik zuständig ist, diesen Opener als kommerziellen Selbstmord bezeichnen.
"Where Grass Won`t Grow" ist ein klassischer Country-Song, der sich mit dem entbehrungsreichen Leben der Landbevölkerung auseinander setzt. Er wurde vom Nashville-Songwriter Earl "Peanut" Montgomery 1968 geschrieben und von George Jones 1970 zum Hit gemacht. Jones verleiht dem Titel auf seine unvergleichliche Art und Weise sowohl Demut wie auch Empathie, denn er füllt die Töne aufgrund des zarten Schmelzes in seiner Stimme mit Wärme, Wehmut und Schmerz aus.
Der Pedal-Steel-Gitarrist Paul Niehaus, der auch bei Calexico und den Silver Jews spielt, hat den Song ausgesucht und spricht davon, dass dieser quasi aus Mitleid, Pech und Erlösung besteht. Die Lambchop-Ausführung fußt auch auf Country-Grundlagen, ist allerdings noch entspannter als die Hit-Version, steht dieser aber hinsichtlich der verführerischen Süße in nichts nach. Wagner und seine Instrumentalisten harmonieren perfekt miteinander und bilden eine verbundene Einheit. Das lässt an die Country-Folk-Ausflüge von The Grateful Dead auf "Workingman`s Dead" (1970) denken.
Szenenwechsel: "Shirley" von den Mirrors ist ein Power-Pop-Song, der im Velvet Underground-Rhythmus-Gewand steckt. Bassist Matt Swanson entdeckte den Track auf einer Zusammenstellung von lokalen Bands aus Cleveland, die Mitte der 1970er Jahre aufgenommen wurden. "Shirley" besitzt noch eine zweite Komponente, denn nach dem kraftvoll zupackenden Hauptteil wird das Stück behutsam, mit sphärisch-kosmischen Anklängen zu Ende gebracht.
Die Cover-Version stellt diese Aspekte deutlich heraus: Der Pop-Bereich ist straffer und optimistischer. Der weichgezeichnete Schluss führt hier nicht in den Weltraum, sondern in die Weite der Prärie.
Stevie Wonder hatte von 1972 bis 1976 seine kreativste und produktivste Phase. In dieser Zeit entstanden mit "Music On My Mind" (1972), "Talking Book" (1972), "Innervisions" (1973), "Fullfillingness` First Finale" (1974) und dem Doppelalbum "Songs In The Key Of Life" (1976) innovative Meisterwerke, die in jede bessere Platten-Sammlung gehören. "Golden Lady" von "Innervisions" wurde vom Schlagzeuger Andy Stack vorgeschlagen. Er wollte ein ernstes Liebeslied bestimmen, um tief empfundene Zärtlichkeit auszudrücken Aber die Erkenntnis war, dass dafür wohl immer auch etwas Melancholie mitschwingen muss. So wie bei "Golden Lady".
Die Neuauflage schafft mit der Dampflok-artigen Rhythmus-Arbeit zunächst eine kühle, mechanische Basis. Gegen diese distanzierenden Takte lehnen sich die Musiker mit gefühlvollen Piano- und Saiten-Zutaten auf. Kurt Wagner spielt den geheimnisvollen Minnesänger, der seine Stimme leicht, aber nicht atonal verfremdet und so nur seine wahre Identität verschleiert. Anonymität schützt - auch vor nicht unter Kontrolle zu bringende Gefühlsregungen.
"Love Is Here And Now Is Gone" ist ein Lied aus der Motown-Songschmiede um Holland / Dozier / Holland, das 1967 für die Supremes ein Nummer-1-Hit war und 1972 die B-Seite der Single "Rockin` Robin" von Michael Jackson zierte. Die Komposition besitzt nicht unbedingt die Qualität der ganz großen Songs aus der Detroiter Hit-Fabrik, die damit warb, den Sound des jungen Amerika zu präsentieren.
Aber der Pianist Tony Crow fand das Stück passend. Die Interpretation von Lambchop macht deutlich, dass man aus einem Durchschnitts-Track nicht unbedingt einen außerordentlich spannenden Song machen kann. Immerhin werten sie den Track durch eine große Portion Ausgelassenheit noch auf.
Der Musiker James McNew ist nicht nur ein Freund der Gruppe, sondern auch Mitglied der Alternativ-Rocker von Yo La Tengo. Er sendet Kurt Wagner ab und zu neue Ideen, um sich mit ihm auszutauschen. Dazu gehörte auch der "Weather Blues", der bisher unveröffentlicht ist. Wagner hat eine innige Beziehung zu diesem Lied, weil er es mit magischen Momenten verknüpft, die er am Sterbebett seiner Mutter erlebte. Entsprechend eindringlich, innig und ergriffen singt er diese Ballade. Die Pedal-Steel-Gitarre von Paul Niehaus weint dazu bittere Tränen, die akustische Gitarre sondert tröstendes Picking ab, das Piano perlt beinahe zuversichtlich und der Bass grummelt betroffen.
Mit "TRIP" nehmen Lambchop quasi den Anschluss zu "Mr. M" von 2012 auf, das dem Singer-Songwriter Vic Chesnutt gewidmet war. Er war ein Freund von Kurt Wagner und sein Freitod traf den Lambchop-Chef schwer. "TRIP" zeigt Lambchop wieder intim, versöhnlich und ausgeglichen. Die Experimente mit verstellter Stimme sind nur noch schmückendes Beiwerk und nicht mehr Selbstzweck. Dennoch ist das Werk weit weg vom Americana-Mainstream. Es ist detailreich, fordert Aufmerksamkeit, schärft die Sinne für ungewöhnliche Arrangement-Details und belohnt dafür mit wirkungsvoll nachhallenden Emotionen und ungewöhnlichen Einfällen. Das Werk ist ein Garant für interessante Hörerfahrungen.