"Verbunden sein" oder: Was bedeutet Liebe in Zeiten wie diesen?
Ein Liebeslied muss nicht unbedingt nur die schon vollzogene Beziehung zwischen zwei Menschen beleuchten. Es kann sich auch um die dazu gehörenden Motivationen, Hindernisse und Gefühle, wie Mut zum Risiko, gesellschaftliche Zwänge und die Sehnsucht nach Gemeinschaft handeln. Alles, was eben mit dem "Verbunden sein" mit anderen Menschen zu tun hat. Ein weiter Themen-Bereich, den sich Sebastian Król poetisch einverleibt und akustisch Ausdruck verleiht.
Sebastian Król ist ein Musiker in den Mittdreißigern, der in Hamburg lebt und auch als Promoter tätig ist. Karwendel ist sein Vehikel, mit dem er Poesie, intime Klänge und sensiblen Gesang in die Waagschale legt, um seinen Kompositionen Substanz zu verleihen, was die deutschsprachige Popmusik-Landschaft definitiv bereichert. Król verfolgt bei seinen Veröffentlichungen das Prinzip des kontinuierlichen organischen Gedeihens: Zunächst gibt es eine EP, die die grobe Richtung vorgibt. Dann folgt das Album, das die Ideen mit ergänzenden Tracks zum krönenden Abschluss bringt.
"Verbunden sein" enthält nun die als Vorbote erschienene 6-Track-EP "Geteiltes Herz", ergänzt um vier neue Kompositionen. Diese tendenziell von einem lockeren Groove erfüllten Stücke fügen sich organisch in das Gesamtbild ein und erweitern noch die ohnehin schon vorhandene, plastisch-griffige Attraktivität: Die Einleitung zu dem 10-Song-Zyklus übernimmt die neue Aufnahme "Zu lang zu leise". Das ist ein Lied, welches elegant, leicht und beschwingt bedeutungsschwangere Worte transportiert: "Willst du mit mir untergehen? Und das wird die schönste Reise", heißt es da, während die gut geölte, charmant-flexible kleine große Karwendel-Big-Band ins Zauberland des gepflegten Easy-Listening einlädt. Sebastian traut sich, der Schönheit einen Raum zu bieten, in dem sie sich frei von Zwängen ausbreiten kann. Das Rhythmusgeflecht weist eine einladende exotische Färbung auf, die dem zugkräftigen Takt von "Egyptian Reggae" von Jonathan Richman & The Modern Lovers nahekommt.
"Hinter dem Feld" hält gut gelaunte, schwungvolle Folk,- Country,- und Rhythm & Blues-Klang-Farben bereit, die den Song optimistisch und weltoffen erscheinen lassen. Der Text verheißt eine Aussicht auf Aufbruch, die den Weg für neue Erfahrungen frei macht. Das kann manchmal jedoch nur mit Hilfe von anderen Personen, mit denen man verbunden ist, gelingen - worauf der Track hinweist.
Das Schlagzeug scheint ein hektisches Eigenleben zu führen oder es symbolisiert Panik, während der Gesang den Anstand und das Gute im Menschen beschwört. Der Song "Trost" läuft also auf mehreren Bewusstseinsebenen ab: Im persönlichen Bereich geht es darum, dass Geld allein nicht glücklich macht. Im Gegenteil, es kann zur Isolierung führen. Auf der gesellschaftlichen Ebene werden die rassistischen Attentate von Hanau und der Angriffskrieg in der Ukraine thematisiert. Gegen die Ohnmacht von solchen schrecklichen Ereignissen setzt Sebastian die Freude am kleinen Glück: Mit jemandem eine gute Zeit haben, die Sonnenstrahlen genießen oder Freude an Musik haben. Trost geben auch freundliche Worte oder der Glaube an die Utopie, dass "die Liebe den nächsten Krieg zerstört, bevor er jemals beginnt" - auch wenn die Realisierung dieses Wunsches nicht in greifbarer Nähe zu sein scheint.
In das Abschluss-Stück "Auf dem Weg" legen Karwendel noch einmal ihre ganze sensible Überzeugungs-Wirkung, ihre spielerische Leichtigkeit bei melancholischer Ausgangsbasis, ihre lyrische Besonnenheit und - nicht zuletzt - die Fähigkeit, raffinierte, nachhaltige, spezielle Ohrwürmer zu erzeugen. Und wieder macht uns Sebastian Mut, indem er die Hoffnung nicht aufgibt und vom Leben in einer gerechten Welt sowie vom Glück ohne Macht und Geld träumt. Ihn interessieren keine oberflächlichen Gespräche, sondern er möchte mehr aus dem Leben der Leute erfahren, als das, "was sie am Kiosk herumerzählen". Er schaut hinter die Kulissen und spürt das Authentische auf, also das, was die Menschen tief im Innern bewegt. Dazu entwirft er stimmungsvolle Musik, die für "Auf dem Weg" kunstvoll-intime Brücken baut, die von der Unsicherheit hin zur Zuversicht führen.
Die sechs Lieder von "Geteiltes Herz", die den Ausgangspunkt von "Verbunden sein" bilden, wurden erstmalig im Oktober 2023 veröffentlicht und haben auch nach Dauerbeschallung nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Deshalb ist die damals gewonnene Einschätzung immer noch gültig:
„Geteiltes Herz“, aber doppelter Genuss: Karwendel steht für liebevolle Sensibilität, musikalisches Einfühlungsvermögen und geschmackvolle Zuneigung.
Karwendel alias Sebastian Król ist bekannt für mitfühlend-wehmütige Lieder, die den Folk als Basis in sich tragen und weltoffen eine eigentümliche musikalische Bandbreite abdecken. Diese poetische Songwriter-Kunst konnte bisher schon auf den EPs "Für den Moment" (Veröffentlicht am 22. Januar 2021) und dem Album "Im Lichte der Zeit" (Veröffentlicht am 26. November 2021) genossen werden. Am 6. Oktober 2023 kam nun mit "Geteiltes Herz" ein neues 6-Track-Werk hinzu.
Für Karwendel sind Text und Musik gleichwertig. Eine intim-hingebungsvolle Lyrik ist der Ausgangspunkt für kunstvoll-ästhetische, hochwertige Musik. Król sucht für "Geteiltes Herz" nach neuen Ausdrucksformen in der Verbindung von Poesie und Schönklang und findet sie in der Schnittmenge zwischen kammermusikalischem Folk, melodisch verschachteltem Jazz, anspruchsvollem Pop und anregend-unterhaltsamen Experimenten. Das Ensemble transportiert dabei einen warm-harmonischen, wohlig-einschmeichelnden, leidenschaftlich-eigenständigen Sound mit Hang zur konstruktiven Melancholie auf Basis von freigeistigen Klängen. Ausgeglichenheit und Nachdenklichkeit werden auf diese Weise dynamisch gemixt und betörend umgesetzt.
Der Sänger, Akustik-Gitarrist und Komponist Sebastian Król hat sich als Verbündete auf dem Weg zur schöngeistigen Herrlichkeit die Talente der Künstler Max Braun (Bassgitarre, Produktion), Joshua Weiß (Schlagzeug, Percussion), Samantha Wright (Klarinette), Linus Kleinlosen (Altsaxofon, Baritonsaxofon), Anna Wydra (Gesang) und Sönke Torpus (Piano, Gitarren, Gesang) gesichert und mit ihnen einen virtuos-stimmungsvollen Beistand gefunden.
Eine bekannte Redensart lautet: "Jeder ist seines Glückes Schmied". Das bedeutet, dass man für sein Glück selbst verantwortlich ist und sich nicht unbedingt auf den Zufall oder die Hilfe von Anderen verlassen soll, wenn es um die Erlangung von innerer Harmonie geht. "Mein Glück" macht da allerdings andere Hemmnisse auf dem Weg zum Seelenheil aus: "Es fehlt so oft an Mut, manchmal auch an Überzeugung", um einem Impuls zu folgen, der sich als vielversprechend darstellt. Die Hauptperson des Liedes hat jedenfalls sein Glück gefunden: "Ich setz’ dich doch nicht aufs Spiel. Ich lass’ dich nicht mehr los, du bedeutest mir zu viel", dichtete Sebastian für den Refrain. Bei aller textlich zur Schau gestellten Glückseligkeit ist der Song dennoch kein rührseliges Liebeslied geworden, sondern eine betrübliche Ballade, bei der sich der Sänger darüber bewusst ist, dass ein Wohlgefühl leicht zerbrechlich ist. Diese Gefahr steckt hinter jeder Note.
Mit seinem belebenden, suggestiv-monotonen, afrikanischen Folk-Jazz-Rhythmus und den gefühlvollen Klarinetten- und Saxofon-Klängen erinnert "Du darfst lieben" gleichzeitig an Richie Havens und an Ralph Towners Oregon. Der Song wird von folgender Aussage begleitet: "Kein Thema wird in der Popkultur so sehr besungen wie die Liebe. Umso überraschender erscheint es, wie neu der Selbstzuruf "Du darfst lieben – Lieb‘ so viel du willst" klingt. Es geht um eine Liebe abseits der romantischen Liebesbeziehung, die zu wenig Aufmerksamkeit und Akzeptanz erfährt. Sie ist überall zu finden: In Freundschaften, im Umgang mit unbekannten Menschen, im Verhältnis zum Körper oder der Natur."
Für "Neuanfang" teilt Sebastian den Lead-Gesang mit Anna Wydra und geht mit ihr auch ein verführerisches Duett ein. Was als Lagerfeuer-Romantik beginnt, entwickelt sich im Nachgang zu einem fragilen Singer-Songwriter-Track mit raffiniert-unorthodoxem Joni-Mitchell-Flair.
Bleierne Schwere legt sich auf "Wie du gibst": Das Tempo ist gering und Hoffnungslosigkeit scheint zu regieren. Die Töne tropfen zäh wie Sirup herab und färben den Untergrund dunkel. Der Harmoniegesang ist so sanft und zärtlich, dass es förmlich wehtut, wenn er aufhört. Man möchte ihn am liebsten als Seelenwärmer ständig im Ohr behalten. Klarinette, Piano, Stimme und Schlagzeug gehen eine innige Liebesbeziehung ein, die das Lied weit über den Status einer gewöhnlichen Ballade hinaushebt. Es ist nämlich eine bekümmerte Hymne, die einem übersinnlichen Gospel gleicht, welcher die Herzen mit einem spirituellen Feuer erfüllt. "Ein guter Platz an meiner Seite bleibt immer frei für all das, was ich noch nicht kenn, für das Licht, was in dir schon brennt" ist ein Bekenntnis zur Offenheit und zum Vertrauen.
"Nur ein Schritt" ist quasi das Kernstück der EP, weil sich hier alle bisher ausgedrückten Emotionen und Gedanken in einer Sound-Collage wiederfinden und auf die Spitze getrieben werden. Auch für dieses Stück gibt es eine Erklärung vom Komponisten: "So Du Wa Lo Wa Du So Sa Lo - ein chorales Mantra, das wir heute nicht verstehen. Es braucht mutige Schritte ins Ungewisse, um neue Türen zu öffnen und das Bewusstsein und Verständnisse zu erweitern. Auch, wenn Sicherheiten aufs Spiel gesetzt, Fehler oder gar Schuld riskiert werden. Der Antrieb, diesen einen Schritt zu gehen, diesen Sprung zu wagen, dies Wort zu sagen - der Antrieb ist die Sehnsucht nach einem lebendigen, erfüllten Leben".
Bei "In der Sonne" gibt es keinen Gesang, dennoch verfehlt das Stück nicht einen inspirierenden Effekt. Es bleibt allerdings kein Raum mehr für weitere Innovationen, denn jetzt sind Einkehr und Besinnung gefragt, die durch die Reinheit und Transparenz der Töne gewährleistet werden. Deshalb musste wohl ein Instrumentalstück den Schlusspunkt setzen, das sich im Kern auf alte Werte bezieht und den Jazz an seiner Wurzel packt.
"Van Morrison und Robert Wyatt sind Einflüsse für die offene Form, Bonnie "Prince" Billy und Manuel García für die organische Produktion", definiert und spezifiziert Sebastian Król seine Hauptanregungen bei der Umsetzung für "Geteiltes Herz". Das attraktive Folk-Jazz-Flair wurde passgenau in das bittersüße Befinden integriert, wobei die Atmosphäre letztendlich tröstend und nicht depressiv ist. Warme Blasinstrumente, dezent raumfüllende Keyboards und eine flexible Taktgebung setzen besondere Duftmarken. Der diskret-vertrauliche Gesang sowie die geistreichen und gütigen Texte sind dann noch das Tüpfelchen auf dem I. Sebastian Król setzt seine Empfindsamkeit stets unbestechlich durch und sorgt dadurch für einen hohen Wiedererkennungswert und für ein großes Maß an Identifikationspotential. "Geteiltes Herz" ist originell und bemerkenswert kraftspendend - trotz (oder gerade wegen) der vielen Moll-Töne!
Karwendel entwickelte mit "Geteiltes Herz" eine barocke Folk-Jazz-Umgebung, welche passgenau in eine melancholische Klanglandschaft integriert wird, wobei die Stimmung letztlich tröstend und nicht depressiv erscheint. Holzbläser und Duett-Gesänge setzen besondere Duftmarken. Der sensible Gesang und die einfühlsame Lyrik sind dabei das Tüpfelchen auf dem I. Die Produktion von Max Braun (unter anderem auch tätig für BRTHR, Carolina Lee und Paul Armfield) hinterlässt einen warm-harmonischen, wohlig-einschmeichelnden Eindruck und verpasst dem eigenständigen Sound, der Ausgeglichenheit und eine kultivierte Instrumentierung bereithält, den letzten Schliff.
Durch die vier neuen Stücke, die der "Geteiltes Herz"-EP für "Verbunden sein" als aktuelle Standortbestimmung zugeordnet wurden, erhält das Gesamtkonstrukt einen noch facettenreicheren Ausdruck. Die ergänzenden Lieder künden von einer stetigen, organisch wachsenden Entwicklung, die alle Richtungen offenlässt und auch möglich macht. "Verbunden sein" ist ein Glücksfall: Selten war deutschsprachige Pop-Musik künstlerisch so wertvoll und aufrichtig wie hier.
In seinem Metier darf man Sebastian Król getrost einen gehaltvollen Dichter und Denker nennen, was nicht vermessen ist. Ihn hinsichtlich der poetischen Kraft in eine Linie neben Hölderlin, Heine und Hesse zu stellen, ist nicht übertrieben. Denn seine Texte sind extrem feinfühlig, scharfsinnig und lyrisch anspruchsvoll formuliert, sodass sie das Hirn auf Schwung bringen und das Herz in Flammen setzen.