Die Eigenschaften des Wassers inspirierten Jamila Woods zu "Water Made Us".
Das Leben auf der Erde entstand im Wasser. Wir bestehen ungefähr aus 80 % Wasser. Ohne Nahrung kann der Mensch etwa 30 bis 50 Tage überleben, ohne Wasser nur maximal 4 Tage. Unter diesen Umständen trifft Jamila Woods, die Musikerin und Poetin aus Chicago, mit "Water Made Us", dem Titel ihres dritten Albums, voll ins Schwarze. Er deutet die komplexen Zusammenhänge an, die dazu geführt haben, dass sich die Menschheit entwickeln konnte. Es wird aber auch deutlich, wie angreifbar und empfindlich unsere Existenz ist.
Der Titel beruht aber letztlich auf einem Ausspruch der Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison: "Jedes Wasser hat ein perfektes Gedächtnis und versucht immer, dorthin zurückzukehren, wo es war". Im Wasser sollen universelle Informationen auf molekularer Ebene gespeichert sein, was die Mystik um dieses Lebenselixier so besonders macht. Geleitet von diesen spirituellen Gedanken hat Jamila Woods ein Werk erschaffen, das sie emotional tief mit dem Verlauf ihres Lebens, ihrem Lieben und ihrem Leiden verbunden hat. Der Kreislauf des Wassers hat Jamila inspiriert und taucht als Metapher immer wieder in den Liedern auf.
Musikalisch fühlt sie sich keinem Genre verpflichtet, sie schöpft aus Traditionen, nutzt aber auch die aktuellen Strömungen in der schwarzen Musik, um ihren Gedanken den gewünschten Ausdruck zu verleihen.
Mit einem transparenten und räumlich wirkenden Klang stellt sich Jamila Woods zunächst mit "Bugs" vor. Durch seinen sinfonisch-sphärischen Unterbau erlangt der Track eine fast körperlose Leichtigkeit, die durch erdige Bass-Töne auf dem Boden der Tatsachen gehalten wird. Und so streift der Song sowohl wohliges Soul-Terrain als auch verschachtelte Art-Pop-Gefilde. Im Text stellt sich die Frage: Wie weit bin ich bereit, mein Leben einer Beziehung anzupassen? ("Werde ich mein Leben verändern?
Es nervt mich, aber ich tue es für dich.)"
Bei "Tiny Garden" wird Jamila von der Band duendita aus dem New Yorker Stadtteil Queens unterstützt. Gemeinsam gelingt ihnen die Realisierung eines federnden Pop-Sounds, der aus dem Song einen unwiderstehlichen Ohrwurm entstehen lässt. ""Tiny Garden" ist ein Lied über die Art und Weise, wie mein Herz schlägt, die langsame und stetige Art, wie ich liebe", lässt Jamila wissen. Sie beschreibt somit das gegenseitige Abtasten, die Ängste und Erwartungen in der Sturm- und Drang-Phase einer Beziehung.
"Practice" verbreitet einen ansteckenden Optimismus. Der frisch-belebende Flow wird allerdings von unorganisch wirkenden Rap-Einlagen empfindlich gestört. Sie sind im Gegensatz zu den weiteren gesprochenen Zitaten ein Zugeständnis an gängige Trends, werten die jeweiligen Stücke aber nicht musikalisch auf. Die eingeimpfte Fröhlichkeit hat ihre Wurzeln in dieser Aussage: ""Practice" ist ein Song, in dem es darum geht, den Druck abzubauen, den wir uns in Beziehungen selbst auferlegen. Ich habe versucht, die Art und Weise zu ändern, in der ich Beziehungen oft auf der Grundlage ihres Potenzials für Langlebigkeit bewerte und nicht danach, wie ich mich im Moment fühle".
In dem Spoken-Word-Beitrag "let the cards fall" sinniert Jamila: "Ich möchte wissen, wie ich mir selbst vertrauen kann, um zu wissen, wann ich in einer Beziehung bleiben muss, um weiter daran zu arbeiten oder sie loszulassen, wenn sie nicht sicher ist oder nicht funktioniert".
Bei "Send A Dove" dominieren elektronische Instrumente und Effekte. Dennoch bewegt sich der Song in einer warmen Strömung innerhalb eines mild-andächtigen Gospel-Feelings. Jamila beschreibt, wie eine Beziehung im Alltag Risse bekommt: hin- und hergerissen zwischen Verlangen, Hingabe und Zweifel steht die Taube im Titel für ein Friedensangebot, es weiter miteinander zu versuchen.
Für "Wreckage Room" wird der Gesang, der die spärliche Avantgarde-Jazz-Begleitung unterstützt, anfangs so verfremdet, dass er den eigenartigen Stimmbandübungen von James Blake ähnelt. Nach einer Minute wandelt sich der Song komplett zu einer fantasievoll arrangierten Ballade. Inhaltlich kommt es zum Bruch: "Ich konnte nicht mehr frei sein. Ich habe versucht, deinen Hunger zu stillen, bis er mich verschluckte".
"Thermostat" wurde vom Musiker und Produzenten Peter CottonTale geprägt, mit dessen Hilfe das Stück reizvoll zwischen klassischem Pop, Jazz und Hip-Hop eingependelt wird. Jamila formuliert einen Grundsatz, der für sie in einer Partnerschaft unverzichtbar ist: "Und ich denke, ein Teil einer guten Beziehung ist so etwas wie … den gestrigen Tag zu vergessen, und das geht nur mit jemandem, dem man wirklich vertraut".
Es folgt der Monolog "out of the doldrums", der das zynische Zitat enthält: "Ich war ein Schurke. Und ich habe meiner Frau seit fünfzig Jahren geraten, mich nicht zu heiraten."
Eingebettet in ein sensibles Country-Folk-Gerüst, bekommt der Neo-Soul-Titel "Wolfsheep" ein liebevolles wie auch lebhaftes Antlitz. Auf Deutsch würden wir wohl "Wolf im Schafspelz" über eine Person sagen, die vorgibt, es gut mit uns zu meinen, aber eigentlich nur den eigenen Vorteil im Sinn hat. Diese Erfahrung musste auch Jamila machen: "Ich fürchte, du bist kein guter Mensch. Aber ich habe dich trotzdem geliebt. Ich frage mich, ob ich ein guter Mensch bin. Da ich dich immer noch bleiben lasse".
In der von psychedelischem Jazz untermalten Erzählung "I Miss All My Exes" stellt die Musik-Dichterin Situationen mit ihren Ex-Freunden heraus, an die sie sich gerne erinnert. Und es ist nicht eine einzige negative Erinnerung dabei!
Lustvoll betreibt Jamila auch bei "Backburner" das Spiel mit der Zusammenführung von eigentlich kaum zusammenpassenden Genres. Intimer Folk-Rock, elektronische Space-Sounds und fette Hip-Hop-Beats bilden ein Konstrukt, welches vor Leidenschaft knistert - es kann aber auch die Eifersucht sein, die das Kribbeln verursacht.
Der Satz "Frag mich nicht, weil ich nicht weiß, welchen Weg ich gehen soll", wird bei "libra intuition" zitiert. "Boomerang" lässt ganz ohne Tiefgang eine positive Haltung entstehen. Hier steht eindeutig der Wunsch nach Unbeschwertheit im Vordergrund. Der Takt ist schnell, aufrüttelnd und erquicklich - so funktioniert die akustische Umsetzung von Frohsinn. Die Freude an den Beziehungen, die im Laufe des Lebens nicht zerbrechen, sondern immer wieder aufleben, gibt dem Lied seine positive Ausstrahlung.
Die alte Liebe ist Vergangenheit, kann aber nicht vergessen werden, deshalb kann sich keine neue Partnerschaft entfalten. Davon berichtet der rockende Soul von "Still" mit einem schnell klopfenden Herzschlag-Takt und abgeklärtem Gesang.
"the best thing" ist der kurze Dialog zwischen Bischof Derrick Fitzpatrick und Fatimah Asghar, in dem es darum geht, dass es sinnvoll ist, sich an den guten Dingen des Lebens zu orientieren.
Als moderner Rhythm 'n' Blues lebt "Good News" von klatschenden Rhythmen, über die romantisch wehende Töne gelegt werden, die von der einfühlsamen Stimme von Jamila Woods getragen werden. Lebhaftigkeit und Romantik in einem Stück? "Good News" macht es möglich. Die gute Nachricht ist, dass die Kraft des Wassers erhalten bleibt, aber ihre Unentschlossenheit macht Jamila weiter zu schaffen.
"Water Made Us" entlässt uns mit dem entspannt fließenden "Headfirst", einem Song, der trotz seiner Lässigkeit einen straff organisierten Eindruck hinterlässt. Jamila beginnt das Lied mit dem Resümee: "Ich kann nicht für das, was ich fühle. Ich kann nicht für das, was ich nicht fühle". Sie scheint doch noch ihre Mitte gefunden zu haben...
Das Album handelt genau genommen davon, welche Spuren Beziehungen bei uns in ihren unterschiedlichen Phasen, vom Kennenlernen bis zur Trennung, hinterlassen können. Jamila Woods hat für sich einen Weg gefunden, allen menschlichen Begegnungen, ob sie nun erfreulich oder belastend waren, ihren festen Platz in der Erinnerung zuzuweisen. Dabei schließt sie Frieden mit schlechten Erfahrungen und versucht mehr über ihre Empfindungen zu ergründen, um sich selber besser verstehen zu lernen. "Ich war in der Lage, diese kleinen Dinge über mich selbst zu verstehen und zu sagen: "Okay, ich möchte über jedes dieser Gefühle, zu denen ich immer wieder zurückkehre, oder über Muster, die ich bemerke, schreiben und ihnen eine Sprache geben", verrät die Künstlerin ihre Motivation und Gefühlslage bei der Konzeption der Songs. Durch die eingestreuten gesprochenen Texte vermittelt das Werk den Eindruck einer psychologischen Dokumentation, die aus der Erfahrung empirisch gespeist und mit akustischen Schwingungen zum Leben erweckt wird.
Das Erstaunliche an "Water Made Us" ist, dass das Werk sowohl Soul-Traditionalisten als auch Hip-Hop- und Neo-Soul-Fans zufriedenstellen kann. Was zum großen Teil an der sorglosen Unbekümmertheit von Jamila Woods liegt, mit der sie sich ohne Scheuklappen in der Pop-Kultur bedient. Diese Platte ist ein intelligenter Weckruf an alle Schubladendenker, die glauben, Musik müsse sich strikt an Genre-Grenzen halten!