Vergangenheitsbewältigung für gefestigte Gemüter: Jack In Water führt geläutert durch ein Tal der Tränen.
"You Don't Feel Like Home" hat einen therapeutischen Ansatz: Der britische Musiker Will Clapsen verkörpert als Jack In Water auf seinem ersten Album - das am 27. August 2021 erscheint - einen sensiblen, nachdenklichen Singer-Songwriter, der sowohl positive wie auch negative Eindrücke aus seiner Kindheit und Jugend verarbeitet. Mit einem gewissen Abstand konnte er seine Erlebnisse und Gedanken jetzt richtig einordnen und die unangenehmen Erfahrungen akzeptieren. Aus dieser Inspiration heraus erschuf er intim-ergriffene Töne, wobei die Songs um Themen wie Familie, Freundschaft und Liebe kreisen, aber auch Probleme behandeln, die aus sexuellem Missbrauch, Alkoholismus und dem allgegenwärtigen Tod resultieren. Das pralle Leben mit all seinen Haupt- und Nebenschauplätzen, seinen Freuden und den tragischen Momenten spiegelt sich wider und wird poetisch in rätselhafte Gleichnisse gehüllt. Die Noten erklingen dazu liebenswert und anmutig, wobei jedoch Grauschleier und dunkle Schatten auf sie fallen.
Der Titel-Song ist das Protokoll einer Entwurzelung oder einer Trennung oder eines nahenden Todes. Alles ist möglich. Wenn das Gefühl der Geborgenheit fehlt, dann kann Eiseskälte die Seele befallen. Um dieses Gefühl der Isolation zu vermitteln, wurden die Noten würdevoll angeordnet und dazu erhabene Schwebeklänge sowie pastorale Chorstimmen inszeniert, die eine getragene Stimmung erzeugen. Der swingend-groovende Rhythmus ist dabei der Rettungsanker, der für Bodenhaftung sorgt. Der sanft leidende Lead-Gesang justiert das Lied nebenbei als gefühlvoll-sakrale Ballade.
"Beast Behind Your Eyes" manövriert sich durch dunkle Situationen, wobei die Zustände zunehmend aussichtsloser wirken. Will Clapsen ist bestrebt, Empathie zu zeigen, ohne in Schwermut zu verfallen, was jedoch nicht immer gelingt. Dennoch ist seine gelassene, langsam erzählende Stimme der Dreh- und Angelpunkt für Zuversicht, weil sie als Lotse in schwerem Fahrwasser fungiert. "Just Smile" lässt dann durch Accessoires wie scharfe Blechblas-Töne nebst druckvollem Gesang in Kombination mit einem strammen Rhythmus eine gewisse kämpferische Aggression erkennen, die nicht in gewalttätige Rebellion umschlägt, aber für Auflehnung gegen eine sich androhende Apathie sorgt.
"For You" wird dagegen von einer harmonisch-gütigen Grundstimmung umweht, die die Welt wie durch eine rosarote Brille erscheinen lässt. Es zeigt sich sogar auf elegante Weise die Sonne, die verschämt hinter den Wolken hervorkommt und jeden Trübsinn verdrängt. Eine Liebesbekundung verpackt Jack In Water für "Unconditional Love" in ein Folk-Tronic-Format, das musikalisch zwischen den Kings Of Convenience und Beck angesiedelt ist. "Ich bin ein Kind, das zu groß wurde. Alles fühlt sich auf einmal anders an" ist eine der poetischen Be- und Umschreibung aus "If I Cared", die die Entwicklung und Veränderung vom Kind zum Erwachsenen anspricht. Der sprudelnde Electro-Pop findet einen separaten Weg heraus aus der Depression und steht für Aufbruch und Hoffnung.
"Anxious Smothers" gebärdet sich höchst sentimental und reizt die Grenze zur Schnulze voll aus. Will Clapsen jauchzt zeitweise niedergeschlagen, agiert ansonsten entweder nachdenklich oder aufgewühlt. Bei "Monster" geht es um Vergebung und um die Feststellung: "Wir sind aus Freude und Dunkelheit gemacht, geboren in Harmonie. Es gibt keine Ungeheuer". Trotz des Mut machenden Textes ist die Musik tieftraurig und erschütternd. Sie verbreitet aufgrund ihres lethargischen Tempos sowie der Moll-lastigen Streicher und des Klagegesanges niedergeschlagene Grabesstimmung.
Es gibt Erkenntnisse, die können den Schlaf rauben. Mehr noch, sie bringen einen eventuell an den Rand der Verzweiflung: "Jede Person die man liebt, ist dazu verdammt zu sterben, zu Staub zu verfallen, verloren zu sein." Das ist so ein quälender Gedanke, der sich in "Everyone Will Be Lost" materialisiert. Diese dramatische Einordnung wird entsprechend opulent, düster und bedrohlich vertont. Etwas fraglich ist, um was es wirklich in dem elegischen "Step Down" geht. Handelt es in der Schilderung vielleicht um einen Schutzengel, der nicht mehr gebraucht wird? Auf jeden Fall ist von einem "eingebildeten Helden" die Rede, was wiederum an den Film "Mein Freund Harvey" mit James Stewart aus dem Jahr 1950 erinnert.
Die Lyrik der Songs für "You Don't Feel Like Home" ist verschlungen und von Schuld und Tragik durchzogen. Sie spricht oft unangenehme Situationen an, trägt teilweise sogar makabre Züge. Es werden auch Themen angesprochen, die von existenzieller Bedeutung sind. Sie erscheinen zunächst bedrückend und offenbaren die verletzliche und geschundene Seele des Autors. Die teilweise enorme Schwermut der Musik löst sich aber mit jedem weiteren Hören zu Gunsten von Mitgefühl, Trost und verlockender Erwartung auf, die auch in den Klängen steckt. Wenn das Tal der Tränen durchschritten ist und das Nachdenken zu einer klaren Wahrnehmung geführt hat, winken als Belohnung bessere Aussichten. Will Clapsen betätigt sich als wissender Missionar auf diesem Weg und beschenkt uns nebenbei mit der bitter-süßen Schönheit der Tristesse.