Meditation und Hypnose: Die Musiker von Fink ziehen alle Register, um ihrem Publikum einen intensiven Hörgenuss zu verschaffen.
Das Trio Fink um den unkonventionell und interdisziplinär handelnden Fin Greenall macht es einem mit "Beauty In Your Wake" nicht leicht, weil sich die wahre Schönheit, die hinter den Noten steckt, nur nach und nach unter den richtigen Hör-Bedingungen erschließt. Nebenbei und unkonzentriert lauschen hilft nicht weiter, man muss schon die Muße haben, in die Sounds eintauchen zu können und zu wollen, sonst wird das nix mit einer innigen Beziehung zwischen Ton-Empfänger und Klang-Produzent.
Als Freunde von minimalistisch-suggestiven Strukturen wissen Fin Greenall (Kompositionen, Gesang, Saiteninstrumente, Keyboards), Guy Whittaker (Bass) (= der Sohn des Schlager-Sängers Roger Whittaker) und Tim Thornton (Percussion, Gitarren), dass je nach Ausgestaltung der Songs - von karg bis üppig - unterschiedlich starke emotionale Bindungen zwischen Hörerschaft und Künstler aufgebaut werden. Die Sound-Exkursionen beinhalten häufig meditative Elemente, welche manchmal sogar mit einem psychedelisch-sphärischen Minimal-Art-Groove ausgestattet sind oder sich als gedankenverloren herumstreunende, epische Balladen herausstellen. Wobei bei jeder Ausprägung akustische und elektronische Töne gleichwertig zum Einsatz kommen können.
Spätestens seit der akustischen Version von "Bloom Innocent" aus 2019 haben Fink großes Interesse am beinahe nackten, von jeglichem Überfluss befreiten, skelettierten, intimen Sound, der auf die wesentlichen Schwingungen reduziert ist. Die dadurch hervorgerufenen bedächtigen Zustände suggerieren, dass man vermeintlich einen Blick ins Unendliche oder ins Nichts erhascht.
"Wenn du allein auf dieser Welt wärst, wie würdest du dich nennen? Wenn du die Götter anschreien würdest, wie würdest du sie anreden?". Mit diesen Worten beginnt "What Would You Call Yourself", das Eröffnungs-Stück von "Beauty In Your Wake". Diese Bemerkungen entstehen aus einem Blickwinkel, der Realität und Fantasie miteinander verbindet. Kreativität und Lebenserfahrung gehen durch die Fragestellung zwangsläufig eine platonische Beziehung miteinander ein, um sich am Absurden zu berauschen und den Intellekt zu schärfen. Das Lied "handelt von der Macht der Sprache und auch von der Sinnlosigkeit von Namen, Marken und Gimmicks". Die instrumentale Ausgestaltung zu diesen Überlegungen ist schnörkellos, wirkt hypnotisch und wird erstaunlicherweise nur mithilfe von akustischen Instrumenten hervorgerufen. Ganz in der Tradition von "Music For 18 Musicians" des genialen Minimal-Art-Komponisten Steve Reich, der nicht nur durch dieses Stück für eine künstlerische Revolution in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Originalität, Spielfreude, Präzision und Virtuosität gesorgt hat. Fink nutzen den Vorteil, dass sie der Gleichförmigkeit den humanistisch-warmherzigen Gesang von Fin Greenall entgegensetzen können, um jede eventuell individuell wahrgenommene Sterilität im Keim implodieren zu lassen. Der Song nimmt im Verlauf an Intensität und Dichte zu, sodass sich allmählich ein vollmundiger Klang ergibt, der sich auf natürliche Weise weiterentwickelt. Ähnlich wie bei einem Schmetterling, der sich vom unscheinbaren Ei zum anmutig-filigran fliegenden Insekt verwandelt.
Ganz anders verläuft die Begegnung mit "The Only Thing That Matters", denn der Song erzeugt von vornherein eine milde Besonnenheit mit trotzigen Zwischentönen, warmen Harmonien und melodisch einschmeichelnden Wendungen. Seine Poesie dreht sich einmal mehr um die Schönheit des Erwachens, sowie um das Entfalten der Persönlichkeit und das Entstehen des Lebens. Die akustische Gitarre bereitet mit raffiniert-einfühlsamen Finger-Picking-Kunststücken den Boden für die anmutige Ausbreitung der attraktiv schwelgenden Stimme, die alsbald stabilisierende Schützenhilfe von Bass und Schlagzeug erhält. Dadurch gewinnt der Song an Würze, Kraft und Gewicht.
"Be Forever Like A Curse" bietet pure Dramatik. Während Fin seine Gefühle im Griff hat und den wehmütigen Gesang kaum emotional anpasst, bauen die Instrumente eine bewegliche Minimal-Art-Struktur auf, die sich stetig hinsichtlich der Lautstärke und Spannung zuspitzt.
"It's Like You Ain't Mine No More" ist genau genommen dem traditionellen Folk-Song verpflichtet, baut jedoch im Gegensatz zu vielen seiner Artgenossen einen lässigen Groove auf, der ihn in die Nähe von Soul und Funk befördert.
Mit "Follow You Down" bleibt der manipulative Art-Folk-Gedanke erhalten, es tauchen aber auch neue, erfrischende Tonfarben auf: Der Track kann Wurzeln im Jazz vorweisen, die sich in verspielt-kuriosen Abläufen manifestieren. Die stoische Basis wird dadurch jedoch nicht aufgelöst.
"I Don't See You As The Others Do" bekommt bei Voraussetzungen, die eine Verwandtschaft zum Vorgänger aufweisen, ein kurzes, stimulierendes E-Gitarren-Solo verordnet, welches das ausgeglichene Stück gegen Ende zum Aufschäumen bringt.
Wie bekommt man so runde, weiche Klavier-Akkorde hin, wie sie für "One Last Gift" in Dauerschleife beigesteuert werden? Womöglich hat der Produzent Sam Okell, der "Beauty In Your Wake" in einer Kirche in Cornwall aufgenommen hat, dabei seine Erfahrung spielen lassen. Denn er stellte schon als Toningenieur bei einigen Beatles-Remasters und bei Soundtracks wie "The Hobbit" sein Fingerspitzengefühl unter Beweis. Die hier dargebotenen Klänge spinnen die Hörerschaft in einen Kokon aus Tönen ein, der sich wie Seide um die Ohren schlingt und damit die Wirklichkeit in einen behaglichen Nebel taucht. Das macht die Musik in diesen Momenten durch ihre positive Ausstrahlung zum wichtigsten Ereignis im Leben. Denn nach dem Sound-Trip fühlt man sich ein Stückchen entspannter, ruhiger und zufriedener. Widerstand ist bei diesem natürlichen Psycho-Pharmakon ohnehin zwecklos und unnötig.
Sich respektvoll aus einer heiklen Situation oder einer Beziehung zu verabschieden, verlangt Anstand und Rückgrat. Sollte man beides vermissen lassen, wird man es schwer haben, die Folgen des Handelns schmerzlos aus der Welt zu schaffen. Diese Überlegung ist ein Fragment dessen, was mit "Don't Forget To Leave Well" ausgedrückt wird. Fink fügen sich mit dem Song in eine traditionell wirkende Folk-Spielweise ein, die von Roots-Pop-Merkmalen durchzogen ist: Zärtlicher Harmonie-Gesang, flüssige Töne auf der akustischen Gitarre und eine urwüchsig-autonome Lead-Stimme verbreiten akustische Wertbeständigkeit ohne schräge Auswüchse. Daran kann auch die rebellische E-Gitarre gegen Ende des Stückes nichts mehr ändern.
Gibt es ein Schicksal oder ist alles vorbestimmt? In "So We Find Ourselves" wird dazu geäußert: "Wohin wir gehen, steht nicht in den Sternen geschrieben. Es steht in unserer wechselvollen Vergangenheit geschrieben". Die Trommeln schlagen einen unruhigen Herzschlagtakt und das Piano weint Noten in Moll. Der leicht gequälte Lead-Gesang wird von volltönend-geistlichen Gospel-Harmonie-Stimmen lieblich abgefedert und gütig aufgefangen. Die Stimmung tendiert somit in Richtung einer mystischen, in sich gekehrten Vortragsweise.
Mit "When I Turn This Corner" findet "Beauty In Your Wake" einen liebevoll-rührenden Abschluss. "Du bist die schönste Note, die ich spielen werde. Du bist das schönste Lied, das ich singen werde. Und ich werde versuchen, meine Versprechen zu halten", beschwört Fin Greenall demütig-flehend und gleichzeitig eindringlich eine (neue?) Liebe. Die Musiker schöpfen dabei aus dem Repertoire des Chanson-Noir und bringen die Melancholie zum Leuchten.
Der 1972 in Cornwall geborene, in Bristol aufgewachsene und derzeit in Berlin lebende Finian "Fin" Paul Greenall hat ein bewegtes musikalisches Leben hinter sich: in der 1980er-Jahren tauchte er tief in die Szene von Bristol ein, erlebte das Rare-Groove-Revival sowie Outdoor-Rave-Parties. Tricky und Massive Attack prägten und inspirierten ihn, DJ zu werden. In den 1990er-Jahren weckte elektronische Musik sein Interesse und die nachfolgenden Jahre machten ihn mit Folk und Blues vertraut. Aus diesen Erfahrungen heraus entstand sein eigentümlicher Folk-Tronic-Mix, den er im Jahr 2000 auf seinem ersten Album "Fresh Produce" erstmalig als Fink vorstellte. In der unübersichtlichen Diskografie inklusive einiger Promo- oder Kleinstauflagen ist "Beauty In Your Wake" mindestens das siebzehnte offizielle Werk als Fink, das zwar erfahren-abgeklärt, aber nicht routiniert-berechenbar klingt.
Fin Greenall hat einen wachen Geist und ist hinsichtlich der Pop-Musik-Geschichte umfassend bewandert. Er ist ein Magier und Schamane, für den Musik Ausdruck der Seele und Kommunikation auf einer höheren geistigen Ebene bedeutet. Ganz nach dem Motto: "Sensibilisierung durch Wiederholungen" laden die Musiker ihre Songs positiv auf.
Fink praktizieren dieses Mal quasi noch einmal die lyrisch-musikalische Umsetzung und Aufarbeitung dessen, was sich hinter ihrem Album-Titel "Bloom Innocent" als Konzept verbirgt: Das vorsichtige, beinahe unmerkliche Loslösen von klanglichen Aromastoffen, die zu einer Langzeitwirkung mit ständig neu erblühenden Sound-Aromen führt. Fin Greenall zählt John Martyn zu seinen Vorbildern. So wie dieser Folk-Erneuerer strebt auch Greenall ein Song-Erlebnis an, bei dem sich vertraute Töne und mutige Experimente ergänzen, um eine Verbundenheit mit musikalischen Ahnen und die Neugier auf Neues zu befriedigen. Das ist mit "Beauty In Your Wake" unter hauptsächlicher Einbeziehung akustischer Instrumente auf behutsame Weise wunderbar ästhetisch gelungen.