Ausweg aus der Bredouille
Als Punkrockband älter zu werden, ist durchaus eine Bredouille. Löst man sich auf? Macht man Schlager (Hallo Campino)? Oder findet sich ein Weg, nach über dreißig Jahren Bandgeschichte nicht wie eine Karikatur aus den 90ern zu wirken?
Was soll man sagen – Dritte Wahl haben es geschafft. Mit den Jahren haben sie sich musikalisch und textlich einen eigenen Stil angeeignet, den sie jetzt nach Herzenslust zelebrieren.
Dieses Fundament lässt das Album rund wirken, obwohl fast alle Songs eine ganz eigene Note bekommen haben. Und das macht den Reiz des Albums aus. Fast jeder Song passt, überrascht und schmeckt leicht anders. Gute Laune, Ernst und Humor tanzen zu knackigen Gitarren und modern produzierten Arrangements.
Los geht es mit „Wir schießen die Milliardäre ins All“: Mit Melodien, Punk-Gitarren, ein paar elektronische Klängen und dem Band eigenen Humor sagt die Band: „Hey, das sind wir heute“.
„Simulation“ ist dann reine kurze Reise in die Vergangenheit. Textlich simpel, musikalisch brachial. Ich wette, dabei haben sie sich noch einmal bei ihrem ersten Auftritt in der Schülerspeisung gesehen.
Mit „Urlaub in der Bredouille“ kommt der Titel gebende Track, der eine Art bittersüße Hymne auf die Umweltzerstörung ist. Der Refrain lädt mit seiner wohlfeilen Melodie zum Einstimmen ein, um dann gemeinsam den Untergang zu zelebrieren. Eine Praline mit Senffüllung statt Zeigefinger – das sitzt.
Bei „Panama“ zeigt sich, dass Dritte Wahl lange genug dabei sind, um auch mal das Blumenhemd auspacken zu dürfen. Kurios fröhlichen Melodien auf dem Keyboard folgt ein Text, in dem sich „Familie Wichtig“ über ihr Leben am „Existenzmaximum“ auslässt. Dritte Wahl blödeln hier so erfrischend herum, dass dieser Song für mich zu einem Highlight der Platte gehört.
Bei „Keine Zeit für weiße Fahnen“ gibt es eine kleine Demonstration, wie ernst gemeinte Punk-Songs heute aussehen können. Ja, es gibt üble politische Entwicklungen. Aber es ist nicht die Zeit, zu resignieren. Der Song ist musikalisch straight, fast schon klassisch und zeigt so nicht nur inhaltlich, dass er auf diesem Album einen Moment der Ironie freier Ernsthaftigkeit darstellt.
Mit „Das regelt der Markt“ geht es dann wieder zurück zur Melange aus Message und Humor. „Den kontrollierten Untergang, den regelt der Markt“ heißt es im Refrain. Sänger Gunnar Schröder kommt hier wieder mit seinem ihm eigenen Punk-Rap um die Ecke, den man schon von „Ihr seid so wie sie wollen, dass ihr seid“ und „Geblitzdingst“ kennt. Seltsam, dass es zu dieser FDP-Phrase bisher noch keinen Song gab – dieser Track regelt das.
„Edwin Aldrin“ ist für mich ein rätselhafter Song. Sich musikalisch zurücknehmend erzählt er die Geschichte vom zweiten Mann auf dem Mond. Doch wer interessiert sich für die Nummer zwei? Nach dem Biografie-Song-Kracher „Ikarus“ (über Julian Assange auf dem Album „3D“) wirkt „Edwin Aldrin“ blass. Hier hätte ich eher ein „Dabei sein ist alles“ erwartet. Oder „Hey, Du warst auf dem Mond – ist doch egal, ob Du jetzt berühmt bist“.
Ja und dann „Steine im Weg“. Dritte Wahl zeigen uns grinsend: Klar können wir Stadion-Rock, hier seht ihr es. Aber mehr als einen Song machen wir nicht. Und nur deshalb passt dieser Song wirklich auf das Album. Einmal den Punker-Stolz vergessen und im Schlager-Refrain baden. Aber nur dieses eine mal. Wenn man bedenkt, dass Alben einiger Punk-Bands heute nur noch aus solchen Songs bestehen, muss man sich vor dem Move, dieses Stück zu schreiben und auf die Platte zu nehmen, einfach verbeugen und dann ungehemmt mit trällern.
Bei „Der Spion“ hören wir eines dieser Experiment-Lieder, das sich auf fast jedem Album der Band findet. Diesmal geht es im James-Bond-Thriller-Sound durch eine Agentengeschichte. Ist das noch dasselbe Album? Na klar – und ein weiterer, herrlicher Überraschungsmoment im „Urlaub in der Bredouille“.
„Statistik“ ist hörbar der Schlussong. Die Platte dreht langsam aus und man kann sich dabei schon mal die Lederjacke ausziehen und das Licht wieder anmachen. Den Song hätte es sicher nicht gebraucht, aber an dieser Position darf er uns gerne, aus einer wilden Fahrt, wieder nach draußen entlassen.
Es wäre ein Leichtes gewesen, das Album so glatt zu striegeln, dass auch Fans von „Unheilig“ und (den aktuellen) „Die Toten Hosen“ mit schunkeln, um so auf Platz 1 der Charts zu kommen.
Liebe „Dritte Wahl“ – danke für dieses Album, das ich auch 2023 ohne jede Scham und frohen Herzens weiterempfehlen kann!