DEHD begegnen mit "Poetry" dem Beziehungs-Chaos und entfliehen mit ihrem belebendem Power-Pop-Sound den Zwängen des Erwachsenendaseins.
Der etwas sperrig-kryptische Band-Name DEHD hat eine Vorgeschichte: 2015 taten sich Jason Balla (Gitarre, Gesang) von den Dream Eagles und Emily Kempf von den Heavy Dreams (Bass, Gitarre, Gesang) für ein Projekt zusammen und formten die vier Anfangsbuchstaben ihrer bisherigen Formationen zu einem neuen Begriff. Die Zusammenarbeit lief so gut, dass sie bereits ein Jahr später ihr 9-Track-Debüt herausbrachten und mit "Poetry" ist jetzt schon die siebente EP bzw. LP der Gruppierung aus Chicago erschienen, die durch Eric McGrady am Schlagzeug komplettiert wird.
Das Trio pflegt auf "Poetry" einen Sound, der temperamentvoll, unbekümmert, energiegeladen und eingängig daherkommt. Power-Pop oder Punk-Pop und sogar College-Rock sind Einordnungen, die die Richtung der Musik in etwa vorgeben. Die Musiker gebärden sich beinahe wie Pubertierende, jedenfalls transportieren sie deren Aufmüpfigkeit, Sehnsüchte und Sorgen, welche sie akustisch und textlich kompetent in Noten fassen.
Ein großes Thema ist dabei jegliche Form von verzehrendem Liebesglück und schmerzendem Liebesleid. In vierzehn Songs, von denen keiner die 4-Minuten-Grenze reißt, präsentieren sie sich als Architekten eines Klangbildes, das die Sturm & Drang-Zeit der Jugend feiert und entsprechend selbstbewusst-kraftvoll sowie unbeirrt-hartnäckig erscheint.
Stürmisch vorwärts strebende Gitarren-Akkorde stacheln das Tempo bei "Dog Days" immer wieder an, welches vom Rhythmusgespann verlässlich stabilisiert wird. Jason Balla ist hier für den Leadgesang verantwortlich und Emily Kempf unterstützt dezent, aber wirkungsvoll die aufkommende Party-Stimmung. Adrenalin tropft aus jeder Pore und Bewegungsdrang macht sich breit. "Dieser Song ist eine Hommage an das Chaos des Lebens und die Suche nach Kameradschaft", erklärt Jason.
Wenn man immer wieder auf die gleichen miesen Typen hereinfällt, ist das wie ein Fluch oder wie ein innerer Zwang. "Der Song ist mein Sonett darüber, dass ich immer betrunkene Männer wähle, Männer, die schwer zu lieben, ein bisschen gefährlich, immer unangemessen und auf verschiedene Weise traumatisiert sind", gibt Emily Kempf für "Hard To Love" zu Protokoll. Sie singt diese dramatische Feststellung nicht mit Groll, sondern trotzig und geläutert. Die Musik unterstützt diese kämpferische Sichtweise mit einer druckvollen Dynamik, die von profunden Inspirationen im Power-Pop-Kontext zeugt, welche von Badfinger bis Blondie reichen.
Aggressive Noise-Attacken läuten "Mood Ring" ein. Danach schlägt die Stimmung komplett um und ein eingängiger Radio-Hit wird geboren. Emily Kempf verbreitet gesanglich gute Laune und Jason Balla ergänzt wohlwollend. Der Song ist leichtfüßig und freundlich, aber dennoch zu keinem Zeitpunkt banal oder langweilig.
"Necklace" kommt in seinem psychedelischen Folk-Rock-Umfeld völlig lässig und überlegen daher. Als würden The Velvet Underground mit The Byrds gemeinsame Sache machen. Der Text bezieht sich auf Details aus dem Leben von Jason Balla, die Maßlosigkeit und Selbstzweifel betreffen.
Emily begreift sich als Einsiedlerin in einer Welt mit 1.000 Freunden, in der sie sich wie ein "Alien" vorkommt. Jason bewertet den Tatbestand, "nicht in der Lage zu sein, die richtigen Worte zu finden oder sich in etwas zu verlieren, das größer ist als man selbst", als Kern-Aussage des Liedes an. Der Refrain weist eine gewisse wacklige Instabilität aus, während sich die Melodie für Liebreiz einsetzt. Aus diesen unterschiedlichen Koordinaten bezieht der Track seine fruchtbaren Differenzen.
Die angedeuteten Break-Beats bei "Light On" machen es dem Stück nicht leicht, in die Beweglichkeit zu kommen. Was aber schließlich trotzdem vorzüglich gelingt, sodass die innere Kraft dieses manchmal holprig, manchmal elastisch gestalteten Rockers doch noch das Feuer der Erkenntnis entzünden kann. "Dieser Song ist eine Kerze im Fenster, ein Licht, das jemanden nach Hause führt, falls er versucht, es zu finden", meint Jason.
Bei "Pure Gold" geht es darum, "jemand Neues kennengelernt zu haben und absolut davon überzeugt zu sein, buchstäblich die eine perfekte Person auf diesem Planeten Erde gefunden zu haben, die nichts Falsches tun oder sagen kann. Es ist diese schöne Lüge, die wir uns selbst erzählen, und es fühlt sich so gut an, daran zu glauben. Aber mit der Zeit beginnt man, die Person so zu sehen, wie sie wirklich ist." Die Schmetterlinge im Bauch sind fort, Ernüchterung macht sich breit. Und im Einklang zu dieser Aussage vermittelt das Folk-Pop-Stück eine abwartende, vorsichtig optimistische Stimmung.
Hinter dem Song "Dist B" steckt die Erfahrung eines Nervenzusammenbruchs, den Emily erlebt hat. Trotz der Verarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses befindet sich in dem Stück eine Menge positiver Energie, die sich durch den Gesang lieblich und durch die Instrumentierung lärmend offenbart.
"So Good" "skizziert meinen fehlgeleiteten Glauben, dass ich, wenn ich ""gut bin", in diesem Leben bekomme, was ich will", meint Emily. Ausgangspunkt für diese Einschätzung war zunächst das Gefühl, den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben: "Du bist derjenige, von dem ich glaube, dass ich dich will. Die Gewalt in dir macht mir keine Angst", heißt es in dem Song-Text. Aber Gefühle sind leider trügerisch. Das Lied ist eine Alternative-Folk-Ballade mit Surf-Sound-Anklängen, die nicht ins Rührselige abdriftet, sondern bei aller Romantik den Zweifel im Blick hat, was durch den Wechsel von einem gemächlichen in einen gestrafften Rhythmus dokumentiert wird.
"Don't Look Down" "ist eine Herausforderung, meinem Herzen zu folgen, wohin auch immer es mich führt", sagt Jason. Er lässt das Stück mit einem belebend pulsierenden Drum-Beat eröffnen, ist aber gesanglich und melodisch bei diesem flotten, mitreißenden Song auf der versöhnlichen, ermutigenden Seite angesiedelt. Das ergibt einen ähnlichen suggestiven Effekt, wie ihn die Bands des Bubblegum-Pop aus den 1960er-Jahren hervorgerufen haben. Dazu zählten unter anderem Ohio Express "Yummy Yummy Yummy") oder The Archies ("Sugar Sugar").
Auch "Knife" dreht sich um die Sehnsucht, den idealen Partner zu finden, was sich in diesem Beispiel aus inakzeptablen kulturellen Gegensätzen zerschlagen hat. In Emilys Gesang ist die Trauer über den Verlust deutlich zu spüren und die Wut über das Verhalten des ex-Partners manifestiert sich in einem hart rumpelnden Rhythmus.
Die beste Therapie, mit enttäuschter Liebe fertig zu werden, ist es, den Frust abzuschütteln, was bei "Shake" mithilfe eines leidenschaftlichen, schnellen Punk-Pop-Grooves gelingt.
Wenn eine platonische Liebe zu einer Liebesbeziehung wird, kann das den Blick auf den anderen Menschen und damit auf den Umgang miteinander vollständig verändern. Der schroffe Rock-Track "Magician" unterstützt diese Anschauung anhand eines fast schon militärisch straffen Schlagzeug-Taktes, eines Basses, der auch Lead-Gitarren-Funktionen übernimmt und eines Gesanges von Emily Kempf, der abwechselnd sinnlich, fordernd oder hymnisch ist.
"Forget" ist genau genommen als Wiegenlied für Erwachsene gestaltet worden. "Wenn ich dir sagen würde, dass ich dich liebe, würdest du dann bleiben?", heißt es da aus dem Munde von Jason Balla. Denn es geht um den Wunsch, sich bei einer Trennung nicht zu verletzen und durch Liebe alles wieder in Ordnung bringen zu können. Leider bleibt es in der Realität meistens bei diesem Wunsch, der in der Regel nicht in Erfüllung geht. Deshalb ist es schön, wenn es eine warmherzig schunkelnde Melodie gibt, die die verletzte Seele tröstet und sie behutsam in den Arm nimmt. Auch wenn sich - wie hier - der Frust über das Zerwürfnis noch im Hintergrund lauthals meldet und keine Ruhe finden will.
Die Songs auf "Poetry" sind von vitalen Kräften durchdrungen: Überzeugungskraft, Strahlkraft und Durchsetzungsvermögen. Mit den vermittelten Emotionen und Bildern kann jeder etwas anfangen und erkennt die Authentizität der erzählten Ereignisse. Die Musik ist einerseits eingängig und lieblich, zeigt andererseits auch Krallen und Zähne, denn die Gruppe verbirgt nicht das hässliche Gesicht, das hinter zerstörten Hoffnungen steckt. DEHD schreiben Lieder, die begeisternd, gefühlvoll und lebensnah sind, wobei häufig überschäumend intensive Gefühle durch kräftig-frische Klänge bei einer hohen Hit-Dichte übermittelt werden. Klasse Album, tolle Band.