Die Cowboy Junkies können vieles, aber ein schlechtes Album können sie nicht machen.
Und um es vorwegzunehmen: An der beständigen, hohen Qualität hat sich auch mit dem neuen Werk nichts geändert. 37 Jahre liegen zwischen der ersten Veröffentlichung der Cowboy Junkies aus Kanada ("Whites Off Earth Now", 1986) und "Such Ferocious Beauty". Die Band hat sich seitdem ihren unverkennbaren Sound erhalten, den besonders Sängerin Margo Timmens mit ihrem sphärisch leichten, vernebelten, aber durchdringenden, nach einem Sinn suchenden Gesang prägt. Die Gruppe pendelt dabei zwischen allen Americana-Spielarten wie Blues, Folk und Country, bezieht aber auch Rock und Pop mit ein. Sie variierte ihren speziell konstruierten Klang über die Jahre nur geringfügig, hinterlässt aber trotzdem stets einen frischen und spannenden Eindruck - selbst bei den Balladen. Die über die Jahre vorgenommenen Anpassungen sind marginal, aber wirksam. Sie liegen im Detail, in den die Räume füllenden Extras etwa oder in den unterschiedlichen Schichtungen der Klänge und der unterschiedlichen emotionalen Gewichtung der Stimme von Margo Timmens.
Die wilde Schönheit, nach dem das neue Werk benannt ist, wird auch Leben genannt. Als Symbol für all die Pracht und Vergänglichkeit ist auf dem Cover ein hübscher, aber kurzlebiger Falter dargestellt. Es gibt auch wieder dezente Sound-Erweiterungen und vorsichtige Veränderungen, die dem typischen Sound-Gefüge aber nichts Revolutionäres anhaben können. Zu gefestigt sind dafür die ästhetischen Grundsätze der Geschwister Margo (Gesang), Peter (Schlagzeug) und Michael Timmens (Kompositionen, Gitarre) und die ihres Freundes Alan Anton (Bass, Kompositionen), die seit 1985 zusammen musizieren.
"Such Ferocious Beauty" ist eine Art Konzept-Album geworden, bei dem es häufig um die Themen Vergänglichkeit, Akzeptieren von Schicksalsschlägen und Überleben in schweren Zeiten geht. "In der menschlichen Existenz gibt es großen Kummer und großes Leid, aber auch große Freude und Trost. Ich habe vor nichts mehr Demut, als vor der wilden Schönheit, in der wir leben, das schließt auch den Tod mit ein", gibt Margo Timmens zu Protokoll. Für die neuen Songs bedeutete dieser Leitspruch, dass die entworfenen Klänge die gleiche Wertigkeit wie die Poesie bekommen sollten.
Mit der textlichen Blues-Phrase "Ich wachte morgens auf ..." setzt der Gesang bei "What I Lost" ein. Und schon bald sind wir mittendrin im Geschehen um die Trauer um einen geliebten Menschen. Hintergrund dieses Songs ist nämlich die Demenz und der Tod des Vaters der Timmens-Geschwister. Er taucht dann auch beinahe geisterhaft neben anderen Verwandten in Ausschnitten aus dem gemeinsamen Familienleben im Video zu "What I Lost" auf, was der Tragik ein Gesicht verleiht, sie greifbar und bemitleidenswert erscheinen lässt. Die Gitarre spuckt Feuer und sondert Töne ab, die von einer Totenglocke stammen könnten. Der dröhnende Bass fährt unheilvoll in die Därme und das Schlagzeug zischt und stampft vor Aufregung. Margo singt dazu, wie eine Person, die grade schlechte Nachrichten erhalten hat, die sie verkündet, obwohl sie noch geschockt und voller Entsetzen ist. Das ist ein intensives Bad in belastenden Gefühlen und stellt eine Herausforderung an die Standhaftigkeit dar, die schnell überfordert sein kann - diese Ausnahmesituation vermittelt die Band überaus authentisch.
Die E-Gitarre behält ihre Aggressivität bei und flutet "Flood" mit Feedback und verzerrten Tönen. Der Gesang ist sanft-harmonisch und fängt die Wut auf, während das Rhythmus-Gespann ausgleichende Lockerheit beisteuert. Die Musiker zeigen einmal mehr, welche emotionale Vielfalt sie wie selbstverständlich verknüpfen und ausspielen können. Ist es elektrifizierender Folk-Rock, der dabei entsteht oder ein Chanson mit Aggressionspotential oder Pop mit Garagen-Rock-Innereien? Alles richtig und auch falsch. Man mag darüber spekulieren, in welche Schublade die Musik gesteckt werden kann, letztlich spielt das keine Rolle, Hauptsache sie betört und versetzt einen in die Lage, sich ihr ganz hingeben und sie genießen zu können. Und das tut sie: ein Volltreffer!
Den Versuch einer Einordnung soll es noch für "Hard To Build. Easy To Break." geben, um die Flexibilität der Gruppe darzustellen: Das Lied lebt von einem herzhaften Southern-Rock-Groove, der den kräftigen Puls des Stückes bestimmt. Die E-Gitarre ist auch hier kratzbürstig und für die scharfen Töne zuständig, während der Rest der Truppe für die Geschmeidigkeit sorgt.
Es ist schon erstaunlich, zu welcher prägenden melancholischen Stimmung eine Geige beitragen kann, wenn sie wie hier einfühlsam und langsam von James McKie gespielt wird. Ein kurzes Solo am Anfang von "Circe And Penelope" reicht schon aus, um die Sinne in einen andächtigen Modus zu versetzen. Da alle anderen Beteiligten auf diesem Level mitspielen, entsteht eine anrührend schöne und traurige Ballade.
Christen glauben daran, dass nach dem Tod die Hölle drohen kann. Für Atheisten ist klar, dass es unter Umständen die Hölle schon zu Lebzeiten auf Erden gibt. Mit diesen und anderen Glaubensansätzen beschäftigt sich auch "Hell Is Real", ein Track, der durch seine anrührende Schlichtheit und durchdringend-gewaltige Gefühlslage besticht.
"Shadows 2" wurde durch das DH Lawrence Gedicht "Shadows" inspiriert. Er schrieb eine Reihe von Gedichten, in denen er über seinen Tod nachdachte, als er sich dem Ende seines Lebens näherte. Ich schrieb den Song, als unser Vater immer mehr in seine Demenz verfiel und die Welt um ihn herum verlor. "Shadows 2" beginnt aus der Sicht des Protagonisten des Songs (mein Vater), der merkt, wie seine Welt verschwindet, und wechselt am Ende zum Standpunkt des Erzählers (mir), der zusieht, wie er vergeht", erläutert Michael Timmens seine Gedanken zur Entstehung von "Shadows 2". Unterlegt werden diese Gedanken mit gütig-behutsam fließenden Tönen, die eher Dankbarkeit als Trauer ausdrücken.
Ein kaum variierter Orgel-Dauerton begleitet "Knives" über seine gesamte Laufzeit hinweg. Der monotone Schlagzeug-Takt bestätigt den statischen Eindruck und die fantasievolle Geige arbeitet fleißig dagegen an. Margo holt das Stück mit ihrem konzentrierten, akzentuierten Gesang aus der stoischen Einschränkung heraus und verwandelt es in ein hypnotisch-fesselndes Gebilde.
Der Boxer Mike Tyson ist in vielerlei Hinsicht ein negatives Vorbild: Private Konflikte "löste" er gelegentlich mit Gewalt, er wurde wegen Vergewaltigung verurteilt und in einem Boxkampf gegen Evander Holyfield biss er diesem 1997, nachdem er nach drei Runden nach Punkten zurückgelegen hatte, ein Stück seines Ohres ab. Wenn man so will, ist "Mike Tyson (Here It Comes)" ein Plädoyer gegen Rücksichtslosigkeit, Gewalt und Überheblichkeit, das durch sich abwechselnde intime und schäumende Klänge akustisch aufbereitet wird. Der Gesamteindruck der Darbietung ist gebremst aufwühlend - Zorn mit angezogener Handbremse beschreibt es in etwa.
"Throw A Match" ist der einzige etwas zügigere Titel auf dem Album, zumindest was die Instrumentierung angeht. Gitarren und Percussion sorgen für Tempo, Margo folgt dem nicht so ganz, bleibt nur vorsichtig optimistisch, bringt dadurch aber gesanglich reizvolle Kontraste in diesen Folk-Rock-Groove ein.
"Blue Skies" beginnt mit 20 Sekunden langer Stille - zur Andacht, zum Sammeln, zum Innehalten. Es folgt eine Ton-reduzierte Passage, die nur durch akustische Gitarre und Gesang gefüllt wird. Im Hintergrund sind ungefilterte Geräusche zu vernehmen, die aus dem Studio, aber auch aus der Natur stammen können. Die ergriffene Atmosphäre wird jedenfalls noch durch vorsichtig hin getupfte, sirrende Klänge aufgefüllt, aber dadurch nicht beschädigt. Mit diesen in sich gekehrten Schwingungen geht das Album würdevoll zu Ende. Ein angemessener Abschluss.
Fest steht wiederum: Die Cowboy Junkies können keine schlechte Platte machen. Mit "Such Ferocious Beauty" ist ihnen sogar ein besonders eindringliches Werk gelungen, das einen vorderen Platz in ihrer üppigen Diskografie verdient. Begeisterung macht sich breit: Mit dieser Platte ist ein Musterbeispiel an austarierten Sounds zwischen hart und weich, streng und emotional sowie robust und feinfühlig entstanden, welches alle diese Kontraste virtuos verwirbelt. Manchmal geschieht das sogar gemeinsam in einem Song. Es gibt kein mittelmäßiges Lied auf diesem Album, sie alle stechen jeweils mit besonderen Merkmalen heraus und ergeben als Ganzes eine hinreißende Kollektion an zeitlos wertvoller Musik.